Ich habe
Wind River gerade eben gesehen, in der OV. Mir
hat der Film gut gefallen, aber er hat mich mit einem etwas
mulmigen Gefühl zurückgelassen.
Zunächst einmal die positiven Aspekte. Ich mag Schnee und Winter.
Ergo mag ich das Setting. Aber ganz so einfach bin ich auch
wiederum nicht zufriedenzustellen. Wenn man so will, repräsentiert
die Schneedecke den Schleier, der sich über die tiefsitzenden
Traumata der ortsansässigen/handlungsleitenden Personen gelegt hat.
Dass damit eine nachhaltige Verarbeitung des Vergangenen
ausgeblieben ist, versteht sich von selbst. Genau in dieser
Disziplin punktet
Wind River voll. Die Melancholie und -
ja - Depression fangen die Bildmontagen und die Schauspieler
hervorragend ein. In dieser Beziehung macht es der Film dem
Zuschauer nicht leicht, teilweise geht das nämlich richtig an die
Nieren. Wer also einen unbeschwerten Abend im Kino verleben möchte,
sollte um diesen Film lieber einen Bogen machen.
Schauspieler, Bild und Ton sind allesamt großartig; Jeremy Renner
überzeugt in seiner Rolle als schweigsamer, nach außen
beherrschter, innerlich jedoch schwer angeschlagener Einzelgänger.
Beeindruckt hat mich daneben vor allem Gil Birmingham als
trauernder Vater, der nicht nur seine Tochter, sondern scheinbar
auch seinen Sohn "verloren" hat. Hier zeigt der
Wind River
schonungslos die erbärmliche Situation der nordamerikanischen
Indianer, die in ihren Reservaten oftmals in einen Teufelskreis aus
Gewalt und sozialer Verelendung geraten. Wie gut Taylor Sheridan es
versteht, diese Welt abzubilden ohne ins Voyeuristische abzudriften
und sich im Elend zu suhlen, hat er zuvor schon in
Hell or High
Water bewiesen. Der Film ist mit Sicherheit keine
soziologische Lebensweltstudie, aber er vermag es, in seiner
relativ kurzen Spielzeit ein Gefühl dafür zu vermitteln, was
Hoffnungslosigkeit tatsächlich bedeuten mag.
Das Problem, das ich mit dem Film habe, ist jedoch die Konsequenz,
die für die Geschichte aus eben dieser Hoffnungslosigkeit entsteht.
Mehrfach im Film fällt der Hinweis, dass die Reservate ein quasi
rechtsfreier Raum sind: Sei es wegen unklarer Zuständigkeiten
(Jurisdiktion und Exekutive) oder schlicht aufgrund der extrem
dünnen Personaldecke. In der Folge verhalten sich die Akteure dann
auch so. Unrecht wird mit Unrecht bekämpft; eine "Survival of the
fittest"-Mentalität stellt sich ein. Gewalt wird zum vollkommen
legitimen und v.a. präferierten Mittel. Ohne ins Detail (= Spoiler)
zu gehen, fällt in dieser Hinsicht eine Handlung von Jane Banner
(Olsen) im Mittelteil und insbesondere von Cory Lambert (Renner) am
Ende des Films bemerkenswert negativ auf. Während man erstere Szene
noch wegen der dargestellten Umstände erklären bzw. rechtfertigen
kann, habe ich bei der anderen aufgrund der ausgelebten
Rachefantasie bzw. Selbstjustiz doch arge Bauchschmerzen. Man kann
natürlich argumentieren, dass dies nur logische Folgen in dieser
Welt sind, aber für mich zerstörten diese Handlungen vielmehr die
Glaubwürdigkeit und standen auch im Widerspruch zu den jeweiligen
Charakterzeichnungen.
Trotz dieser nicht ungewichtigen Kritikpunkte bleibe ich dabei,
dass der Film sehenswert ist. Ich kann mich im Moment noch nicht
ganz entscheiden, ob ich sechs oder sieben Punkte vergebe. Meine
Tendenz geht aber eher zur Sieben, eben wegen dieser famosen
Leistung, eine Stimmung wie die oben beschriebene so perfekt
einzufangen.
Gruß