Review: Inglourious Basterds
"Es gibt ein paar Regisseure, die mit ihren Filmen eine komplett eigene Parallelwelt zeigen, die nach eigenen Gesetzen und Logiken funtioniert. Wes Anderson (THE DARJEELING LIMITED) ist einer von ihnen. Quentin Tarantino ist ein weiterer dieser Regisseure, und seine Filme tragen seine unnachahmliche Handschrift. Kaum irgendeinem Genre zuzuordnen, sind Tarantinos Werke eine Kombination aus Komödie, Exploitation, Western, Eastern usw.
Tarantino zitiert seine Vorbilder und Lieblingsfilme – er ist das Paradebeispiel eines Filmwahnsinnigen, der so viel Zelluloid inhaliert und gut sortiert in seinem Kopf abgespeichert hat, dass er stets auf Abruf das Bild, die Einstellung, das Detail, welches er braucht, zur Hand hat. Dabei sind das keine plumpen Kopierversuche – Tarantino verneigt sich in seinen Hommagen bei seinen persönlichen Idolen, und wandelt und konvertiert sie in seine eigene Welt.
Nur so ein Regisseur ist in der Lage, einen Film wie INGLOURIOUS BASTERDS zu machen. Und vermutlich kann es sich auch nur ein Quentin Tarantino erlauben, die Geschichte dermaßen zu ignorieren und umzuschreiben, und Unterhaltungskino im zweiten Weltkrieg zu produzieren.
Viel wurde über INGLOURIOUS BASTERDS geredet und geschrieben. Einig sind sich fast alle, dass Christoph Waltz eine geniale Leistung als SS Offizier Hans Landa abgeliefert und dafür zurecht den Oscar erhalten hat. Ansonsten war der Film neben AVATAR (welcher zumindest zwei technische plus den Kamera Oscar bekam) bei der Verleihung vor einer Woche der Verlierer des Abends.
INGLOURIOUS BASTERDS ist Tarantinos Spaghetti-Western. Damit hat er sich einen langjährigen Traum erfüllt. Viele Elemente konnte er bereits in KILL BILL verarbeiten, aber diesmal füllt die Western Anmutung beinahe den ganzen Film.
Killing Nazis
Die Handlung: eine amerikanische Spezialeinheit von Juden treibt im von Nazis besetzten Frankreich, verkleidet in zivil, ihr Unheil, indem sie deutsche Soldaten töten und Angst und Schrecken verbreiten. 100 Nazi-Skalps schuldet jeder einzelne Basterd dem Anführer Lt. Aldo Raine (Brad Pitt), und bald schon erreicht die Kunde vom Nazi-Schrecken den Führer selbst. Der Plot der Basterd-Einheit, eindeutige Anspielung auf die Apachentaktik, ist nur ein Teil eines ganzen Plot-Mosaiks, der zusammen mit der Geschichte von Shosanna, einer überlebenden französischen Jüdin und Kinobesitzerin und schließlich der „Arbeit“ von Landa in mehreren Kapiteln zum Gesamtwerk verwoben wird. Dabei ist INGLOURIOUS BASTERDS eine Aneinanderreihung von Szenen, die jeweils ihren eigene Besonderheit haben. Die Introsequenz ist direkt ein Geniestreich, der an Spannung und aufgebauter Dramatik kaum zu überbieten ist. Hier wird mit Landa der Antagonist eingeführt und Waltz zeigt gleich zu Beginn, dass seine Figur ein extremes Gewicht im Film haben wird. Die verschiedenen Einstellungen, das Framing und die Farben eröffnen den Western, und man spürt die Bewunderung für Sergio Leone. In seinem ganzen Aufbau erinnert das Intro gewissermaßen an den Anfang von KILL BILL. Auch dort wird der Gegenspieler langsam, dramatisch, bedrohlich eingeführt, mit Betonung auf seinen Sinn für Etikette. Hans Landa ist ein Mastermind, welches uns von Anfang an fasziniert und anwidert, zugleich aber auch zum Lachen bringt.
Das Nazi Oberkommando inklusive Hitler selbst sind herrliche Karikaturen, und man denkt bei sich, dass es wirklich an der Zeit war für so einen Film.
Die große Stärke von INGLOURIOUS BASTERDS, und was ich Tarantino hoch anrechne, ist die Verwendung von Muttersprachlern für die entsprechenden Rollen und die damit einhergehende Sprachvielfalt. Im Film wird auf Englisch, Französisch, Deutsch und Italienisch gesprochen – und dem interessierten Zuschauer sei dringend empfohlen, die untertitelte Originalversion zu schauen und keine Synchronfassung! Dies macht den Film (in seiner Tarantino-Parallelwelt) authentisch und seine Figuren anziehend. Es ist eine Freude, deutsche Schauspieler in den deutschen Rollen zu sehen, französische in den französischen, britische in den britischen usw.
Außerdem ist es interessant zu sehen, wie deutsche Schauspieler unter der Regie von Tarantino aufzublühen scheinen! Interessant ist übrigens, dass Tom Tykwer die deutschen Dialoge übersetzt hat. Tarantino beweist, dass ein mehrsprachiger Film funktionieren kann und man wünscht sich mehr davon.
Eine persönliche Lieblingsszene kann ich bis zum heutigen Zeitpunkt nicht nennen – zu viele begeistern mich noch immer beim wiederholten Betrachten. Sehr weit vorne in meinem Ranking befinden sich aber sicherlich das Intro in der französischen Hütte, die Begegnung der deutschen Einheit mit den Basterds und dem „Bear Jew“ sowie die zum Brüllen komische Szene in La Louisiana (August Diehl ist neben Landa einer meiner Favoriten des Films).
Die Kamera von Robert Richardson ist grandios und hätte ebenfalls die Oscarauszeichnung verdient (na gut, er hat schon zwei).
Eine kleine Anmerkung zur deutschen Blu-Ray Version: diese ist im Gegensatz zur Kinoversion und der amerikanischen Blu-Ray ein wenig länger. Die zusätzlichen Einstellungen sind in der Kneipenszene und verlängern das „Wer bin ich?“-Spiel ein wenig.
Fazit
INGLOURIOUS BASTERDS ist ein echter Tarantino. In diesem Jahrzehnt für mich knapp hinter KILL BILL, aber wirklich nur knapp. Meiner Ansicht nach der beste Film des letzten Jahres und bei den Oscars deutlich ungerecht behandelt. Tarantino ist längst überfällig für den Oscar, sei es für die Regie oder das Drehbuch.
Wer einen historischen Weltkriegsfilm sehen möchte, der ist bei Tarantino falsch. INGLOURIOUS BASTERDS ist Unterhaltungskino auf höchsten Niveau, in allen Belangen, und deshalb für mich besser als AVATAR, und auch ein wenig besser als THE HURT LOCKER.
Ich bin gespannt, wie Tarantino sein Gesamtwerk fortführen wird – die Messlatte ist weiterhin ganz oben.
INGLOURIOUS BASTERDS (2009, Quentin Tarantino), 154 min
10/10"
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Kommentare
ACHTUNG SPOILER:
Meine Lieblingsszenen sind zum einen die Darstellung von Shosanna vor dem Kinoabend, im roten Kleid vorm Fenster mit dem Nazibanner und dazu David Bowie - Cat People (wirkt wie Sau). Zum anderen die Szene, bei der die Basterds meinen sich als Italiener ausgeben zu müssen und auf Landa treffen - selten so gelacht.