Standard Operating Procedure
Achtung: enthält gewissermaßen
Spoiler!
Inhalt
Am 20. März 2003 haben die Streitkräfte der Vereinigten Staaten und
ihrer Verbündeten ohne offizielle Kriegserklärung den dritten
Irakkrieg begonnen, mit dem Ziel, Saddam Hussein zu stürzen.
Im April des Jahres endete der Krieg scheinbar mit der Kapitulation
der irakischen Streitkräfte.
Mai 2004 gelangten Fotos an die Öffentlichkeit, die Folter und
Erniedrigung irakischer Häftlinge im Gefängnis Abu-Ghuraib durch
amerikanische Soldaten dokumentierten.
Nach einer weltweiten Welle der Empörung haben sich der damalige
Präsident George W. Bush und Verteidigungsminister Donald Rumsfeld
öffentlich für die Vorfälle entschuldigt.
Regisseur Errol Morris versucht sich an einer Aufarbeitung der
Vorgänge in der irakischen Haftanstalt.
Im Dokumentarfilm
Standard Operating Procedure lässt
er vor allem Täter zu Wort kommen, darunter Lynndie England, die
auf vielen der bekanntesten Fotos zu sehen und nach ihrer
Haftstrafe wieder in Freiheit ist.
Die (ehemaligen) Militärangehörigen erzählen, wie es zur Eskalation
der Situation im völlig überfüllten Gefängnis kommen konnte - und
immer wieder richtet sich der Aufgenmerk auf den Haupttäter Charles
Graner, der zwischenzeitlich zu zehn Jahren Haft verurteilt wurde
und zu keiner Aussage für den Film bereit war.
Zu Wort kommt aber ein Spezialist, der die Fotos ausgewertet hat -
und hier wird dann der Bogen zum Filmtitel gespannt: Handelt es
sich beim gezeigten um einen kriminellen Akt oder um eine
Standardvorgehensweise?
Gefangener wird geschlagen = krimineller Akt, Gefangener wird nackt
angekettet = Standardvorgehensweise...
7/10
Bild
Errol Morris hat sich bei seinem Film für das Breitbildformat
2,40:1 entschieden. Meines Erachtens eine eklatante
Fehlentscheidung, die ich hier begründen möchte.
Der Film besteht aus mehreren Komponenten: Den Interviews, die den
Hauptteil ausmachen, Fotoeinblendungen und - in geringerem Maße -
Spielszenen und Effekten. Keine dieser Komponenten profitiert vom
Breitbild, die Köpfe der Interviewten werden oben abgeschnitten,
die Fotos haben breite Ränder an den Seiten und die übrigen Szenen
sind für den Film kaum von Relevanz.
Die verschiedenen Stücke unterscheiden sich auch visuell deutlich
voneinander, Interviewszenen scheinen leicht weichgezeichnet und in
gedämmten Farben, Spielszenen sind absichtlich mit hohem Kontrast
und Körnung. Teilweise werden Diagramme eingeblendet, bei denen es
zu Kantenflimmern und Moiré-Effekten kommt.
7/10
Ton
Sinnvollerweise wurde der Film im Originalton mit Untertiteln
belassen, lediglich in französisch und portugiesisch gibt es
Voice-Over-Tonspuren.
Eine professionelle Synchron wäre ebenso unangebracht wie unüblich
bei Dokumentarfilmen, eine Voice-Over-Tonspur zwar möglich, aber
ein nicht unwesentlicher Bestandteil des Films ist die Gefühlswelt
der Interviewten, die nur beim Originalton richtig vermittelt
wird.
Wie nicht anders zu erwarten, sind die Dialoge gut verständlich.
Musikalische Unterstützung, die auch von den Surround-Lautsprechern
Gebrauch macht, wird vor allem in den Spielszenen und bei der
Präsentation der Fotos eingesetzt. Die Musik stammt übrigens von
Tim Burtons Haus- und Hofkomponist Danny Elfman, der hier ein
absolut untypisches Werk vorlegt.
8/10
Extras
Zum Film gibt es eine ganze Reihe Extras, welchen die Dokumentation
gut ergänzen. Zuerst sei der Audiokommentar von Errol Morris
genannt, der
erfreulicherweise deutsch untertitelt ist. Neben den Trailern als
einziger Bonus ist in HD ist eine Frage"stunde" mit Errol Morris
zur Premiere des
Film (10:52). In Standardauflösung folgen dann: Morris und seine
Produzentin Julie Ahlberg geben eine Pressekonferenz (31:36),
eine Podiumsdiskussion zum Thema "Diplomatie in Zeiten des Terrors"
(45:13), zusätzliche Szenen (26:00).
Am interessantesten sind die Langfassungen der Interviews mit fünf
Interviewpartnern, die insgesamt 112 Minuten und 25 Sekunden
laufen. Hierbei kommen vor allem Personen zu Wort, die im Film
etwas kurz gekommen sind.
Wie bei aktuellen Sony-Titeln üblich, gibt es wieder eine
BD-Live-Anbindung, und das Booklet hält noch ein Kurzinterview mit
Morris bereit.
9/10
Fazit
Was bleibt? Leider ein etwas schaler Nachgeschmack. Der Schilderung
nach sehen sich alle Befragten mehr als Opfer denn als Täter -
Opfer der
Umstände, von Vorgesetzten oder Personen, die auf andere Weise
Macht über sie ausgeübt haben.
Hätte es keine Fotos gegeben und jemanden, der sie veröffentlicht
hat, wäre keinem der Täter etwas passiert.
Gebüßt haben auch nur die niederen Dienstgrade. Stimmen die
aufgestellten Behauptungen, ist das, was die Welt gesehen hat,
nicht mehr als eine Aktion übermütiger Soldaten gewesen - die
wahren, schlimmeren Folterungen wurden von anderen Tätern, darunter
auch von CIA und FBI, verübt, ohne dass eine
Kamera dabei war...
Ob es einem gefällt oder nicht, Morris erhebt mit seinem Film nicht
Anklage, sondern lässt das Gesagte so stehen.
"Die schärfsten Kritiker der Elche waren
früher selber welche."
(F. W. Bernstein)