Einleitung:
Worin zeigt sich Liebe? Was bedeutet sie für jeden Einzelnen von uns und spielt das Geschlecht dabei eine Rolle? Gibt es Liebe auf den ersten Blick und wie gehen wir mit Schmerzen um, wenn ein von uns geliebter Mensch unsere Liebe nicht mehr erwidert? Oder kann Liebe gar alles überwinden und selbst eine so kalte Farbe wie Blau Wärme in unseren Herzen erzeugen? Der letztjährige Palm d'Or Gewinner "La vie d'Adéle - chapitres 1 & 2", zu Deutsch "Blau ist eine warme Farbe", hat auf alle diese Fragen eine ehrliche und zutiefst berührende Antwort und offenbart uns eine der hinreißendsten Liebesgeschichten vergangener Jahre.
Inhaltsangabe:
Adé le ist eine junge 17-jährige Frau, die das Gefühl hat, sich selbst etwas vorzumachen. Zwar weiß sie um die Zuneigung des männlichen Geschlechts, kann diese jedoch nicht mit ihren Gefühlen erwidern. Als sie zufällig auf der Straße der blauhaarigen Studentin Emma begegnet, ist sie wie elektrisiert und angezogen von dieser Frau. Sie spürt etwas, was sie stets zu missen wusste und fortan entdeckt sie Sehnsüchte, die sie gemeinsam mit Emma auslebt.
Filmbesprechung:
"Blau ist eine warme Farbe" basiert lose auf der Graphic Novel von Julie Maroh. Regisseur Abdellatif Kechiche ist in seinen Filmen immer auf der Suche nach der Wahrheit, nach dem Lösen der aufgebauten Fassade und Maske im Leben und so dreht er sein Liebesdrama auf sehr natürliche Weise. Hier gibt es überwiegend Großaufnahmen von Gesichtern und Körpern, wenige Schnitte unterbrechen den Filmfluss und er bleibt seiner naturalistischen Inszenierung in jeder Minute treu, denn sowohl Menschen als auch Umgebung werden hier ungeschönt und realistisch (die Darstellerinnen trugen z.B. keinerlei Set-Make-up) dargestellt, im Kern banale Themen zwischen den Dialogzeilen aufgegriffen und hintergründig mit Problemen zwischen Unterschicht/Oberschicht der Kontrast ästhetisiert.
In dem Moment, wenn Adéle, die auf dem Weg zu einer Verabredung mit einem Mann ist, ganz zufällig der Kunststudentin Emma begegnet, dann stoßen hier zwei verschiedene Gesellschaftskreise aufeinander, die sich in ihrem Kontrast gegenseitig anziehen, gleichzeitig aber auch von einander entfernen. So ist die Protagonistin Adéle aus dem Proletariat (schlichtes Elternhaus, Spaghetti als Festmahl, gefangen in klassisch, traditionellen Idealen ect.), während Emma, eine Künstlerin, der Oberschicht angehört (starker Drang zur Kunst, in wohlhabenderen Kreisen gern gegessene Austern, Brechen aus sexuell, sozialpolitischen Idealen ect.) und dennoch herrscht trotz dieser "Komplikationen" ein gegenseitiges Verlangen nacheinander.
Dabei ist die homosexuelle Liebe vollkommen unwichtig. Abdellatif Kechiche selbst sei enttäuscht gewesen, dass sein Film von Teilen seines Publikums als "Queer"-Film angesehen werde. Kechiche's Inspiration dieses Werk zu verfilmen war es die wunderbare, natürliche Liebe zu zeigen, Schicksale und Zufälle, wie auch Schmerz und Leid darzustellen. Dabei ist die homosexuelle Beziehung nur ein Deckmantel, der sich im Hintergrund abspielt. Im Innern wird die Liebe in Verbindung mit der Wahrheit, welche bereits in seinem Film "La graine et le mulet" Anklang fand, präsentiert. Wenn Adéle direkt nach dem Sexakt mit einem männlichen Partner merkt, dass sie kein Gefühl der Besänftigung, der Offenbarung, letztlich der Liebe erfährt und selbst der Orgasmus sich nicht in seiner vollen Kraft entfalltet, dann wird sie mit der bitteren Wahrheit konfrontiert, dass sie sich selbst etwas vorspielt und sie in ihrer derzeitigen sexuellen Orientierung kein Glück finden kann.
Mit Emma tritt jene Emotionalität von der ersten Begegnung an ein. Die Nacht darauf träumt Adéle gar von einem geschlechtlichen Akt mit dieser blauhaarigen Schönheit, während sie sich dabei gefühlvoll und voller Hingabe bis zur Ekstase masturbiert.
Auch Emma ist von der jungen Schülerin fasziniert und in dem Moment, wenn sie Adéle in einer Lesbenbar bemerkt, scheut sie sich in keinster Weise, spricht sie direkt an und führt eine Konversation über Kunst (Literatur) und recht banale Dinge. Dies ist der Beginn einer Beziehung, welche Lust und Freiheit, Liebe und Trauer, Schmerz, Streit und Versöhnung den ganzen Film über trägt und somit die gesamte Palette einer Liebesbeziehung vorzeigt.
Dabei hilft Kechiche's inszenatorischer Stil dieser Beziehung eine emotionale Nähe zum Publikum zu verschaffen, denn die im Diskurs umstrittenen, expliziten Sexszenen zwischen den beiden Frauen schaffen eine starke Intimität, sodass wir uns ganz dem Verlangen und der Obssession der beiden Frauen hingeben können.
Erstmals wurde die Palm d'Or nicht nur an den Regisseur, sondern auch an die beiden Hauptdarstellerinnen vergeben (Jurypräsident Steven Spielberg begründete dies, dass der Regisseur ohne seine beiden Darstellerinnen diesen Film in keinster Weise hätte so realisieren können) und das vollkommen verdient, denn Kechiche selber sagte in Interviews, dass er bei Castings ganz strikt nach der für ihn perfekten Chemie auf der Suche war, welche er vom ersten Moment an in Adéle Exarchopoulos und Léa Seydoux gefunden hat. So hat er die Figur der Protagonistin auch voll und ganz auf Adéle zugeschnitten, die nicht umsonst im Film denselben Namen trägt (was übrigens einer der vielen Unterschiede zur Vorlage ist), auch haben die beiden Darstellerinnen die gleichen Ideale und kommen aus derselben Gesellschaftsschicht wie ihre Figuren.
Und was die beiden auf die Leinwand "zaubern", ist lebensnah und gerade dadurch so hochintensiv; hier stimmt die Chemie in jeder noch so kleinen Geste und Mimik, bei den Sexszenen herrscht eine permanente erotisch aufgeladene Spannung und ihre Begegnungen sind, ganz gleich ob Freude oder Trauer, zu jeder Sekunde glaubhaft, ihre Konfrontationen explosiv und natürlich. Ganz großes und prägnantes Schauspielkino!
Sowohl die Anfangs-, als auch die Endszene stehen schließlich in einer obligaten Symbiose und beim Abspann wird der Zuschauer aus einem der ehrlichsten, natürlichsten und wundervollsten Filme über die Liebe, Sehnsüchte und Selbstfindung gelassen.
10/10 - Meisterwerk
Zum Bild:
Am Bild gibt es nichts auszusetzen, perfekte Detailzeichnung, sensationelle Schwarzwerte, toller Kontrast mit schon fast aus dem Fernseher springenden, plastischen Aufnahmen (2.35:1). Keine Doppelkonturen bei gelegentlichen Wackelkamera-Szenen.
Kurz: Perfektes Bilderlebnis.
Zum Ton:
Auf der Blu-ray finden sich zwei Tonspuren, die deutsche und französische, beide liegen im DTS-HD Master-Audio 5.1 vor und bieten eine stimmungsvolle und vom Klang her dezente Untermalung. Wie üblich bei (Arthaus-)Dramenfilmen liegt der Fokus ganz auf den Dialogen, welche hier zudem immer klar und verständlich transportiert werden.
Erstaunlich ist dabei wie gut auch die deutsche Synchro funktioniert, die gute und "frische" Sprecher bietet und selbst das Textbuch ist dem Original sehr ähnlich. Dennoch ist auch hier die Original-Tonspur zu empfehlen, da die gesamte Stimmung noch besser zum Tragen kommt.
Das einzige Manko war, dass im Original-Ton ein, zwei Szenen deutlich leiser abgemischt waren, was aber anhand von Untertiteln das Filmerlebnis nicht trübt.
Zur Ausstattung:
Die Extras sind anhand der Begeisterung der Presse und Klasse dieses Werkes leider insgesamt etwas enttäuschend. Es gibt drei Interviews mit dem Regisseur Abdellatif Kechiche und den beiden Hauptdarstellerinnen Adéle Exachorpoulos und Léa Seydoux, in denen es um den Dreh, die Inszenierung, Motivation/Inspiration und Rollenanalysis geht. Weiter gibt es drei zusätzliche Szenen, die ihren Weg nicht in den finalen Schnitt gefunden haben, sind aber mehr Randnotiz und nur eine ist wirklich relevant, die so auch hätte den Weg in die finale Fassung finden können. Auch der deutsche Trailer ist mit an Bord, ansonsten noch Trailer zu aktuellen Filmen von Alamode Filmverleih (Moliere auf dem Fahrrad, Gabrielle, Finsterworld ect.).
Von einem ausführlichen Making-Of, gerade wo der Dreh doch als so intensiv und hart angesehen wurde, fehlt jegliche Spur, auch ein Audiokommentar, der sich hier perfekt anbietet, ist nicht zu finden. Zusätzlich gleicht es einem Mysterium, dass auf dem Cover eine "Special Edition mit Bonus" geworben wird, man aber bis auf die oben genannten Extras, die zudem seit 5 Monaten bekannt sind, keinerlei spezielle Extras zu finden vermag. Weder ein Booklet, noch eine anderweitige Zugabe. Wenigstens hat sich Alamode-Film auch für diesen Film für ein Wendecover entschieden (wobei deren Filme grundsätzlich Wendecover besitzen).
Fazit:
"La vie d'Adele" ist ein meisterhafter Film über das Erwachen, die Liebe und (sexuelle) Selbstfindung, welcher durch seine naturalistische Note für eine starke Emotionalität zum Zuschauer sorgt und mit seinen überragenden Darstellerinnen zwei der interessantesten und schönsten Frauenporträts der vergangenen Jahre darstellt, dabei ist die 179 minütige Liebesgeschichte jede einzelne Minute faszinierend. Bild und Ton können sind dem Film würdig, leider fehlt es etwas an tiefer gehendem Bonusmaterial und der versprochene Special Edition Bonus ist nicht zu finden.
bewertet am 15.05.14 um 21:11