Und hier wieder eines mener älteren Werke zu einem Film, der leider
immer noch nicht den Bekanntheitsgrad hat, den er eigentlich
verdient. Die Vorlage stammt übrigens von Dennis Lehane, der u.a.
Mystic River und Sautter Island geschriebenhat und auch bei THE
WIRE als Autor beteiligt war.
Gone Baby Gone
Ben Affleck hat sich für sein Regiedebüt nicht irgendeine nette,
herzerwärmende Independent Story ausgesucht, sondern sich
selbstbewußt gleich ein Schwergewicht von Erzählung für sein erstes
Filmprojekt ausgesucht: Gone Baby Gone (Kein Kinderspiel, Heyne
Verlag), das dritte Buch der 5-bändigen Reihe des Bestsellerautors
Dennis Lehane (u.a. Mystic River, Produzent & Autor The Wire)
um das Bostoner Ermittlerpäärchen Kenzie&Gennaro. Dass der
Autor Dennis Lehane nun schon das zweite Mal Glück hatte auf einen
Regiesseur zu treffen, der dem Geist des Buches treu bleibt, darf
als seltener Glücksfall gelten.
Doch Affleck vertraute nicht nur seiner Geschichte, sondern
verpflichtete auch eine Darstellerriege, die es in sich hat, neben
Casey Affleck spielen u.a. Ed Harris, Michelle Monaghan, Amy
Madigan und Morgan Freeman. So gab es für die eindrucksvolle
Performance der New Yorker Broadway Aktrice Amy Ryan (u.a. The
Wire) zurecht die Oscar Nominierung als Beste Nebendarstellerin.
Auch die von manchem im Vorfeld kritisierte Besetzung der männl.
Hauptrolle durch seinen jüngeren Bruder Casey ist nicht Nepotismus,
sondern Anerkennung eines fulminanten jungen Schauspielers.
Story
Dennis Lehanes Story führt uns in Herz von Boston, das Arme Leute
Viertel Dorchester. Dort lebt und arbeitet das Paar Kenzie &
Gennaro als Privatdetektive. Nur widerwillig übernehmen sie den
Fall der verschwundenen, entführten 4-jährigen Amanda, die seit
mehren Tagen vermisst wird. Da die beiden um die schwindenden
Chancen das Kind lebendig zu finden wissen, arbeiten sie eng mit
der Polizei zusammen. Deren Ermittlungen stecken fest, weil in
dieser Gegend niemand freiwillig mit der Polizei zusammenarbeitet,
während das Ermittlerduo inmitten dieses Viertels aufgewachsen ist
und fast jeden persönlich kennt. So geraten die beiden auf die Spur
der vermeintlichen Entführer und arrangieren eine Geldübergabe,
doch diese läuft furchtbar schief...
Der Star des Films ist die Stadt Boston. Affleck zeigt seine
Heimatstadt ohne Schminke und Tünche, aber mit soviel Lokalkolorit,
dass man den Thriller auch getrost als Heimatfilm bezeichnen kann.
Die Verfilmung des Buches ist äußerst gelungen, da weder nur
nacherzählt, noch versucht wird zu viele Details des Buches in den
Film einzuarbeiten. Die Regie und Kameraarbeit schafft es aber, uns
ein stimmiges, zuweilen semidokumentarisches Bild der Stadt und
ihren Bewohnern zu zeigen und dem Zuschauer dabei jederzeit die
Sympathie spüren zu lassen, welche der Regisseur für seine früheren
Nachbarn hegt. Man folgt den beiden Ermittlern bei ihren
verzweifelten Suche nach Amanda, lernt deren Mutter und Familie
kennen, entwickelt Sympathie für die Polizisten die mit aller
Ernsthaftigkeit und Kompromisslosigkeit nach dem Kind suchen – und
wird immer stärker in den Fall hineingezogen.
Ben Affleck gelingt es, mehrere Plots und Nebenhandlungen zu
verknüpfen, dabei die Story und die emotionale Beteiligung der
Charaktere in den Mittelpunkt zu stellen und das ganze absolut
spannend zu erzählen. Die moralisch unmögliche Entscheidung – und
deren Folgen - zu der die Protagonisten am Ende gezwungen werden,
beschäftigt und verfolgt den Zuschauer noch lange nach Filmende und
zwingt ihn, sich die gleiche Frage zu stellen wie die beiden
Detektive – ob die Antwort die gleiche ist, muß jeder vor seinem
Gewissen selbst vertreten.
Bildqualität
Die Auflösung beträgt standardgemäß 1920 x 1080p, die Aspekt Ratio
ist 1,85:1. Der VC-1 Codec sorgt auch in diesem Film für
realistisch-natürliche Hauttöne und Gesichtsfarben. Das Bild ist
hervorragend, die wenigen Panoramaaufnahmen besitzen große
Tiefenschärfe und hohe Details. In den Nahaufnahmen wird dagegen
erneut deutlich wie sehr die neue HD Technik gutes Schauspiel
belohnt, man ist von dem Darstellerensemble fasziniert. Da der
Filmstil nicht einheitlich ist, sondern neben Hochglanzaufnahmen
auch „Wackelkamera“ verwendet und in semi-dokumentarischen Stil
gefilmte Szenen enthält, ist die Bildqualität wechselnd, aber immer
von hoher Qualität.
Kompressionsfehler sind genauso wenig zu finden, wie Artefakte. Die
Kontraste wirken perfekt, die „Überschärfe“ manch anderer
Produktionen wird vermieden. Wer will, korrigiert die
Farbtemperatur am TV ein wenig, da die Farben einen kleinen Stich
ins Rötliche haben, andererseits passt dies aber gut zur herbstlich
– melancholischen Stimmung des Films.
Die Schwarzwerte sind ein wenig zu undifferenziert, ansonsten passt
alles: Bildqualität der Oberklasse.
Tonqualität
Einer der Filme, in denen sich der Ton merklich zurückhält. Während
sich der deutsche Käufer wie üblich über fehlende True HD Tonspur
ärgert (Wann wachen die Studios endlich auf, wann reagieren Fans
und Hardwareproduzenten?), bietet die englische Tonspur
selbstverständlich Lossless PCM Sound.
Das ist aber nicht der Grund weshalb englischsprachige Blu-ray Fans
den englischen Audiotrack wählen sollten: Dieser Film lebt vom
Lokalkolorit und der genauen Darstellung des Milieus – also der
Darstellung von Ort und Sprache der handelnden Personen. Dies geht
naturgemäß in der deutschen Übersetzung und Synchronisation, obwohl
diese sorgfältig vorgenommen und gut besetzt ist, komplett verloren
– der Film ist im englischen Original nochmals einige Klassen
besser und glaubhafter.
Musik wird nur sehr spärlich eingesetzt um den Ton und die Stimmung
des Films zu begleiten, Gone Baby Gone vertraut stattdessen auf die
Kraft der Geschichte und der Exzellenz der Darsteller. Die
Umgebungsgeräusche und wenigen Schießereien wirken kraftvoll sowie
genau und tragen durch Natürlichkeit sehr zur realistischen
Stimmung des Films bei, da sie sich niemals in den Vordergrund
drängen. Nur selten kommt ein Eindruck von Künstlichkeit auf
(Dialog / Streitgespräch im Auto wirkt gekünstelt), ansonsten liegt
eine gelungene Abmischung vor.
Ausstattung
Die Extras sind teilweise in HD (1080p, 1080i), größtenteils aber
in SD. Insgesamt wird nicht viel geboten, neben den üblichen
Trailern (1080p) gibt es nur zwei kürzere Hintergrundberichte zum
Casting (7 min, 480p) und den Dreharbeiten zu sehen (9 min, 1080i)
– diese kommen nicht über Belangloses hinaus und hätten getrost
weggelassen werden können.
Schon auf der Verpackung wird mit den Deleted Scenes (480p) und dem
enthaltenen Alternativen Ende geworben, das ist aber ein wenig
irreführend, da es mehr um die Stimmung, als um einen anderen
Abschluss der Handlung geht – also kein Vergleich z. B. zu I am
Legend. Da ein solches auch nicht zum Film gepasst hätte, kann man
dieses also als reinen Marketinggimmick abtun. Mehrwert bietet
dafür zur Abwechslung der Audiokommentar, der wirklich
Interessantes zum Film beisteuert und dem Zuschauer den Filmemacher
Affleck näher bringt. Insgesamt also zu wenig, gerade Gone Baby
Gone lädt zur eingehenderen Beschäftigung ein.
Fazit
Ob als Thriller, Sozialdrama oder einfach als packend erzählte
Geschichte: Dieser Film gehört in jede bessere Sammlung. Die Story
entwickelt sich in mehrere Richtungen, bietet mehrere Plots, die am
Ende kongenial zusammengeführt werden und verfügt über Schauspieler
(-leistungen), die erfahrene Regisseure neidisch machen und das
Publikum erfreuen. In diesem guten Ensemble muß sogar Morgan
Freeman sein Bestes geben, um gegen den Newcomer Casey Affleck zu
bestehen - hier kann man den Aufstieg eines Schauspielers zum Star
miterleben, eine Voraussage die Ben Afflecks jüngerer Bruder mit
seiner Rolle in "The Assassination of Jesse James..." schon hat
wahr werden lassen.
Gone Baby Gone enttäuscht weder Büchernarren, die fieberhaft auf
die nächste Lehane Verfilmung nach Mystic River gewartet haben,
noch Anhänger von spannenden Krimis mit Anspruch. Das Ende kommt
hier nicht überraschend, sondern zeigt uns, dass Menschen sich
nicht wirklich verändern und dass man für seine Entscheidungen
gerade steht. Die mutige, künstlerisch absolut vertretbare
Entscheidung des Regisseurs, uns zu zeigen wie grausam ein Happy
End sein kann, treibt nicht nur gefühlsseligen Mitmenschen die
Tränen in die Augen, sondern beschäftigt noch lange nach Filmende.
Ein Klasse Film, eine tolle Blu-ray, die Unterhaltung auf höchstem
Niveau bietet. (fb)
Gesamtbewertung: 7P
Story - 9P
Bildqualität - 8P
Audio - 8P
Extras -6P
"America is the only country that went from
barberism to capitalism without civilization in between." - Oscar
Wilde