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Gerade gesehen: Cloud Atlas

15. November 2012
Wenn es einem Film gelingt, dass ich nach Ende des Abspanns noch wie gebannt im Kinosessel sitze, versuche meinen Gefühlshaushalt wieder in Ordnung zu bringen und am liebsten alle Menschen um mich herum umaramen möchte. Dann, ja dann, hat der Film einiges richtig gemacht. So wie Cloud Atlas.

Eines vorweg: Dieser Film wird nicht jedem gefallen. Manch einer wird mir womöglich einen Hang zum Pathos vorwerfen, andere werden sagen ich wäre voreigenommen, weil ich die Romanvorlage von David Mitchell so liebe. Ich kann die Kritikpunkte, die im Forum schon bald über den Film hereinbrechen, schon förmlich vor mir sehen. Manche werden da schreiben, die Episoden des Films, seien absolut zusammenhanglos. Es wird einige geben, die sagen dass ihnen die eine Geschichte ja wirklich gefallen hätte, der Rest sei aber eher so lala... Es wird viel Häme geben und ich bin mir sicher, dass die üblichen Verdächtigen wieder sagen werden, die Macher seien hier an ihren eigenen Ambitionen gescheitert. Sind sie meines Erachtens nicht und ich versteige mich hier gern zu der Aussage, dass Cloud Atlas der wichtigste Film des Jahres ist. Und das ist nicht selbstverständlich. Wie oft kommt es schon vor, dass eine Verfilmung anspruchsvoller Literatur ihrer Vorlage tatsächlich auf Augenhöhe begegnet?

Aber der Reihe nach, worum geht’s eigentlich? David Mitchell hat in seinem Roman „der Wolkenatlas“ eine Geschichte erzählt, die sich aus sechs einzelnen Episoden zusammensetzen und scheinbar nur lose verbunden sind. Die Aussage und das eigentliche Wesen der Geschichte erschließt sich dem Leser erst gegen Ende des mit seinen 600 eng bedruckten Seiten nicht gerade schlanken Buches, das ich so sehr liebe. Die Geschichten spielen über einen Zeitraum von über 500 Jahren und es ist Mitchells schriftstellerischer Klasse geschuldet, dass jede einzelne Geschichte einen eigenen Stil hat, die sie von den anderen abhebt. Der Reisebericht des Adam Ewing etwa wurde in der Sprache des 19 Jahrhunderts verfasst, die Geschichte um die Anwältin Luisa Rey dagegen wie ein Roman des späten 20 Jahrhunderts. Wie soll man sowas verfilmen? - Zumm Beispiel dadurch, dass man direkt der Regisseure an den Stoff setzt, die ihre eigenen Stile entfalten. Kritiker werden sagen, die einzelnen episoden wirken teils zusammenhanglos und man könne doch deutlich die Unterschiede zwichen den Arbeiten Tykwers und jenen der Wachowskis erkennen. Die Erklärung, dass diese Stilbrüche durchaus beabsichtigt sind, werden sie nicht anerkennen.

Zur Geschichte. Der englische Anwalt Adam Ewing unternimmt 1849 eine Seereise durch den südlichen Pazifik und macht die Bekanntschaft eines Maorisklaven. Die beiden retten sich gegenseitig ihre Leben, Ewing wirdmet sich fortan der Sklavenbefreieung. Seine Reiseberichte fallen 1936 dem jungen Komponisten Frobisher in die Hände der von ihnen inspiriert sein Wolkenatlas-Sextett schreibt. Ein musikalisches Meisterwerk, das den Neid eines Kollegen wachruft und damit sein Leben in Gefahr bringt. Eine der wenigen Kopien von Frobishers Musik ersteht die junge Journalistin Luisa Rey, die gerade an einer Enthüllungstory über Machenschaften im Umfeld eines Atomkraftwerks recherchiert, dessen Explosion den Tod vieler Menschen zur Folge hätte. Spätestens hier wird die Geschichte verkopft. Rey trifft auf den Physiker Sixmith, Jugendliebe von Frobisher, dessen Briefe ihr in die Hände fallen. Mehr noch: Wie die Geschichte um Rey tatsächlich ablief offenbaren weder Film noch Buch. Stattdessen sehen, bzw. lesen wir an dieser Stelle einen Roman dessen Manuskript der gealterte Kleinverleger Frobisher auf seinem Schreibtisch liegen hat. Dessen Geschichte mutet zunächst wie eine fragwürdige Slapstickeinlage an, die mit dem restlichen Ton des Films nun gar nichts mehr zu tun hat. Bis offenbart wird, dass sein Leben verfilmt wurde und im Neo-Seoul der fernen Zukunft von dem Klon Sonmi 451 gesehen wird. In dieser Zukunft wird die Welt als hyperkapitalistische Diktatur dargestellt, in der menschliche Klone für Dienstleistungen geschaffen werden. Sonmi 451 gelingt mit Hilfe von Rebellen der Ausbruch, sie opfert sich selbst um den Menschen die Wahrheit über das Regime mitzuteilen. Für ihren Mut wird sie in einer steinzeitlichen Postapokalypse als Gottheit verehrt. Puh...

Das Ganze wirkt, so kursorisch zusammengefasst konfus, dass es das aber keineswegs ist, ist das Verdienst der grandiosen Regisseure. Anders als im Buch, wo die Geschichten quasi nacheinander erzählt werden, montiert der Film die einzelnen Episoden so geschickt ineinander, dass man als Zuschauer kaum zu blinzeln wagt um nichts zu verpassen. So wie andere Filme zwischen den Handlungsorten springt Cloud Atlas zwischen den Zeiten und entflechtet so parallel die Eskalation der verschiedenen Episoden, deren Zusammenhang plötzlich offenbar wird. In allen Geschichten sehen wir Menschen, die bereit sind für ihre Überzeugungen einzustehen, Konventionen zu brechen und trotz aller Gefahren gegen herrschende Konventionen vorgehen. So selbstverständlich wie es einst die Sklaverei war, so selbstverständlich ist in unserer Zeit die Unterwerfung der Menschen unter die Wirtschaft, die schließlich in der Zukunft im Exzess endet. Den Höhepunkt der Geschichte bildet das Aufbegehren des jungen Adam Ewing, der für seine Überzeugung dass alle Menschen gleich sind mit seiner Familie bricht und sich dem Kampf gegen die Sklaverei verschreibt. Ihr Ende findet diese Science Fiction-Geschichte also in der Vergangenheit, von der man sich noch in der fernen Zukunft erzählt.

Und dann sitzt man nach fast drei Stunden im Kinosessel und möchte nicht aufstehen.

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am Ein großartiger Blog. …
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