So, komme gerade geflasht aus dem Film und muss sagen: Nolan ist
ein Organist! :D
Zimmer benutzt die Orgel als Instrument im Soundtrack sehr
prominent plaziert und die Orgel ist auch wirklich ein Instrument,
dass es schafft gezielt Emotionen in uns zu wecken, egal ob Trauer,
Schauergefühle, oder Ehrfurcht. Und Nolan zieht parallel dazu in
seinem Film so ziemlich alle Register um, zumindest bei mir, ganz
das zu erzeugen, was er wohl beabsichtigt hat.
Ich fand den Film schlicht genial. Ein Meisterwerk? Nein eher
nicht, dafür zitiert er zu viele Meisterwerke und andere gute Filme
vor ihm. Wenn der Film "Alien" ein Meisterwerk ist, weil er etwas
Neues schuf, etwas, was ein ganzes Filmgenre nach sich zog, dann
ist "Interstellar" wie "Aliens". Er zitiert das Meisterwerk, ist
aber, imho, der bessere, weil rundere und nicht so sperrige,
Film.
Bei "Signs", "Das Mädchen aus dem Wasser" und besonders bei "The
Village" habe ich Shyamalan bewundert, weil er nach außen eine
beklemmende Abenteuergeschichte erzählt, aber eigentlich einen Film
über Menschen, ihre Gefühle und ihre Beziehung zu anderen, ihnen
nahestehenden Menschen erzählt, quasi ein verkapptes Sozialdrama.
Das hat mich immer sehr angesprochen, auch wenn ich diese Ansicht
vielleicht exklusiv habe. Nolan ist bei Interstellar quasi ein
Shyamalan 2.0, denn er erzählt in einem Film eigentlich mehrere
Filme auf einmal. Mir ist schon bei seinen früheren Werken
aufgefallen, dass sie verschiedene Ebenen, oder Schichten, haben,
die teilweise alle einzeln für sich als Film funktionieren, aber
"Interstellar" hat mMn mehr als die vorigen. Der Film ist im Kern
die Geschichte über die Natur des Menschen, daneben Familiendrama,
Abenteuerfilm im SF-Gewandt und erklährt in wenigen Sätzen so
nebenbei noch die hohe Physik, zumindest ansatzweise. Passend dazu
das Zitat eines jungen Kinobesuchers beim Abspann: "Mann und ich
hab Physik abgewählt!". :D
Zum Kern des Film: Je mehr er vorgibt fremde Welten zu entdecken,
entdeckt er eigentlich mehr und mehr die Natur der Menschlichen
Seele. Es geht um den Überlebenswillen, die Motive und Kräfte, die
Menschen antreiben. Und er ist ein Plädoyer für die stärkste Kraft
die dem Menschen dabei innewohnt, die Liebe. Und ich danke Nolan
dafür, dass er sich nicht kitschigerweise als exemplarisches
Beispiel eine Liebe genommen hat, die man auf sexuelle
Anziehungskraft hätte runterziehen können (z.B. zwischen Cooper und
Brand). Das hätte bei vielen sofort einen Beißreflex ausgelöst, man
hätte über Romantikkäule gesprochen und sich dadurch den Blick
darauf verbaut, was der Film eigentlich über unsere Existenz als
Menschen und was uns moralisch/ethisch zu Menschen macht, sagen
wollte.
Gerade die lange Einführung und die Verschiedenheit der beiden
Kinder Coopers zeigen, warum Cooper später so handelt, ja handeln
muss, wie er es tut. Dass in dieser, für mich übrigens sehr
kurzweiligen Einführung, auch andere Details gezeigt werden, die
bei späteren Wendungen wichtig werden, ist ein sehr angenehmer
Nebeneffekt.
Neben diesem imho sehr tiefgründigen Kern, der sich durch den
gesamten Film zieht und jede Menge spannende soziale, moralische
und ethische Fragen (und Antworten) aufwirft, sind die ersten
beiden Drittel des Filmes klar aufgeteilt. Vordergründig ist das
erste Drittel ein Familiendrama mit ökologischem Bezug und das
zweite Drittel ein spannender Abenteuerfilm im SF-Gewand.
Eigentlich das was Star Trek immer sein wollte: Die Erforschung
unendlicher Weiten, dort wo noch nie ein Mensch zuvor gewesen ist.
Dabei hätte dieser zweite Teil für sich gesehen auch z.B. gut als
Western funktioniert, im ubrigen das was man über die guten Star
Trek Geschichten auch immer sagt.
Hier auch mal ein Wort an diejenigen die "gefühlt alle 30 Sekunden"
Rumgehäule und aufgesetzten Druck auf die Tränendrüsen erkannt
haben wollen. Ich habe mal drauf geachtet und muss sagen, dass sich
diese Szenen objektiv gesehen fast an einer Hand abzählen lassen.
Und sie waren immer so motiviert, dass ich sagen würde, wenn jemand
in einer solchen Situation nicht heult, dann ist er kein Mensch,
sondern ein Eisblock. Dass Nolan damit nicht auf die Kitsch-Tube
drücken wollte, zeigt die Tatsache, dass einen all diese Szenen als
Zuschauer relativ kalt lassen. Sie sollen einen auch nicht zum
mitheulen bringen, sondern man soll beobachten und lernen, denn all
diese Szenen sagen etwas über die große Aussage des Filmes aus,
über Menschen, ihre Natur, ihren Antrieb und über das Wesen ihrer
Liebe zu anderen Menschen. Genau das was den Mensch unter anderem
vom Tier unterscheidet.
Dann gibt es natürlich auch die Schauwerte und die wissenschaftlich
untermauerten Filmelemente wie Wurmlöcher, Gravitation, Dimensionen
und Singularitäten. Ich war sehr erstaunt, wie es Nolan geschafft
hat, ohne einen zu aufdringlichen Erklärbär schwere, komplizierte
physikatlische Phänomene so für den Zuschauer zu erläutern, dass er
zumindest ansatzweise versteht was da abgeht. Und diese Erklärungen
waren auch noch so in den Film eingebaut, dass sie stimmig waren,
zumindest mich zu keiner Zeit gestört haben und ich auch nie das
Gefühl hatte, OK der Erklärt das jetzt, aber im Filmkontext ist
diese Erklärung für die Zuhörer im Film eigentlich irrelevant, weil
das eh alle wissen und man das jetzt nur für die Kinobesucher
macht.
Das letzte Drittel, der Schluss ist der absolute Höhepunkt des
Filmes. Und genau hier, anscheinend da wo es Nolan auch haben
wollte, packt mich der Film dann auch emotional und zwar sehr. Er
ist super spannend, überrascht mehrfach, spielt mit existierenden
Theorien über Dimensionen, auf eine surrealistische Weise. Hier
dreht Hans Zimmer auch richtig auf. Hier habe ich zum ersten Mal
den Soundtrack wirklich wahrgenommen und fand diesen Teil super.
Schöne Melodien, eingebettet in epischen Bombast!
Der Schluss des Filmes ist dann auch typisch Nolan. Zwar eine Art
Happy End, aber mit nachgeschobenem offenen Ende. Für mich war
alles stimmig und ich muss Jessica Chastain recht geben: Man muss
sich auf den Film einlassen und darin versinken wie in einem
Gemälde oder einem Musikstück.
Natürlich hat der Film auch Logiklöcher und ist lange nicht
perfekt. Aber gerade wenn er wissenschaftliche Themen streift,
bemüht er sich doch sehr um Realismus und Logik, nimmt jede Menge
wissenschaftlicher Theorien der Astro-Physik auf, gerade und auch
was Entropie, Dimensionen und Singularitäten angeht.
Wo es dramaturgisch sinnvoll ist, wird er aber auch unlogisch und
unrealistisch, wie jeder fiktionale Film. Denn eigentlich, ich
wiederhole mich, geht es in dem Film nicht um SF und die
Erforschung des Weltalls, sondern um uns, um den Menschen an sich.
Dabei findet "Interstellar" einen Ton, der leichte Unterhalting
suggeriert (auch mit Witz, der nicht aufgesetzt sondern natürlich
wirkt), wo er komplexe, tiefgründige Themen rüberbringt und anders
als "Inception" (den ich auch sehr mag), muss man nicht jede
Sekunde aufpassen um nichts zu verpassen. Trotzdem ist es ein Film,
über den man gut und gerne angeregt diskutieren kann und bei dem
man sicher nach mehrmaligem Sehen immer mehr Zusammenhänge und
wichtige Details entdecken kann.
Für mich jedenfalls ein Pflichtkauf auf Bluray, auch wenn man ihn
imho im Kino gesehen haben muss, damit er so wirkt wie er
soll.
Ich vergebe 9 von 10 Punkten
Herzliche Grüße
Arieve
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