"Der Kommunismus ist keine politische Partei, er ist eine Seuche." Mit diesen polarisierenden Worten blickt der gealterte J. Edgar Hoover auf die sozialen und politischen Unruhen im Zeitraum 1917-1920 zurück. Es ist die Einleitung zu Clint Eastwoods aktuellem Film, einem Biopic zum berühmten Begründer des FBI. Selbst 40 Jahre nach Hoovers Tod wird über eine der einflussreichsten US Figuren des 20. Jahrhunderts kontroverser denn je diskutiert. An Präsenz mangelt es der Thematik schon mal nicht, und dennoch sind die Meinungen zu Eastwoods neuester Regiearbeit so gespalten, wie über dessen portraitierte Persönlichkeit. Fehlt europäischen Zuschauern schlicht der Bezug oder gibt es Anlass zur Kritik am Film selbst?
Story
Im fortgeschrittenen Alter geht J. Edgar Hoover (L. DiCaprio) dem Willen der Öffentlichkeit nach, seine Entstehungsgeschichte des FBI einem Autor anzuvertrauen, der den Stoff in einer Biografie verarbeitet. In zahlreichen Rückblenden nimmt der Zuschauer als Live-Zeuge Platz und begibt sich zunächst auf Zeitreise ins Jahr 1919. Bei einem Bombenattentat entkommt Attorney General A. Mitchell Palmer nur knapp dem Tod. Die im Anschluss mangelhaft durchgeführten Ermittlungsarbeiten führen Hoover die Dringlichkeit einer funktionierenden Justiz vor Augen und dienen als Initialzündung zu seinem ausgeprägten Streben nach professioneller, wissenschaftlicher Aufklärung. Palmer, der am US-Justizministerium Hoovers Vorgesetzter ist, schenkt ihm schließlich Gehör und befördert ihn zum Leiter der neuen Abteilung im Kampf gegen radikale Personen. Dazu greift Hoover neben einer angefangenen Liste an Verdächtigen, auf ein selbst entwickeltes Katalogisierungssystem zurück, das er stolz Helen Gandy (N. Watts), der neuen Sekretärin des Justizministeriums präsentiert. Als ihm später als Schlüsselfigur die Deportation der Anarchistin Emma Goldman gelingt, legt dieser Präzedenzfall den Grundstein einer bemerkenswerten Karriere.
Ob Clint Eastwood geahnt hat, welcher Herausforderung er sich mit der Umsetzung von Dustin Lance Blacks Drehbuch stellt? Das FBI kennt jeder, doch wer die Ermittlungsbehörde über fast 50 Jahre führte, ist vielen sicher nicht gegenwärtig. Nur Interessierte, die beispielsweise die eine oder andere Dokumentationen im History Channel verfolgt haben, kennen den steilen Aufstieg eines der mächtigsten Männer der Welt. Neben geschichtlichen Fakten ruhen die Hoffnungen des Films vor allem auf einer persönlicheren Ausrichtung, die es erlaubt, Hoover menschlich vertrauter zu werden.
Und damit ist der Finger in die Wunde gelegt. Problematisch gestaltet sich insbesondere die erste Stunde, denn bedauerlicherweise hat Eastwood die Akzente zu dokumentarisch gesetzt. Antikommunistische Hysterie (Rote Angst - “Red Scare”), Abschiebung politisch Radikaler, Hoovers Aufstieg zum Leiter des Federal Bureau of Investigation etc. – zu episodenartig reihen sich die Etappen seiner Biografie aneinander. Konträr gegenüber steht der hervorragende Cast, aus dem Leonardo DiCaprio und Judi Dench als “seine Mutter” klar hervorstechen. DiCaprio beweist hervorragende Schauspielqualitäten, die dem Begründer des FBI verblüffende Lebendigkeit und Authentizität verleihen. Gewohnt souverän gelingt es ihm zwischen Hoover in jungen Jahren und dem gealterten, resoluten Ego mühelos zu differenzieren. J. Edgar Hoovers schwer zu entschlüsselndes soziales Wesen spielt DiCaprio hervorragend beklemmend und schneidet beeindruckend feinsinnig die Gerüchte um seine Homosexualität im Rahmen der kontroversen Beziehung zu Associate Director des FBI Clyde Tolson (A. Hammer) an.
Dennoch kann sich selbst die beste Schauspielleistung über Dustin Lance Blacks problematisches Script und Clint Eastwoods enttäuschender Umsetzung nicht hinwegsetzen. Zu selten lernt man Hoover menschlich kennen, sondern bekommt im Prinzip eine Dokumentation auf hohem Level präsentiert. Insbesondere bei Eastwoods Talent, charakterstarke Geschichten zu erzählen, wahrt J. Edgar ungewohnt großen Abstand zum Zuschauer. Ursache für Kritik ist der Tatsache geschuldet, dass nahezu Hoovers gesamte Biografie in 137 Minuten gepresst wurde, anstatt sich auf einen bedeutenden Teilabschnitt zu fokussieren. Erschwerend kommen die oben erwähnten Rückblenden hinzu, die in ihrer Quantität eher schaden, als nutzen. Kaum ist man in die 20er Jahre gereist, vergehen nur wenige Minuten bis den Zuschauer nervige Zeitsprünge erneut aus den Gedanken reißen. Erst im letzten Drittel gestaltet sich der Handlungsverlauf einheitlicher, allerdings bleiben auf dem Weg dorthin mehrmalige Blicke nach der Uhr nicht aus.
Bildqualität
Warner Home Video stattet den Blu-ray Transfer mit einem MPEG-4/AVC kodierten Bild bei einer Auflösung von 1080p/24p und einem Seitenverhältnis von 2.40:1 aus. Wie bei allen anderen Filmen von Clint Eastwood ab 2002, nimmt auch diesmal wieder Tom Stern den Platz des Directors of Photography ein. Von Beginn an zeichnet sich das Bild kontinuierlich durch sehr gute Durchzeichnung und Detailtreue aus. Auch auf weiten Distanzen bleibt dieses hohe Niveau bestehen, was u.a. dem überwiegenden Verzicht auf Rauschfilter zu verdanken ist. Dezentes Filmkorn bleibt folglich als wesentlicher Bestandteil des typischen Kinolooks erhalten, ohne störend in Erscheinung zu treten. Stilecht entscheidet sich Tom Stern ähnlich wie bei Der fremde Sohn für eine reduzierte Farbpalette mit verminderter Sättigung. Farben wirken somit blasser und dezenter, was optisch perfekt harmoniert, angesichts des geschichtlichen Rahmens. Des Weiteren erfreut ein solider Schwarzwert das Herz eines jeden Blu-ray Fans. Daraus resultiert ein äußerst tiefenreiches Bild, in dem steile Kontrastverhältnisse zwar dominieren, allerdings keine Gefahr für unabsichtliches Absaufen von Bildinformationen besteht.
Tonqualität
Der englische Originalton liegt in DTS-HD 5.1 MA vor, währenddessen es auf deutscher Seite lediglich zum verlustbehafteten Dolby Digital 5.1 gereicht hat. Akustisch äußern sich Unterschiede in erster Linie bei der Sprachwiedergabe. Überzeugt im O-Ton hervorragende Klangqualität hinsichtlich Dynamik, Transparenz und harmonischer Frequenzverteilung, drängt sich die Synchronisation in Folge höhenbetonter Tonstudioaufnahmen zu stark in den Vordergrund. Dadurch gehen neben räumlicher Verteilung auch zu einem erheblichen Teil ursprüngliche Pegelverhältnisse verloren. Genrebedingt hält sich der Subwoofer überwiegend zurück. Nur punktuell, wie bei einer Explosion zu Beginn des Films, machen sich druckvolle Bässe bemerkbar.
Ausstattung
- "J. Edgar: The Most Powerful Man in the World" (18:10 min, 1080p)
Fazit
Auf technischer Seite kann sich das Ergebnis mehr als sehen lassen. Optisch beeindruckt der HD Transfer vor allem durch seinen analogen Look, der solide die Qualitäten des 35mm Materials offenbart. Erstklassige Durchzeichnung, satte Kontraste und stilechte Farben stellen hierbei die Highlights da. Kompromisse muss man hingegen bei der Tonqualität eingehen. Nicht nur technisch, auch klanglich ist die deutsche Synchronisation mit schwachem Dolby Digital 5.1 dem großartig abgemischten DTS-HD Originalton unterlegen. Auch bei der Ausstattung lässt Warner deutlich Luft nach oben, denn außer einem informativen Clip zu Hoovers Biografie, sieht es mit weiteren Extras mau aus.
Leonardo DiCaprio ist es zu verdanken, dass J. Edgar zumindest aus dokumentarischer Sicht funktioniert. Bewegende Einblicke in das Leben der einflussreichen Schlüsselfigur des FBI sind dabei nicht nur für US-Zuschauer relevant, sondern stellen ebenso fürs europäische Publikum eine interessante Horizonterweiterung dar. Den Sprung zu grandiosem Charakterkino schafft Clint Eastwood diesmal dagegen leider nicht. Sequenzartige Etappen, die zu holprig aneinandergereiht sind und zu häufig zwischen Gegenwart und Vergangenheit wechseln, zeigen unmissverständlich die Grenzen des Drehbuchs von Dustin Lance Black auf sowie allgemein mangelnde emotionale Inszenierung. (cj)
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Kaufempfehlung
Testgeräte
Projektor: Mitsubishi HC-6000
BD-Player: PlayStation 3
AV: Denon AVR-4308
LS: B&W 704