Der Italowestern-Blog by Bollwerk94 - 1. Keoma
In der ersten Ausgabe meines kleinen Italo-Western-Blogs möchte ich euch oder Sie einem epochalen und bildgewaltigen Meisterwerk etwas näher bringen. Ich spreche vom letzten wahren Meisterwerk des Spaghettiwestern: Keoma
Leider bekam dieses Spätwerk nie die Aufmerksamkeit, die ihm eigentlich zugestanden hätte, viele sehen im Italo-Western leider bloß die Leone-Filme, der Rest sei nur Kopie.
In der Hauptrolle kann man Franco Nero in bestechender Form erleben. Viele halten ja Clint Eastwood für einen der wichtigsten Schauspieler im europäischen Westerngenre, andere glauben, Terence Hill hat diese Filme am meisten geprägt. Ich halte Franco Nero für die Identifikationsfigur des Genres. Er war nämlich mitten drin. Zunächst war er als Django eine Figur, die wie ein stark überzeichneter Clint Eastwood aus den Dollar-Streifen wirkt, Ende der 60er gelang es ihm als "Mercenario" und in "Zwei Companeros" die zweite Erfolgswelle auszulösen. Auf den Prügel-Zug, den Spencer und Hill auslösten, sprang er jedoch nicht sofort mit auf, erst 1975 war er als "Zwiebel-Jack" in einem typischen Klamaukwestern zu sehen. Ein Jahr später folgte einer der letzten ernsten Italo-Western: Keoma. Enzo G. Castellari zeichnete sich als Regisseur für diesen Streifen verantwortlich. und die De Angelis Brüder schrieben die Musik. Eine ganz typische Formation. Doch dieser Film war anders als seine Vorgänger in den Jahren zuvor, er wollte nichts neu erfinden sondern ist durch und durch voll mit Ideen aus anderen Western und sogar der Bibel, aber dazu später mehr.
(Kleine Spoiler sind enthalten)
Der Inhalt ist nicht so schnell erzählt wie bei den meisten anderen Western, denn es geht dabei auch um die Hintergründe des Protagonisten, der hier untypischerweise eine eigene Geschichte mit sich bringt. Keoma, ein Halbblut verliert seine Eltern und wird von William Shannon großgezogen, jedoch hassen Shannons leibliche Kinder Keoma dafür, weil sie sich benachteiligt fühlen. Dieser Konflikt reicht dann bis in die Gegenwart, denn die 3 Shannon-Söhne haben sich Caldwell angeschlossen, der die eine Stadt unter seine Kontrolle gebracht hat. Außerdem grassieren die Pocken in der Stadt und Caldwell lässt alle Infizierten in ein Lager bringen, wo sie höchstwahrscheinlich sterben werden. Keoma will die schwangere Lisa davor bewahren und rettet sie, bevor sie ins Lager kommt.
Ein anderer wichtiger Darsteller ist Woody Strode, der einen Säufer miemt, welcher mit seiner durch den Bürgerkrieg errungenen Freiheit nichts anzufangen weiß. Für mich war dies seine beste Rolle in einem Western.
Doch neben dem soliden Plot sind vor allem die gestalterischen Mittel das Aushängeschild dieses Streifens. Castellari hat sich bei ganz verschiedenen Filmen bedient, so waren lange Szenen ohne Schnitt, Drehungen um Darsteller, die von einer Situation zur nächsten leiten und Rückblenden in denen man den erwachsenen Keoma sein junges Ebenbild beobachten sieht ein wichtiges Merkmal dieses Films.
Das einzige visuelle Mittel, dass man wirklich nicht beherrschte, waren Zeitlupenaufnahmen. Diese wirkten fast immer unbeholfen und schlecht getimt. Ansonsten hat die Kameraführung in diesem Film mehr als Topniveau, denn auch das Spiel mit dem Breitbildformat wird hier perfekt beherrscht. Damit ist der Film ein toller Beweis dafür, dass dieses Format durchgesetzt hat und besser ist.
Man findet sogar starke Ähnlichkeiten zwischen Keoma und Jesus Christus, beide agieren selbstlos. Keoma wird im Film sogar an einem Wagenrad gekreuzigt. Ein weiteres Stilmittel ist eine alte Frau, die immer dann auftaucht (manchmal als Rück- oder Vorausblende), wenn gerade jemand stirbt, sie ist also stellvertretend für den Tod.
Auch audiovisuell weiß Keoma zu gefallen, Guido & Maurizio De Angelis schrieben die Noten und Susan Duncan-Smith und Cesare De Natale sangen dazu. Doch es war nicht einfach nur irgendein Lied, sondern es wurde ein für jede Szene passender Kommentar gesungen. Dieser Soundtrack steht bei einigen Fans auf der Most Wanted Liste, es gab mal eine Vinylscheibe mit einem kleinen Teil der Stücke, der Rest soll bei einem Brand in einem Archiv in Rom vernichtet worden sein.
Das Thema Synchronisation wird meist vergessen, doch hier schöpft Keoma aus den vollen und bietet einige Größen. Franco Nero wird von Klaus Kindler (u.a. Clint Eastwood) und Woody Strode von Wolfgang Hess (meist Bud Spencer) gesprochen. Sie ist professionell gemacht und nicht auf witzig, wie von Rainer Brandt und Konsorten gewöhnt, getrimmt.
Das Gesamtpaket macht aus Keoma den letzten großen Spaghettiwestern, denn der Film ist nicht perfekt, er hat Ecken und Kanten, die musikalische Begleitung trifft nicht jeden Ton perfekt, der Jesus-Vergleich und die Personalisierung des Todes wirken überzeichnet, doch gerade all dies macht den Film so einmalig. Solch ein Streifen wäre in Hollywood in den 70ern niemals entstanden. Auch dieses unverwechselbare Gesicht des Italowestern als Provisorium konnte noch ein letztes mal geschaffen werden.
Jeder sollte Werk einmal gesehen haben, für mich zusammen mit den Leone-Streifen das stärkste, was man in Italien geschaffen hat.
1993 traten Castellari und Nero noch einmal zusammen und versuchten einen Nachfolger zu drehen. Mit "Jonathan of the bears" oder "Die Rache des weißen Indianers" kam also Keoma 2. Jedoch war dies keine Fortsetzung, sondern eine reine Kopie. Alle wichtigen Merkmale wurden übernommen. Die Musik, die Rückblenden, die Kameraführung, sogar die Kreuzigung hat man wieder eingebaut. Jedoch kam in dieser italienisch-russischen Co-Produktion kein richtiges Western-Flair auf, Franco Nero war 15 Jahre zu alt für seine Rolle und die restlichen Akteure waren extrem untalentiert. Alles war eine Nummer schlechter als beim Vorbild. Der Film wirkte einfach uninspiriert und hilflos.
Viele wollten ja in den 90ern noch einmal in ihre alten Rollen schlüpfen (z.B. Bud Spencer und Terence Hill), doch in fast keinem Fall war dieses Comeback gelungen. Für Franco Nero war das schon das dritte mal, dass neben Zwei wilde Companeros und Djangos Rückkehr, eine Art Fortsetzung ziemlich floppte.
Mit Keoma - Melodie des Sterbens, bzw. Keoma - ein Mann wie ein Tornado konnte das Ende des Genres nicht aufgehalten werden, der Italowestern verschwand. Was dann kam war fast immer nur peinlich und hatte wenig mit den ursprünglichen Motiven zutun. Ein glückliches Beispiel war Bud Spencers Comeback im wilden Westen (Eine Faust geht nach Westen).
Von nun an waren Western weltweit nur noch Stückwerk. Der einzige, der alle Jahre wieder einen neuen Western herausgebracht hat, war Clint Eastwood. Nun ist dieser aber auch schon 82 und hat sich als Schauspieler zurückgezogen. Tarantino versucht sich nun auch im Genre, was mich nicht gerade in Freudentaumel versetzt, da die Schauspieler allesamt unpassend sind für einen waschechten Django-Streifen. (Den Django-Blogeintrag hebe ich mir aber noch bis zur Kinopremiere auf). Bleibt nur zu hoffen, dass Clint Eastwood sich noch mal ein Herz fasst und noch ein letztes Mal Sporen und Revolver verteilt an neue, unverbrauchte Schauspieler aus aller Welt. Er müsste sich doch noch an seine Anfänge in Europa unter Leone erinnern können.
Zurück zu Keoma: in Deutschland erschien eine wirklich gute Uncut-DVD von Kinowelt. Bei den Amerikanern gibt's dem Streifen auch schon auf Blu-Ray, in Deutschland ist jedoch noch keine Blu-Ray in Sicht. Und so zaghaft, wie man hier Western veröffentlicht, wird das ganze auch noch einige Zeit dauern.
Die Bilder sind natürlich Eigentum des Rechtinhabers dieses Filmes
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Kommentare
Danke für die breite Fülle von Infos und Ansichten !
Aber da sowohl Western als auch Italo-Western nicht mein bevorzugtes Genre sind werde ich den Film wohl nicht ansehen...
Danke für den wunderbaren Blog!