Zitat von VincentVinyl
Birdman oder (die unverhoffte Macht der
Ahnungslosigkeit)
Story 9
Bild 10
Ton 8
Boni 5
Gesamt 8
Birdman war dieses Jahr der große Gewinner bei der
Oscar-Verleihung: Satte vier Awards räumte der Film des Regisseurs
Alejandro González Iñárritu ab, darunter die wichtigen Preise für
den besten Film und die beste Regie. Wer hinter dem Titel einen
Superhelden-Film vermutet, sollte sich allerdings auf die Reise
seines Lebens gefasst machen: Denn Birdman dreht sich zentral um
den schmalen Grad zwischen Kunst und Künstlichkeit.
Story
Riggan Thomson (M. Keaton) hat schon bessere Tage gesehen: Zwar ist
er weltbekannt für seine ehemaligen Erfolge als Superheld
„Birdman“, doch abseits jener Blockbuster konnte er weder
kommerziell noch bei Kritikern Begeisterung auslösen. Das zehrt an
Riggans Psyche, der nun Regie bei der Bühnenadaption von Raymond
Carvers „What we talk about when we talk about love“ führt und
zugleich die Hauptrolle spielt. Riggan wird von Visionen des
Birdman heimgesucht, der ihn mahnt, die Kunst zugunsten der
Künstlichkeit aufzugeben. Dass der Broadway-Schauspieler Mike
Shiner (E. Norton) in Riggans Stück zwar brillant spielt aber
abseits der Bühne mit seinen Allüren nur Ärger verursacht, ist noch
das geringste Problem. Denn selbst Riggans entfremdete Tochter Sam
(E. Stone) zweifelt am Verstand und am potentiellen Erfolg ihres
Vaters.
Iñárritus Birdman hat zu Recht bei der diesjährigen
Oscar-Verleihung unter anderem für das beste Drehbuch und die beste
Regie abgeräumt. Eigentlich hätte allerdings auch Michael Keatons
Darstellung entsprechend gewürdigt werden müssen: So hat Iñárritu
Birdman in einer sehr speziellen Weise gefilmt, so dass der Film
fast bis zum Schluss wirkt, als wäre auf Schnitte verzichtet
worden. Tatsächlich wurden sehr lange Takes mit teilweise mehr als
zehn Minuten verwendet, was für Hollywood-Filme extrem ungewöhnlich
ist. Entsprechend konnte ein einziger, minimaler Fehler der
Schauspieler die perfektionistische Arbeit der Kollegen zunichte
machen. Keaton war natürlich als Protagonist besonders gefordert
und liefert mit viel Selbstironie als Riggan eine beeindruckende
Vorstellung ab. Dabei sind die Parallelen zur Biografie des
ehemaligen Batman-Darstellers natürlich beabsichtigt und spielen
mit den Erwartungen der Zuschauer. Insgesamt bewegt sich Birdman
häufig auf einer Meta-Ebene und reflektiert sowohl das eigene
Geschehen, durch Kommentare des Birdmans, als auch die Art des
Filmemachens in Hollywood. Die Kritik an simplen Blockbustern mit
Kawumm ohne Sinn und Verstand ist geschickt verpackt, denn sie
führt dem Zuschauer vor Augen, dass niemand von niederen Trieben
frei ist: Ausgerechnet, wenn auch in Birdman Explosionen und
CGI-Effekte plötzlich die langen Dialoge durchbrechen und die Sinne
des Zuschauers attackieren, spricht man sich genau gegen diese Art
der Inszenierung aus.
Wenn man Birdman eines vorwerfen kann, dann die verkopfte
Inszenierung: Die Charaktere verbleiben allesamt in einer
ironischen Distanz zum Zuschauer, so dass Birdman selten wirklich
das Herz packt, sondern vielmehr den Verstand ankurbelt. Das ist
eine willkommene Abwechslung zu jedem Avengers oder Transformers,
deren Unterhaltungswert hier nicht geschmälert werden soll, aber
hinterlässt einen nach dem Film mit vielen Gedanken und Grübeleien
und wenig Gefühlen. Gerade deswegen ist Birdman ein Film für ein
bestimmtes Cineasten-Publikum, das hier alles geliefert bekommt,
was es in den meisten Hollywood-Produktionen vermisst: Großartiges
Schauspiel, handwerkliche Perfektion, kreative Inszenierung und
künstlerischen Anspruch. Wer sich genau danach sehnt, sollte ohne
weiteres Nachdenken zur Blu-ray greifen.
Bildqualität
Birdman wurde mit einem Budget von verhältnismäßig geringen 18 Mio.
US-Dollar ins Leben gerufen. Wie bei vielen derartigen Produktionen
üblich, wurde auch in diesem Fall mit digitalen Kameras gearbeitet.
Das Ergebnis erzeugt bei Schärfe und Detailgrad Referenzwerte und
liefert selbst in den dunklen, unaufgeräumten Gängen des Theaters
ein hervorragendes Bild mit nur seltenem und minimalem digitalen
Rauschen. So hat man es geschafft, die Schwarzwerte stark aber nie
überbordend zu halten und setzt auf den Punkt gebrachte Kontraste.
Die Farbgebung ist meist leicht erdig und favorisiert Rot-, Braun-
und Gelbtöne. Tritt der Birdman auf, betont man aber die gesamte
Palette etwas stärker, um die surreale Atmosphäre zu verstärken.
Was die Kompression betrifft, treten keinerlei Anomalien auf, so
dass Iñárritus gewünschte Optik in 1080p perfekt zur Geltung kommen
kann.
Tonqualität
20th Century Fox verlässt sich auf ein deutsche Tonspur in DTS 5.1,
welche dem englischsprachigen Originalton in DTS-HD Master Audio
5.1 zur Seite steht. Dabei platziert man in beiden Abmischungen die
Dialoge und die sehr basslastige Musik im Vordergrund. So setzt man
auf einen sehr eigenwilligen Soundtrack mit vorwiegend Percussion,
dessen treibende Rhythmik perfekt auf das visuelle Geschehen
abgestimmt ist. Der Subwoofer darf die Musik dann auch am stärksten
hervorheben – sonst gibt es im Grunde nur in einer Szene etwas mehr
Kawumm im Tiefton-Bereich. Voluminös kommt noch die ätherische
Stimme des Birdman daher, welche über die Boxen grummeln darf. Das
chaotische Treiben hinter der Bühne wird durch Surround-Elemente
auf den Rears unterstützt, im Zentrum stehen aber stets die
Dialoge. Wie gewohnt sind jene in der dt. Spur noch etwas lauter
als im Originalton, was den restlichen Elementen aber nicht
schadet.
Ausstattung
Die Extras der deutschen Blu-ray sind zur US-Fassung identisch:
Herzstück ist mit ca. 33 Minuten Spielzeit in HD ein Beitrag, der
Einblicke hinter die Kulissen erlaubt. Hier sieht man die
interessanten und ungewöhnlichen Arbeitsprozesse, welche die langen
Takes erst ermöglicht haben. So hat Regisseur Iñárritu vor dem Dreh
mit Keaton und dem restlichen Cast quasi den gesamten Film wie ein
Theaterstück durchgeprobt, um die tatsächliche Produktion
vorzubereiten. Hierauf gehen Iñárritu und Keaton nochmals in einem
Interview mit ca. 14 Minuten Spielzeit ein und äußern sich auch zu
ihren Interpretationen der Handlung bzw. ihren Motiven für diese
innovative Produktion. Eine Bildergalerie rundet das Extrapaket
ab.
Fazit
Birdman schlägt sich in HD hervorragend und überzeugt mit einem
knackigen Bild und referenzwürdigem Detailgrad. Selbst die
zahlreichen, dunklen Aufnahmen beeindrucken trotz digitaler
Kameratechnik mit seltenem Rauschen und sattem Schwarz. Was die
DTS-Spur betrifft, steht der Percussion-Soundtrack gemeinsam mit
den Dialogen im Vordergrund. Dies verhält sich beim Originalton
sehr ähnlich – beide Abmischungen bieten jedoch auch verhaltene
Surround-Effekte. Das Bonusmaterial hätte zwar gern etwas
umfangreicher sein dürfen, gibt aber Aufschluss über Regisseur
Iñárritus ungewöhnliche Arbeitsweise mit kompletten Rehearsals zum
gesamten Film.
Zu Recht war Birdman bei den diesjährigen Oscars so oft nominiert
(insgesamt neunmal) und sicherte sich die Preise für das beste
Drehbuch, die beste Regie, den besten Film und die beste
Kameraarbeit. Es handelt sich hier um ein handwerklich großartiges
Werk, das durch die Hinwendung zur Meta-Ebene nicht nur seine
Charaktere, sondern auch den Zuschauer danach fragt, was heute
Kunst und was Ware ist – und was man sich eigentlich wünscht. Zwar
ist Birdman eine sehr kopflastige Erfahrung, doch dafür drängt sich
der Film geradezu für mehrere Sichtungen auf, um alle feinen
Details mitzunehmen. Birdman ist vielleicht nicht „purer Spaß“ aber
trotzdem beste Unterhaltung mit Ironie und Anspruch. (anw)