Das weisse Band - Beitrag zum Review-Contest 2010

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25. Juli 2010
Das weisse Band - Ein deutsche Kindergeschichte
1. Platz beim Review-Contest 2010





Michael Haneke blickt in seinen Filmen in die tiefsten Abgründe der menschlichen Natur. Egal ob sinnloses Morden („Benny’s Video“, 1992), brutale Gewalt („Funny Games“, 1997) oder psychologischer Terror („Caché“, 2005), immer stehen Menschen in extremen Situationen im Mittelpunkt seiner Filme. Dabei verzichtet Haneke in der Regel auf einfache Erklärungen oder vorgefertigte Interpretationen, ja selbst eine moralische Distanzierung von den geschilderten Taten bleibt der österreichische Regisseur oft schuldig. Der Zuschauer bleibt mit seinen Gedanken allein, und wird somit gezwungen, sich mit dem gesehenen noch intensiver auseinander zu setzen. Das ist nicht immer einfach, oft sogar verstörend, trägt jedoch dazu bei, dass Hanekes Filme lange in Erinnerung bleiben. Genauso verhält es sich auch mit dem vorliegenden Film „Das weisse Band – Eine deutsche Kindergeschichte“.

Story:

Das Dorf Eichwald kurz vor Ausbruch des 1. Weltkriegs. Mysteriöse Vorfälle ereignen sich in der kleinen protestantischen Gemeinde im ländlichen Norddeutschland: Der Arzt des Dorfes hat einen schweren Reitunfall, nachdem sein Pferd scheinbar über ein gespanntes Seil gestolpert ist. Die Frau eines Kleinbauern stirbt, nachdem sie während der Arbeit im Boden des örtlichen Sägewerks einbricht. Der behinderte Sohn der Hebamme verschwindet und wird kurze Zeit später schwer misshandelt im Wald aufgefunden. Diese und einige Vorfälle mehr ereignen sich binnen kurzer Zeit, jedoch bleibt die Suche nach dem oder den Tätern erfolglos. Nur der junge Lehrer des Dorfes stößt durch Zufall auf einige Hinweise, die ihn zu einem grauenvollen Verdacht führen.

Die hier portraitierte Gemeinde ist zu Beginn des 20. Jahrhunderts ein Schmelztiegel menschlicher Grausamkeiten. Dabei sind die in aller Öffentlichkeit stattfindenden Verbrechen nur die Spitze des Eisbergs. Das wahre Grauen lebt hinter den verschlossenen Türen der streng gläubigen Dorfbewohner. Neid und Missgunst, Brutalität, Verachtung, Beleidigungen und häusliche Gewalt sind an der Tagesordnung. Bigotte Moralvorstellungen werden den Kindern mit Rutenschlägen eingetrichtert. Weil sein halbwüchsiger Sohn sich beispielsweise an den „empfindlichsten Nerven seines Körpers“ vergangen hat, lässt ihm der Pfarrer des Nachts die Hände ans Bett fesseln, um ihm diese schändliche Angewohnheit auszutreiben.
Da der Film die Ereignisse hauptsächlich aus Sicht der Kinder erzählt, nimmt man an deren Leidensweg besonderen Anteil. Kaum eine Regung, geschweige denn ein unbekümmertes Lachen entweicht ihren, schon in jungen Jahren, versteinerten Gesichtern. Als Zuschauer fragt man sich daher unweigerlich, welche Auswirkungen ein Leben in dieser Umgebung auf die jungen und noch unschuldigen Kinderseelen haben werden.

Welche zukünftige Gesellschaft entsteht aus Individuen, deren Kindheit nicht von Liebe, sondern von Grausamkeit, nicht von Anerkennung, sondern von gnadenloser Disziplin und unbedingtem Gehorsam, nicht von elterlicher Fürsorge, sondern eisiger Gefühlskälte geprägt wird?

Hier formt sich im Geiste des Betrachters im Laufe der Zeit die vielleicht wichtigste Erkenntnis, die dieser Film auf Hanekes eigene Art vermitteln will.
Nachdem die Kinder des Pfarrers eines Abends zu spät nach Hause kommen, setzt es am darauf folgenden Tag Rutenschläge. Doch damit nicht genug, wird dem Sohn ein weißes Band um den Arm und der Tochter ein weißes Band ins Haar gebunden. Das soll die Kinder stets an die eigene Tugendhaftigkeit und Rechtschaffenheit erinnern. Doch kennzeichnet es sie natürlich auch in der Öffentlichkeit als jemanden, dem es an besagten Tugenden in der Vergangenheit gemangelt hat. Da stellt sich ganz automatisch die Frage, auf welche Ideen der Bestrafung diese Kinder einmal kommen werden, wenn sie selbst als Erwachsene einmal Verantwortung gegenüber anderen Menschen oder gar der ganzen Gesellschaft gegenüber übernehmen werden. Oder um es auf den Punkt zu bringen: wie weit ist es vom weißen Band bis zum Judenstern? Müssen diese Kinder nicht zwangsläufig in späteren Jahren ein völlig entartetes Verhältnis zu Disziplin und Bestrafung entwickeln? Ist der Nationalsozialismus nicht die konsequente Fortführung, die letzte denkbare Instanz dieser gesellschaftlichen Zustände? Setzt sich der Dorfname „Eichwald“ nicht aus „Eichmann“ und „Buchenwald“ zusammen?

Wohlgemerkt sind das alles Fragen, die der Film zwar aufwirft, aber nie beantwortet. Wie selten zuvor wird der Zuschauer selbst in die Verantwortung genommen, sich über das hier gesehene seine Gedanken zu machen und Schlussfolgerungen zu ziehen. Denn einfache Antworten sind Hanekes Sache hier weniger denn je.

Bild:

Heutigen Sehgewohnheiten zum Trotz wurde „Das weisse Band“ in Schwarzweiß gedreht. Das Bild liegt im Bildschirm füllenden Format 1,85:1 vor und bietet die volle Auflösung von 1080p/24.
Bedenkt man jedoch die Intention des Regisseurs und die Zeit, in der der Film angesiedelt ist, kommt man schnell zu dem Schluss, dass diese Entscheidung die einzig Richtige war. Das messerscharfe Schwarzweiß strahlt eine enorme Kälte und Eindringlichkeit aus, die die Thematik des Films noch einmal zusätzlich unterstreicht. Warme Farben wären hier ebenso fehl am Platz wie unbeschwertes Kinderlachen. Bildführung und Schnitttechnik sollten hier ebenfalls erwähnt werden, tragen sie doch als Stilmittel zu diesem Gesamtkunstwerk bei. Kamerafahrten oder weitläufige Schwenks gibt es hier nicht. Die Kamera verharrt meist in einer Einstellung. Dafür wirken die einzelnen Bildkompositionen und Arrangements wie Gemälde, die einem Stillleben noch am nächsten kommen.
Ebenso wird der Schnitt hier einmal nicht nur zur bloßen Aneinanderreihung von Szenen, sondern als weiteres Mittel zum Verständnis des Films eingesetzt. Als Beispiel soll hier die Szene dienen, in der der Pfarrer seinem Sohn Vorhaltungen wegen seiner nächtlichen Masturbationen macht. Hat der Pfarrer seine Moralpredigt beendet, schneidet der Film sofort in das Haus des Arztes, wo dieser und die Hebamme bei einem freudlosen Akt an der Küchenkommode gefilmt werden. Ein wahrer Höhepunkt des Films, wird hier doch die im Dorf vorherrschende Doppelmoral schonungslos entlarvt. Genial!
Auf Farbe muss man zwar verzichten, auf alle anderen Merkmale eines erstklassigen Transfers in High Definition jedoch nicht. Das Bild zeichnet sich durch enorme Schärfe und Detailzeichnung aus. Der Kontrast ist wie bei einem Schwarzweiß-Film zu erwarten, recht hoch, wirkt allerdings nie überzeichnet. Übermäßiges Graining ist nicht erkennbar.

Ton:

„Das weisse Band“ kommt völlig ohne Filmmusik aus. Der Ton ist im positivsten Sinn minimalistisch und trägt damit als weiteres Stilmittel zum Gesamtkonzept des Films bei. Trotzdem kann der deutsche HD-Ton seine ganze Stärke ausspielen. Diesmal eben nicht in bombastischen Weltraumschlachten oder gewaltigen Explosionen, sondern eher in den leiseren Tönen: knarrende Holzdielen, summende Fliegen, raschelnde Blätter. All diese leisen Geräusche werden mit enormer Auflösung zu Gehör gebracht. Die Dialoge sind klar verständlich, die Surroundkanäle werden eher sparsam eingesetzt, ebenso der Tiefbass.

Extras:

Die Extras sind leider nicht sehr umfangreich und liegen lediglich in Standard-Definition vor. Im recht oberflächlichen, 40minütigen Making-Of wird u. a. erwähnt, wie letztlich rumänische Bauern “importiert” werden mussten, um die von harter Arbeit in der freien Natur gezeichneten Dorfbewohner darzustellen, oder wie schwer es war, einen zeitgenössischen Gutshof zu finden, der nicht entweder schon völlig verfallen oder mitlerweile zu einem modernen Hotel umgebaut worden war.
Die Pressekonferenz aus Cannes lässt dann die Hauptdarsteller zu ihren Rollen und den Regisseur zu Wort kommen. Aber auch dort blockt Haneke Fragen zum näheren Verständnis des Films ab.
Abschließend wird noch ein 50minütiges Portrait des Regisseurs Michael Haneke geboten, in dem auf seinen bisherigen Lebensweg und einige seiner Filme eingegangen wird.

Fazit:

Michael Hanekes jüngster Film ist zweifellos ein Meisterwerk. Nicht nur was den kreativen Aspekt angeht, sondern auch aus formaler, handwerklicher Sicht. Die ungewöhnliche Geschichte fesselt ungemein. Die Leistungen der Hauptdarsteller und der Kinder sind überragend. Herauszuheben ist hier sicherlich Burghart Klaußner in der Rolle des Pfarrers. Aber auch die Kinder liefern eine erstaunliche schauspielerische Leistung ab. Ein Effektfeuerwerk darf hier sicherlich nicht erwartet werden, aus dem Mainstreamkino bekannte Sehgewohnheiten werden hier nicht bedient. Hier wird im besten Sinn „Kopfkino“ geboten, das zum Nachdenken anregt. Der Film selbst verweigert eine vor gefasste Interpretation gänzlich. Den Wille dazu vorausgesetzt, findet der Zuschauer Erklärungen oder Lösungen nur durch eigenes Nachdenken. So kann es durchaus sein, dass jeder den Film letztlich anders sieht und anders interpretiert. Das ist jedoch vom Regisseur absolut gewollt.
Aus technischer Sicht weiß die Blu-ray ebenfalls zu überzeugen. Bild und Ton zeichnen sich durch Minimalismus auf höchstem Niveau aus. Nur die Extras hätten ein wenig umfangreicher ausfallen dürfen.
„Das weisse Band“ ist ein überragendes Stück Kino, das man sich nicht entgehen lassen sollte.

Testequipment:

TV: Pioneer PDP-LX5090 (50“)
Player: Pioneer BDP-LX71
Receiver: Pioneer SC-LX81
Lautsprecher: B&W, Teufel

Kommentare

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Herzlichen Glückwunsch!Hat sich prima gelesen.Sehr Informative.
Venom211
03.08.2010 um 20:52
#1

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