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Zitat von TheExorzist
Ähm... der Film folgt nicht nur nicht den normalen Konventionen
eines Kriegsfilms, er folgt nicht den normalen Konventionen eines
Films.
Dann hast du eine sehr engstirnige Sicht auf das Medium Film, die
so auch nicht richtig ist. Eine geradlinige Narration mit
Charaktereiführung und -entwicklung ist nur eine Form der
Erzählung, sie hat aber nicht den Anspruch die einzig richtige zu
sein. Vielmehr ist sie die vorherrschende Form im Mainstreamkino
und Unterhaltungsbereich. Ich hab ja bereits in meiner Kritik
gesagt, dass Nolan hier glücklicherweise die Freiheiten hatte auf
viele kommerzielle Konventionen zu pfeifen um sein Konzept umsetzen
zu können. Und das Konzept geht in meinen Augen voll auf. Nehmen
wir mal ein paar andere Antikriegsfilm-Klassiker:
Apocalypse
Now versuchte den Wahnsinn den Krieges darzustellen, wie alle
Figuren langsam in die Manie abdriften, weil die menschliche Psyche
diesen Dauerzustand von Gewalt und Gefahr nicht unendlich ertragen
kann.
Platoon hatte den moralischen Verfall als zentrales
Thema, wie Soldaten aufgrund von fehlender Gerichtsbarkeit langsam
ihren untersten Triebe und dunklen Seite ausleben.
Paths of
Glory behandelt das sinnlose Verheizen von Menschenleben zur
eigenen Ruhmessteigerung,
Full Metal Jacket die Divergenz
zwischen der Wahrnehmung in der Heimat und der Realität vor Ort,
Come and See
die Auswirkungen auf den
Entwicklungsprozess von Kindersoldaten. Alle Filmemacher dieser
Klassiker verfolgten ein Konzept mit Aussageabsicht, warum Krieg
ein menschenunwürdiger Zustand ist.
Nolans alleinige Intention ist es die Angst und Paranoia von Krieg
greifbar zu machen, mehr nicht. Und in diesem Punkt brilliert
Dunkirk: Die Sicht ist allein auf den POV der Alliierten
beschränkt, das Gefühl dem Feind ausgeliefert zu sein, weil man
nicht wann & wo er als nächstes zuschlagen wird, überträgt sich
so am stärksten. Wieso sollte Nolan hier eine klassische
Erzählstruktur wählen, wenn es ihm gar nicht um eine faktengenaue
Schilderung der Ereignisse geht? Das ist nicht Teil des Konzepts.
Wie genau das abgelaufen ist, kann man vermutlich heute eh nicht
mehr sagen. Nolan schaffte es aber den Gemütszustand der Briten in
dieser Woche nachvollziehbar umzusetzen, und das mehr als
authentisch. Hälst Du
Saving Private Ryan,
Hacksaw
Ridge oder
Black Hawk Down für realistisch, wo jeder
zweite Charakter einem Hollywwod-Klische entspringt? In
Dunkirk haben die Jungs Angst und handeln dementsprechend
so (was nicht immer sympathisch wirkt, dafür aber realistisch
anmutet). Sie sind bereits vom Krieg gezeichnet, da sie seit Tagen
& Wochen große Verluste hinnehmen mussten, weshalb sie ja
überhaupt an den Stand zurückgedrängt wurden. Da ist es auch
nachvolziehbar, dass sie nicht jeden weiteren gefallen Kameraden
betrauern, das haben sie schon die letzten Wochen tun müssen und
irgendwann schottet sich die Psyche ab. Ich fand es verdammt
beängstigend wie die Soldaten teilweise wie Zombies in Richtung
Evakuierungspunkt marschieren. Sie wollen einfach nur weg und sind
froh darüber, dass der letzte Bombenhagel nicht sie erwischt hat.
Auch die kurzen Jubelchöre wenn einem Verletzter über eine kurze
Barre geholfen werden könnte oder Tom Hardy den gegnerischen Stukas
einheizt, zeigen wie sehr sich die Soldaten noch Glücksmomenten
sehnen. Sie hatten halt kaum Erfolge in letzter Zeit zu verbuchen
und da freut man sich irgendwann auch über die kleinen Siege. Nolan
bringt diese Gefühle eher beiläufig rüber, lässt diese Momente den
Zuschauer selber dekodieren. Solche Beispiele von "Show, don' tell"
finden sich zuhauf in
Dunkirk, man muss nur gewillt sein,
sie zu finden.
Die Anonymität wird auch eine bewusste Regieentscheidung gewesen
sein, schließlich fühlten sich die Soldaten vermutlich damals auch
so. Keiner will neue Bekanntschaften schließen, was von sich
preisgeben, weil der Tod allgegenwärtig ist und Freundschaften
nicht lange halten. "Everyone fights his own batte" als
cineastischer Subtext sozusagen. Man wird einfach mit ins kalte
Wasser geworfen und ist live dabei. Das hat fast schon was
Dokumentarisches, trägt sehr zu Authentizität bei.
Im Original kommt noch hinzu, dass die Dialoge teilweise sehr
schwer verständlich sind, weil laute Geräusche im Hintergrund alles
überwuchern (Nolan liebt das, hat er schon bei
TDKR und
Interstellar gemacht). Diese Art der Soundabmischung ist
für Blockbusterkino zwar sehr selten, ist aber realistischer, weil
im Getöse man manchmal sein eigenes Wort nicht versteht. Und
tatsächlich sind viele Dialoge auch überflüssig, weil der Film
hauptsächlich über die Bilder kommuniziert. Das Storytelling wird
auf ein Minimum beschränkt, weil die Atmosphäre der Star ist.
Ich sehe
Dunkirk eher als eine Erfahrung an. Am Nähesten
wie man das Gefühl Krieg vermittelt bekommen kann, ohne selber
daranteil genommen zu haben. Die Immersion sucht ihres Gleichen und
kommt dabei komplett ohne Gimmicks wie 3D aus. Dass dem nicht der
gleiche Krammbumm-Spaßfakor eines klassischen Blockbusters
innewohnt, ist nun mal Teil der Sache.
Die Erzählstruktur mit den 3 Perspektiven, die aber alle einen
anderen Zeitraum abdecken, ist zudem auch auch eine nette Idee, die
in Kombination mit der handwerklichen Meisterlichkeit schon allein
mehr als eine Wertung von 2/10 rechtfertigen. Vielleicht hätte Blut
diese Erfahrung noch intensiver gemacht, aber dann hätte Nolan auch
deutlich weniger Budget gehabt und in IMAX mit dieser Scale zu
drehen ist nun mal kein kostengünstiges Unterfangen. Vielmehr finde
ich es beeindruckend wie gut er ohne Splatter und grafische Gewalt
auskommt und trotzdem so hervorragend funktioniert. Auf jeden Fall
bin ich glücklich, dass sie sich so entschieden haben. Ein Kollege
meinte direkt nach dem Kinobesuch, dass er jetzt erstmal
Saving
Private Ryan gucken muss, um wieder runterzukommen. Auch wenn
das natürlich etwas überspitzt formuliert war, so empfand ich die
Aussage auch als sehr treffend. Diesen Film durchlebt man, dafür
werden gewisse Standards vernachlässigt um die höchstmögliche
Wirkung zu erzeugen.