Zitat:
Zitat von jackoneill71
Wobei ich die negativen Aussagen über darstellerische Leistungen
nicht unbedingt teilen kann, ich denke das da manch einer, bzw. nur
einer, maßlos übertreibt. Das passiert gerne mal, wenn man im
Schreibe-Rausch einer Kritik ist, passiert mir auch ab und an, aber
meist nicht so übertrieben.
Vorsicht:
Der Beitrag könnte einige Spoiler enthalten!
Hi, O'Neill mit zwei LL! ;)
Ich gebe dir insofern recht, als dass auch ich mir vor der Sichtung
dieses Streifens nicht vorstellen konnte, dass es möglich wäre, ein
bekanntes Thema so zu verhunzen. Mein Problem ist nur: Ich habe
diesen Film mittlerweile gesehen. Und ja, ich bin einigermaßen
überzeugt, dass jede Person, die Sidney Lumets Klassiker von 1974
kennt und schätzt, mit Branaghs Neuverfilmung nicht warm werden
wird.
Wo sich bei Lumet ein roter Faden vom Beginn bis zum Ende der
Geschichte spannt, sich einzelne Puzzleteile nach und nach zu einem
wunderbaren Ganzen zusammenfügen, Charaktere liebevoll
herausgearbeitet werden, ihnen Zeit eingeräumt wird, sich zu
entwickeln und somit zu wachsen und sich perfekt in die Story zu
integrieren, vergeht sich Branagh in Nebensächlichkeiten.
Bspw. wird Graf Andrenyi in Branaghs Version völlig unmotiviert als
Martial Arts kämpfender Choleriker dargestellt und man fragt sich
unweigerlich, was das soll?! Das nützt dem Plot nix und passt auch
ansonsten in etwa so gut in die Zeit der 30er Jahre, als würde man
Elvis in die Epoche der Kreuzzüge versetzen.
Oder aber die Gräfin Andrenyi, von deren Existenz man zum einen
lange Zeit maximal am Rande etwas erahnt, die zum anderen aus Gram
plötzlich zur Drogensüchtigen mutiert!? Könnte nachvollziehbar
sein, ja, Nur dann müsste das Ganze halt sorgsam vorbereitet
inszeniert und nicht ratzfatz abgehandelt werden.
Ganz schlimm auch Willem Dafoes Figur des Mr. Hardman, einem
österreichischen Nazi, mit der Glaubwürdigkeit eines
Wanderpredigers. Wiederum eine völlig unsinnige Aktion, aus diesem
Charakter einen Nazi zu machen, da dem geneigten Kenner der
hollywoodschen Szenerie sofort klar ist, dass in die Zeit der 30er
einfach ein Nazi zu integrieren ist. Basta! Furchtbar, dieses
dümmlich Klischee immer und immer wieder zu bedienen.
Auch der Versuch des Drehbuchautors und des Regisseurs, den Plot
aus oben genannten Nebensächlichkeiten zu befreien und die
Geschichte, um die es schließlich hauptsächlich gehen sollte,
voranzubringen, scheitert ein ums andere Mal grandios.
Als bestes Beispiel sei hier Poirots Vernehmung der Andrenyis
genannt. Nach anfänglichem Radau mit dem Grafen und ein wenig
Smalltalk kommt der Meisterdetektiv schließlich zur Sache und klärt
die Finte mit dem Pass der Gräfin. So weit, so gut. Plötzlich aber
schweift der gute Mann ab, versinkt in Gedanken und murmelt wirres
Zeug in seinen Bart, von wegen „Andrenyi eigentlich Goldberg,
Juden“, und weitere völlig aus der Luft gegriffene Eingebungen, von
denen auch der intelligenteste unter den Zuschauern nichts ahnen
konnte. Offensichtlich ist allen Beteiligten klar geworden, dass es
notwendig wäre, die Story endlich voranzutreiben und dazu keinem
etwas Besseres eingefallen ist. Eine schlimme Szene. Schlimm
geschrieben, schlimm gespielt und noch schlimmer inszeniert.
Aber auch bereits der Anfang dieses Films ist belanglos und dient
der eigentlichen Geschichte kein bisschen. Poirot klärt den
Diebstahl verschiedener Reliquien und tritt dabei in den von mir
genannten Haufen und legt sich mit ungleich großen Eiern an. Eine
Szene, die einzig dem Regisseur und Hauptdarsteller schmeicheln
soll, ansonsten keinerlei Funktion hat und nur unnötig Zeit
vergeudet, die danach fehlt, um den restlichen Charakteren mehr
Aufmerksamkeit widmen zu können.
Und so reiht sich eine Szene an die andere, langweilig, willkürlich
und ohne den roten Faden, den es jedoch in jeder Geschichte so
dringend benötigt. Ein loses Gebilde einzelner Stränge, die
schlussendlich mehr schlecht als recht zusammengeflickt werden und
niemals ein einziges, gelungenes Bild verkörpern.
Und dennoch gibt es auch Gutes über diesen Film zu sagen, wie eben
die Kameraarbeit samt den gelungenen CGIs, die Ausstattung und
einzelne schauspielerische Lichtblicke, wie Michelle Pfeiffer. Dass
die weiteren Akteure allesamt blass und komplett uninteressant
bleiben, liegt übrigens nicht an den Schauspielern selbst, sondern
an mangelnder Screentime der selben, dem Drehbuch und der drögen
Regie Branaghs.
Alles in allem die unnötigste Neuverfilmung, die ich kenne und
somit eine schöne Hülle ohne den entsprechenden Inhalt!
Und was Lumet vs. Branagh betrifft: Wenn Lumets Werk ein 4 Gänge -
Menü in einem Sternerestaurant darstellt, ist Branaghs Version
davon eine lecker aussehende Soja-Kunst-Wurst in irgend einer Tunke
für die Mikrowelle.