Es ist nicht so, dass ich etwas gegen Filme habe, die in der
Zeitperiode des 1. oder 2. Weltkrieges spielen. Ich habe sogar eine
ganze Menge Filme gesehen, die in dieser Zeit spielen. Aber ich
habe eine ausgeprägte Abneigung gegen Kriegsfilme, die im 20./21.
Jhd. spielen. Egal wie gut die betreffenden Filme auch sind, egal
wie hoch die z.B. auch als Antikriegsfilm gelobt werden, egal ob
Soldat Ryan, Apocalypse Now, Good Morning Vietnam, Full metal
Jacket oder wie auch immer, ich habe keinen davon gesehen, will
auch keinen davon sehen.
Ein Name hat mich jetzt dazu gebracht ins Kino zu gehen und einen
Kriegsfilm im WW2-Setting zu sehen, der kein Kriegsfilm ist:
Christopher Nolan. Nicht weil ich ein unkritischer Fanboy bin,
sondern weil er mich mit seinen letzten mindestens 4 oder 5 Filmen
überzeugt hat. Weil er mich oftmals auch überrascht hat, mit Themen
und unkonventionellen Dingen, dass ich wusste, dass mir Dunkirk
gefallen würde, auch weil ich natürlich im Voraus gelesen habe, was
Nolan über diesen seinen neuesten Film gesagt hat (vor allem
darüber was er nicht ist).
Antikriegsfilme erzählen meist eine emotionale Geschichte, indem
sie uns einen oder mehrere Protagonisten näherbringen, sie kennen
lernen lassen, ihren Hintergund, ihr Schicksal, ihren Charakter.
Sie zeigen den Schrecken des Krieges oft grausam und drastisch,
eben damit man sieht, was Krieg ist, was ihn ausmacht und warum er
so schrecklich ist.
Nolan macht alles anders! Völlig anders! Er nimmt die in GB
allgegenwärtige Geschichte der Operation Dynamo als Aufhänger für
sein mMn geglücktes Experiment. Er läßt uns mindestens drei
Personen folgen, einem einfachen jungen Soldaten, einem
Kampfpiloten und einem älteren Skipper, der helfen möchte die
Soldadaten zu evakuieren. Alle drei "Handlungsstränge" spielen
innnerhalb dreier völlig unterschiedlicher Zeitfenster, sind jedoch
geschickt ineinander verwoben und kreuzen sich gegen Ende
auch.
Mindestens diese drei Gesichter sind sozusagen die Anker, anhand
denen man durch die jeweilige Handlung geführt wird. Nolan
verzichtet bewusst darauf ihnen Tiefe zu geben, ihnen einen
Hintergrund zu geben. Sie bleiben trotz aller Sympathien, die man
für sie vielleicht empfindet mehr oder weniger anonym, wie auch die
übrigen Soldaten und Personen in diesem Film. Denn Nolan möchte
nicht, dass wir übertrieben anhand des Schicksals dieser Personen
mitfühlen, die dienen lediglich als Anker bzw. Führer durch die
entsprechenden Teile und Situationen die rund um die Evakuierung
von Dünkirchen spielen. Genauso wie man sich, wenn man in eine
unbekannte, vielleicht furcherrengende Sitation gerät, an jemand
hängt, dessen Gesicht einem bekannt oder zumindest sympathisch
vorkommt.
Nolan legt es auf etwas anderes an, als großes, episches
Storytelling und mMn gelingt ihm das auch voll. Man IST an diesem
Strand! Man SITZT in diesem Flugzeug! Man FÄHRT auf dieser Yacht!
Jeder Bombenangriff, jede pfeifende Kugel, jeder Torpedo, jedes mit
Wasser vollaufende Schiff läßt einen in den Sitz pressen! Man ist
mitten drin. Statt nur mit einem Protagonisten mitzuleiden, leidet
man selbst. Solch ein intensives Kinoerlebnis hatte ich bisher
selten und ich werde mir diesen Film deshalb auch fürs Heimkino
kaufen.
Nolan schafft das alles durch seine geschickte Erzählweise, durch
die tolle Kameraführung und durch den perfekt passenden Score von
Hans Zimmer. Natürlich erfindet Nolan das Kino damit nicht neu.
Sicherlich gab es diese Kniffe, Perspektiven etc. bereits in
anderen Filmen, aber er hat wieder mal die richtigen Register und
Werkzeuge genommen um etwas für mich außergewöhnliches zu
schaffen!
Am Ende bricht er dann allerdings etwas aus seinem Schema aus,
indem er jeden Storyfaden zu einem mehr oder weniger befriedigenden
Ergebnis bringt, aber das habe ich trotzdem sehr positiv empfunden,
was zeigt, dass es ihm trotz allem gelingt eine Bindung zu dem
einen oder anderen Gesicht herzustellen. Wie das gemeinsame
erleiden extremer Sitautionen auch in der Realtität Bindungen zu
fremden Menschen, Leidensgenossen,schafft.
Der Film zeigt aus einer Art Third-Person- oder auch
Ich-Perspektive, ohne auf Goreeffekte, oder andere Blutige Bilder
zurückzugreifen, Dinge, die einen alles hautnah erleben lassen.
Zwar ist der Film ab 12, aber ein Kind von 12 Jahren wäre damit
hoffnungslos überfordert, eventuell genauso verstört wie einige der
ums pure Überleben kämpfenden Soldaten.
Dunkirk ist ein Kriegsfilm und ist eigentlich doch keiner. Er ist
das was Nolan angekündigt hat: Suspence! Pures Erleben! Emotional
fordernd! Ein außergewöhnlicher Film, wenn man sich darauf
einläßt.
Und auch diesmal hat er wieder Szenen eingebaut, die jenseits des
puren Erlebnisses auch moralisch/etische Themen anreißen. Dinge die
man nach dem Film gerne mal diskutieren kann und sollte. Diesmal
aber können diese Themen neben der intensiven Erfahrung des Filmes
nicht wirklich mithalten. Aus diese Themen kommt man dann erst so
richtig zurück, wenn man den Film sacken lässt und im Nachgang
analysiert, imho.
Ich wurde entlassen mit einem mulmigen Gefühl in der Magengrube und
verkrampften Händen. Ich WAR in Dünkirchen, für 107 Minuten und
verstehe meinen mitlerweile verstorbenen Opa jetzt besser, der mir
auf meine Frage, wie er den Kreig erlebt hat, bis auf 1 oder 2
Anekdoten nie etwas erzählen wollte.
Ich vergebe 9 von 10 Marmeladenbroten
Herzliche Grüße
Arieve
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