Andres Veiel wurde 1959 in Stuttgart geboren. Er studierte Psychologie in Berlin und absolvierte eine Regieausbildung. Bekannt wurde er 2001 mit seinem Dokumentarfilm "Black Box BRD", 2004 folgten "Die Spielwütigen". 2005 wurde mit "Der Kick" sein Dokumentar-Theaterstück uraufgeführt. 2011 hatte sein erster Spielfilm "Wer wenn nicht wir" Deutschland-Premiere. Der Film erhielt zahlreiche Preise, darunter den Alfred-Bauer-Preis der Berlinale sowie den Deutschen Filmpreis in Bronze für den Besten Spielfilm.
"Wer wenn nicht wir" thematisiert die Vorgeschichte der RAF und konzentriert sich dabei besonders auf die Personen Bernward Vesper (gespielt von A. Diehl) und Gudrun Ensslin (L. Lauzemis). Wir freuen uns, Ihnen anlässlich des Verkaufsstarts von
"Wer wenn nicht wir" auf Blu-ray Disc ein Interview mit dem Regisseur Andres Veiel präsentieren zu können.
Sie haben bereits einige Dokumentarfilme gedreht. Wo besteht denn der Unterschied in Ihrer Arbeit, wenn Sie einen Spielfilm drehen?
Es gibt da einen grundlegenden Unterschied: im Spielfilm genießt der Schauspieler den Schutz der Rolle. Das ist bei diesem Film besonders wichtig, da sehr viele private und intime Details gezeigt werden. Diese Sachen kann man in einem Dokumentarfilm eher nicht zeigen. Im Spielfilm lässt sich zudem das Wechselspiel zwischen Privatem und Politischem sehr gut veranschaulichen. Um einen Dokumentarfilm zu drehen, hätten die echten Personen auftreten müssen, dazu waren viele nicht bereit oder sie waren nicht mehr am Leben.
Erinnern Sie sich noch an die Zeit?
Ich war damals noch sehr jung, mit 15 Jahren habe ich dann am Prozess gegen Gudrun Ensslin, Andreas Baader und andere Mitglieder der RAF in Stuttgart-Stammheim teilgenommen und war bei ersten Hausbesetzungen dabei.
Einige Zeit danach kam ein bekannter Abgeordneter zu mir und verriet mir, dass es ein Dossier des Verfassungsschutzes über mich gibt. Wenn ich also in diesem Staat noch etwas werden will, soll ich die Finger davon lassen. Mir wurde dann bewusst, dass ich in diesem Staat vielleicht gar nichts mehr werden möchte, wenn es wegen solcher Aktivitäten bereits eine Akte über mich gibt. Zu dieser Zeit war ich noch in der Jungen Union aktiv, bin aufgrund der Ereignisse aber dann ausgetreten.
Wie sind Sie darauf gekommen, die Thematik zu verfilmen?
Ich habe ja bereits vor 10 Jahren den Film "Black Box BRD" gedreht und war schon im Thema drin. Der Auslöser war dann aber das Buch "
Vesper, Ensslin, Baader - Urszenen des deutschen Terrorismus" von Gerd Koenen, das eine komplett neue Sicht auf Bernward Vesper und Gudrun Ensslin eröffnete. Für mich stellte sich beispielsweise die Frage, wie passen die Herausgabe von NS-Literatur und die späteren Aktivitäten von Gudrun Ensslin zusammen. Um die Widersprüche zu zeigen, muss man also viel früher ansetzen, als mit der Gründung der RAF.
Die ersten Ideen zu dem Film hatte ich 2004. Ich habe dazwischen "
Der Kick" gemacht und mich 2008 wieder mit dem Projekt beschäftigt. Insgesamt hat es mit Casting etwa 3 Jahre gebraucht.
Der Film zeigt sowohl Merkmale eines Spielfilms und einer Doku, wo würden Sie den Film selbst einordnen?
Es ist natürlich ganz klar ein Spielfilm, er ist bis ins Detail von der Ausstattung bis zum Sound Design arrangiert, es herrscht die Atmosphäre der Zeit. Ohne das Archivmaterial wäre es ein Kammerspiel mit 3 Personen geworden. Das Material öffnet das Ganze. Die Proteste gingen zu der Zeit in vielen Ländern los, es ging auch gegen den Vietnamkrieg. Ich wollte zeigen, dass man mit Protesten auch etwas ausrichten kann, daher sind die Archivszenen mehr als nur Illustrierung.
Ihre Schauspieler sind ja noch zu jung, um die Zeit wirklich miterlebt zu haben. Haben sie sich speziell auf die Rollen vorbereitet? Wenn ja, wie?
Der Film sollte nicht klingen wie aus dem Museum, daher haben wir einige Sachen - wie zum Beispiel die Sprache - nicht 1:1 übernommen. Sie sollte glaubhaft klingen, deshalb haben wir lange dafür geprobt und viel Zeit in Gespräche und Hintergrundmaterial investiert. Die Schauspieler waren sehr neugierig, was es sehr erleichtert hat.
Welche Figur fasziniert Sie selbst am meisten?
Das ist natürlich die Figur Bernward Vesper. Er ist nicht umsonst die Hauptfigur, ich war von Anfang an von ihm fasziniert. Er braucht die Kunst zum Überleben. Ich erkenne mich da ein Stück in ihm wieder. Gudrun Ensslin fasziniert mich ebenfalls. Besonders ihre Verwicklung in die NS-Literatur. Diese Widersprüche passen nicht zu ihrem späteren Handeln.
Welche schauspielerische Leistung ist Ihrer Meinung nach am herausragendsten?
Da kann ich gar keinen herausheben. Ich bin glücklich über ein großartiges Ensemble, für das wir lange gecastet haben. Ich habe die Schauspieler in der Arbeit kennengelernt und konnte daher auch ein feines Instrumentarium für jeden entwickeln. Der Zugang zu jedem Schauspieler ist unterschiedlich. Bei einem hilft eine Literaturempfehlung, einem anderen nimmt man die Bücher am besten weg. Ich bin einfach dankbar, dass wir eine so tolle Zusammenarbeit hatten.
Auf welche Zielgruppe zielen Sie mit diesem Film?
Ich bin ja viel mit dem Film unterwegs, sowohl in Deutschland als auch im Ausland. Es interessieren sich viele ganz junge Leute dafür, aber auch ältere Menschen, die die Zeit miterlebt haben. Sowohl Schüler als auch Lehrer. Es tauchen immer wieder verschiedene Fragen auf. Was kann man heute tun? Gerade mit der Wirtschafts- und Finanzkrise stehen wir vor extremen Herausforderungen: Gewinne wurden jahrelang privatisiert, jetzt müssen für die gigantischen Schuldenberge die Steuerzahler, d.h. wir alle, aufkommen. Die Frage: "Was muss passieren, damit etwas passiert?" wird immer wieder gestellt. Die Frage des Aufbegehrens ist eben sehr aktuell. Der Film soll Fragen aufwerfen und neugierig machen.
Eine vielleicht hypothetische Frage: 3D ist ja zur Zeit in aller Munde wie kaum ein zweites Thema in der Branche. Könnten Sie sich vorstellen, das einzusetzen?
Wenn es sich thematisch anbietet, ja. Ich stelle mir das vor wie bei "Pina" von Wim Wenders. 3D muss den Raum öffnen und dazu beitragen, die Geschichte besser erzählen zu können. Es darf kein Firlefanz sein. Wenn es sich gut integrieren lässt, bin ich durchaus bereit, den zusätzlichen Aufwand in Kauf zu nehmen. Es bietet sich auch bei Dokus an, dann muss der Raum aber mehr als eine reine Reflexion sein.
Noch eine letzte Frage: Können sie uns schon etwas über Ihr nächstes Projekt verraten?
Das wird im weitesten Sinne mit der Wirtschafts- und Finanzkrise zusammenhängen. Ich nähere mich dem Berg momentan von mehreren Seiten. Ich frage mich, was geht im Dokumentarstil und was ist vielleicht kinotauglich, daher stelle ich auch schon die Weichen für einen Kinofilm. Ich werde mich sicher mit der individuellen Schuld an der Krise befassen, dafür muss ich mich aber auch mit komplizierten Strukturen beschäftigen. Und dennoch soll es ein spannender Film werden, den es so noch nicht gegeben hat.
Vielen Dank für das Interview!
(or)