Enter the Matrix - Interpretation und Wertung der Saga
Dass auf der Gegenseite mit der damals für den Film entwickelten Bullet-Time-Technik gleichzeitig auch für das Auge etwas Neues und stil prägendes geboten wurde, soll hierbei aber nicht verschwiegen werden. Gerade die Bullet-Time wurde im Anschluss in einigen Filmen verwendet, sei es in dem Martial-Arts-Actioner „Romeo Must Die“ oder als kleine Anekdote in Dreamworks „Shrek“.
Dass der Film jedoch über viele Jahre seinen Status weiter ausbauen konnte und nichts an Faszination einbüßte, ist der Geschichte und den mannigfaltigen philosophischen Ansätzen geschuldet.
Das Konzept
Matrix bedient sich im Storyaufbau bewährter Storyelemente und Stilmittel. Da ist zum einen der Ansatz der weltentrückten Realitätswahrnehmung der Bevölkerung, der einem jeden Menschen mehr oder minder bekannt ist und mit dem Versuch des Unterbewusstseins zusammenhängt, in seinem Leben eine tiefere Bedeutung zu finden und aus seiner eigenen Realität auszubrechen. Mit diesem Grundgefühl wird eine Grundkonstellation etabliert, welche sich aus genretypischer dystopischer Vision und unterschiedlichen Bezügen zu Literatur, Popkultur und Spiritualität zusammensetzt.
Nachdem Thomas Anderson seinem Instinkt immer weiter nachgibt um zu ergründen, was die Matrix ist, wir das Momentum des Storytransports über die essentielle Grundkonzeption von Carrolls „Alice im Wunderland“ vorangetrieben. Hierbei wird bereits schnell deutlich, dass man es bei der Matrix, welche anfangs als paradoxe, tief empfundene Isolation des Ichs von der Realität wahrgenommen wird, mit einem Konzept zu tun hat, welches in seinem grundlegendem Gedankengut vielerlei Bezug zu Klassikern der Sci-Fi Literatur und in der Neuzeit der dystopisch-postpokaliptischen Manga und Animekultur Japans aufweist. Hierbei werden die Erklärungen in erster Linie durch die Erläuterungen Morpheus’ sowie der Demonstration der Möglichkeiten innerhalb der Matrix in Form ungewöhnlicher Actionsequenzen geliefert. Während Morpheus in seinen Monologen die philosophischen und wissenschaftlichen Aspekte ergründet, arbeitet vielerlei der dargebotenen Effektsequenzen innerhalb der Matrix auf die Vorbereitung der spirituellen Komponente hin oder transportiert direkte Botschaften durch das gezeigte. Bereits hier wird dem aufmerksamen Zuschauer der Ansatz des Geschichtenerzählens durch optische Symbolkraft nahe gebracht, welcher vor allem in der ambitionierten Fortsetzung „Matrix Reloaded“ von 2003 stark in den Vordergrund gerückt wird – immer noch eingebettet in die Grunddynamik, welche „Alice im Wunderland“ entnommen wurde.
Dabei werden ab Teil 2 die Bezüge zur Animekunst gesteigert, die klaren wissenschaftlichen Aspekte vertieft und doch ein wenig an den Rand geschoben, während die philosophischen und spirituellen Konzepte an gewicht gewinnen und eine Erzählstruktur und Storyvermittlung aufbauen, welche im Mainstreamkino modernen Mainstreamkino ein Absurdum darstellt, welches sich herkömmlichen Bewertungskriterien, objektiv betrachtet, fast zur Gänze entzieht. Dass dieser gewagte Schritt der Vertiefung und Umkehrung der Erzählformel zum einen sehr mutig war ist unbestreitbar, jedoch wurde diese von vielen Zuschauern nicht als solche angenommen, weshalb der Film filmhistorisch betrachtet heute leider nicht den besten Ruf geniest. Der im gleichen Jahr angelaufene dritte Teil der Saga “Matrix Evolution“ schließt die Geschichte um den Auserwählten Neo und seine Mitmenschen vorerst ab, wobei dies vor allem auf den Kreislauf des Lebens bezogen werden muss und somit wiederum, unterschiedlichen realen Glaubensphilosophien, sowie der geschichtlich bedingten Wiederkehr der Menschheitsgeschichte zugeschrieben werden kann.
Da der Autor davon ausgeht, dass geneigte Leser die Filme gesehen haben, werde ich nicht auf jeden Film einzeln eingehen, sondern die Geschichte in seiner Gesamtheit betrachten und auch SPOLIER nicht axtra kenntlich machen.
Interpretation der Saga
Die Matrix Saga vereint verschiedenste Elemente und Denkansätze sowie theologische und metaphysische Versatzstücke zu einem ausufernden Ganzen. Zum einen ist hier die Zentrale Figur des Erlösers, wie man ihn in unserer westlichen Hemisphäre vornehmlich aus der Bibel kennt, genauer, dem Neuen Testament.
Neo und Smith
Neo – Der Auserwählte:
Neo ist nach dem Ansatz der Matrix-bezogenen Philosophie die Funktion des Individuums Thomas Anderson und deshalb gemäß der Bestimmung bzw. der Vorsehung sein wahrer Name. Es macht also Sinn sich den Namen der Hauptfigur näher zu Gemüte zu führen.
Der Begriff Neo kommt aus dem Lateinischen und bedeutet „Neu“, gleichzeitig gibt es diesen Begriff in Form von Akronymen und Anagrammen, welche unterschiedliche Bedeutungen haben. Ein interessantes Anagramm des Begriffs Neo ist One – selbst P.O.D (Payable On Death), verwendeten diesen „verdeckten“ Symbolismus des Namens in Ihrem Videoclip zu „Sleeping Awake“ vom Offiziellen Motion Picture Soundtrack zu „Matrix Reloaded“, um die Gleichsetzung Neos in der Welt der Matrix mit „The One“, dem Auserwählten oder dem Erlöser gleichzusetzen; also Gottes Sohn.
Über die lateinische Bedeutung ist die Brücke zur Erneuerung ebenfalls schnell geschlagen. Das erklärte Ziel des Widerstands der Menschen, sowie Teil der Entwicklung Neos, welche zum Ende des ersten Films erstmals sichtbares Gewicht erhält und sich auf Neo selbst bezieht ist die Erneuerung.
Eng verbunden ist der Prozess der Selbsterneuerung hierbei mit dem im Film auftauchenden Orakel. Es geht hierbei um den Glauben an sich selbst und die Rolle, die das Schicksal einem vorherbestimmt hat, aber auch die Macht des freien Willens, welches zentrale Themen der Filme darstellen. So wird Neo bei seinem ersten Besuch beim Orakel, entgegen den Behauptungen und Überzeugungen Morpheus’, mitgeteilt, er sei nicht der Auserwählte. Essentiell für diese Szene und die damit verbundene Bedeutung ist der Umstand, dass es nicht das Orakel ist, die es ausspricht, sondern Neo selbst – ergo – solange er nicht selbst die Entscheidung trifft, der Auserwählte zu sein, ist er es auch nicht, der Prozess der Selbstfindung ist nicht abgeschlossen und somit der Start der Selbsterneuerung nicht möglich. Neo selbst spricht es aus und offenbart damit seinen Unglauben in Bezug auf die ihm vorbestimmte (?) Funktion. (Aufschlussreich ist in diesem Zusammenhang auch das Schild über der Tür des Orakels mit der Aufschrift „Temet Nosce“, welche soviel bedeutet, wie „Erkenne Dich selbst“)
Diese Funktion ist jedoch Teil seiner außergewöhnlichen Fähigkeiten, die aufgrund seines Geistes, welcher sich über herkömmliche Grenzen der Physik und Wissenschaft in einem Maße hinwegsetzen kann, dass er innerhalb der Matrix bei voll ausgeschöpften Potential nahezu allmächtig sein würde.
In diesem Zusammenhang ist ein in der modernen Psychologie bekanntes Akronym recht faszinierend. Zwar im Detail unzutreffend, der jedoch augenscheinlichste und prägnanteste Punkt bezieht sich auf den Punkt der „Offenheit für Erfahrungen“ des 5-Faktoren Modells zur Persönlichkeitsbestimmung. Das NEO-Modell steht hierbei im Detail für „Neuotizismus“, „Extraversion“ und eben der besagten „Offenheit für Erfahrungen“. Durch die individuelle Namensgebung Neos, kann man also interpretieren, dass das Pseudonym, welches sich der Hauptcharakter noch während seines Lebens innerhalb der Matrix gegeben hat Ausdruck seines Charakters und seiner Funktion ist, noch bevor er diese Funktion bewusst angenommen hat, denn erst durch die besagte Offenheit verfügt Neo innerhalb der Matrix über die Macht diese nach seinen Vorstellungen zu biegen und zu benutzen. Dies führt einen unweigerlich zu der Hauptfragestellung des zweiten Films „Matrix Reloaded“, die Hinterfragung des freien Willens und dem Zwiegespräch Neos mit dem Architekten.
Agent Smith/Mr. Smith:
Die Agenten sind in den Filmen „Antiviren-Programme“, welche die Stabilität der Matrix und somit der Maschinen schützen. Die zu vernichtenden Viren, sind die Menschen, welche nicht an der Matrix im üblichen Sinne angeschlossen sind, sondern diese freiwillig infiltrieren und somit nicht nur klare Kenntnisse der Matrix haben, sondern die dort herrschende Stabilität bedrohen. Die klare Definition der Aufgabe dieser Programme ist natürlich offensichtlich, nur wird im Falle des Agenten Smith, eine Verkettung von Zufällen dazu führen, dass er ein Negativ des „Einen“ wird. Durch die Vernichtung des Agenten am Ende von Teil eins erschafft sich dieser durch die Überschreibung seiner Programmcodes durch Neo selbst ebenfalls neu und erhält eine neue Bestimmung, welche in Grundzügen mit seiner vorherigen Funktionen einhergeht. Er ist die Gegenseite der Münze. Da Neo, von den Maschinen auch als Anomalie bezeichnet, aber nicht nur bezüglich der menschlichen Hoffnungen eine Funktion bedient, sondern auch für die Matrix selbst, denn die Matrix selbst erzeugt diese Ungleichnis im ansonsten perfekten mathematischen System der Maschinen, um somit die Konstante Abweisung der emotionalen, irrationalen Menscheit auf die maschinelle Perfektion auszugleichen, wird Mr. Smith nach dessen Selbsterneuerung zur Gegenseite der Gleichung des Auserwählten und durchbricht somit den Kreislauf, der durch die bisherigen Anomalien oder Reinkarnationen des Auserwählten erst möglich wurde – das kalkulierte Ungleichgewicht wird unerwartet ausgeglichen, die Maschinen verlieren die Kontrolle und sind so gezwungen, der Situation erst Rechnung zu tragen. Diese Thematik der mathematischen Gleichung deren Bestandteil die Anomalie in Form Neos ist wird gegen Ende des Films „Matrix Reloaded“ im Monolog des Architekten deutlich.
Bildsprache und Symbolismus sind tragende Pfeiler der Geschichte
Bereits in Teil eins wird wichtige Faktoren verbildlicht, dies offengründig in den Actionsequenzen, jedoch auch in ruhigeren Szenen. Eines der bekanntesten Beispiele ist die Einstellung in der Neo beschliest seine Wohnung zu verlassen und im Club zum ersten mal auf Trinity trifft („Follow The White Rabbit“), ab in den Kaninchenbau, eine Redewendung, die auch von Morpheus später wieder Verwendung findet und sich in Form vieler Details in den späteren Teilen wieder findet. Der Kampf David gegen Goliath (Neo gegen Smith) am Ende von Teil eins zeigt den Tod Andersons und die Geburt des Erlösers, sie zeigt aber auch die Erschaffung seines Gegenstücks (Agent Smith) und beschleunigt den vorbestimmten Kreislauf durch die anscheinende freie Entscheidung Neos, sich seiner Bestimmung zu stellen, diese Anzunehmen und den Kampf fortzuführen, ausgelöst durch die Liebe, welche Trinity vorausgesagt wurde und somit sich bereits hier das Paradoxon andeutet, wo freier Wille endet und Schicksal und Karma beginnt.
Dieser Aspekt wird vornehmlich in der Kampfsequenz Neo gegen die 100 Smiths deutlich, welche voller Symbolkraft steckt. Neo nimmt den kampf gegen sein eigenes Negativ auf (The One= der einzelne, ergo ist das Negativ die anonyme Masse, gegen die er ankämpft und die sich gegen ihn stellt), dass der Kampf von keiner der Seiten gewonnen werden kann, kommt hierbei nicht von ungefähr und beschleunigt direkt den Zerfll der Matrix, denn in Neo sieht das nun (un)freie radikale Programm Smith seine einzige Bestimmung, den Grund seiner Existenz und bringt ihn dazu seine Funktionen einzusetzen, um dieses Gleichgewicht zu seinen Gunsten zu verschieben, indem er noch mehr Funktionen der Matrix übernimmt und seinen Code kopiert um weiter an Macht zu gewinnen und seine Bestimmung erfüllen zu können.
Dieser Umstand führt soweit bis die Matrix voll unter seiner Kontrolle ist und ihn und Neo aufgrund der Hilflosigkeit der Maschinen und deren Unfähigkeit dem Programm Smith Herr zu werden zusammenführt in der unausweichlichen Climax in „Matrix Revolution“ Hierbei gibt es natürlich auch den Aspekt der weltlichen Funktion zu betrachten, welche wiederum zum Ende von Teil 2 auftritt und die Brücke zum Finale in Teil 3 schlägt. Aber auch die Autobahn-Sequenz oder die Rettungs-Seuenz Trinitys verdeutlicht die Allmacht des Auserwählten und die vom Architekten thematisierte konkrete Fixierung aus der Neo seine Macht bezieht (die Liebe), aufgrund dieser er alles außer Acht lässt, um diese zu retten und (die aufgewühlten Autos in der Flugsequenz= mögliche Vernichtung vieler Leben) rücksichtslos mögliche Folgen ausblendet.
Zu Neos Fähigkeiten außerhalb der Matrix habe ich bereits verschiedene Versionen gehört. Zum einen, dass Neo aufgrund seiner Macht eine art W-Lan-Verbindung in die Matrix hat und somit direkt auf die Wächter Einfluss nehmen kann, kombiniert mit einer gewissen metaphysischer Betrachtung kann man jedoch auch interpretieren, das Neo selbst ein fester Bestandteil der Matrix ist. Das Orakel selbst sagt, er war noch nicht soweit und sei deshalb in einer Zwischenwelt zwischen der Welt der Maschinen und der der Menschen gefangen. Dies könnte man also als eine Art Ungleichgewicht deuten, innerhalb der Erneuerung Neos. Während seine Fähigkeiten, seine Vergeistigung, zunehmend expandieren ist die Entwicklung seiner stofflichen Hülle weniger weit fortgeschritten. Durch den Angriff auf die Sucher wird sein Körper überlastet und Neo lädt ein Backup seines Geistes über diese Drahtlosverbindung in die Matrix, wobei er in der Zwischenstation des Trainman strandet.
Die Auflösung am Ende von „Matrix Revolution“ ist die unausweichliche Auflösung der Gleichung, welche durch die Veränderung Smiths unausweichlich wird und erst durch die Assimilation des Orakles, in dieser Form endgültig ermöglicht wird. Die Opferung Neos für das übergeordnete Ganze, sprich das Überleben der Menschheit und dem erstmaligen Nichtauftretens der Vernichtung Zions, werden die bisherigen Voraussetzungen des ewigen Kreislaufs des Schicksal der Menschheit unwiederbringlich verändert und Neo bringt somit die Erlösung für beide Welten, von denen er selbst gleichermaßen Teil ist - die Welt der Menschen, sowie der Maschinen und entspricht somit dem ewigen Kreislauf der Erneuerung und Widergeburt, welche in allen großen Weltreligionen thematisiert ist.
Unter diesen Gesichtspunkten betrachtet sind also auch die Matrix-Fortsetzungen an sich keine flachen Action-dominierten Fortsetzungen des viel gepriesenen Erstlings, sondern mutige und intelligente, weil hoch komplexe Fortführungen der zugrunde liegenden Idee.
In diesem Sinne verabschiede ich mich, denn ich habe zuviel Wein getrunken, also muss ich jetzt p….n gehen
Der Schlumpfmaster
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