"2001 - Odyssee im Weltraum" - Review, Interpretation & Behind The Scenes

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12. Oktober 2021
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"2001 - Odyssee im Weltraum"

Regie: Stanley Kubrick

Drehbuch: Stanley Kubrick und Arthur C. Clarke

Schauspieler: Keir Dullea, Gary Lockwood, William Sylvester, Leonard Rossiter, Douglas Rain

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Wenn SF-Filme bestenfalls eine Vision in die Zukunft sind, dann ist dieser hier wohl der bedeutendste von ihnen. Mehr Tiefgang bei gleichzeitiger visueller Opulenz wird man nirgends finden, wobei es mitunter viel Kraft kosten kann, sich auf diesen Trip aus dem Jahr 1968 voll und ganz einzulassen.

Der Film hat drei wesensverschiedene Teile:

- Im ersten Teil sieht man Affen, und gleich eine Menge davon. Sie essen, schlafen, dösen vor sich hin. Durch einen kriegerischen Akt gegen eine verfeindete Horde wird die Jagd auf Tiere ins Leben gerufen. Schliesslich finden sie einen schwarzen Monolithen. In einem Wutanfall zerschlägt daraufhin einer der Affen ein Tiergerippe mit einem Knochen und wirft die Waffe weit von sich gen Himmel.    

- Schnitt auf den zweiten Teil: der Knochen wird mit einem stabförmigen Raumschiff überblendet, auf das gezoomt wird. Im grossen und Ganzen geht ein Mann seiner Arbeit nach: er trägt einen Anzug, hält wichtige Reden und telefoniert nach Hause, das ganze untermalt von ansprechender klassischer Musik. Auslöser seiner Handlungen ist wie schon bei den Affen der Monolith. Nur das gediegene SF Ambiente verleiht dem ganzen einen zarten Hauch von Zukunft.

- Schliesslich der dritte Teil: einer der Astronauten joggt in einer Zentrifuge eines Raumschiffes, während er boxartige Bewegungen macht. Sein einziger Unterhaltungspartner abgesehen von seinem Kollegen ist vor allem der Bordcomputer, dem er Fragen stellt, mit dem er Schach spielt und der sich des öfteren nach seinem Befinden erkundigt. Da der Computer auf maximalen Erfolg programmiert wurde, entscheidet er sich irgendwann dazu, die beiden Astronauten durch eine angetäuschte Fehlfunktion nach draussen zu locken, um sie anschliessend auszusperren, sowie die Lebensfunktionen der im Tiefschlaf befindlichen restlichen Crew zu terminieren. Einer der Astronauten schafft es trotzdem ins Raumschiff zurückzukehren, begibt sich daraufhin ins Computergehirn und löst dort sämtliche Module. Eine Reise durch Zeit und Raum beginnt...

Man muss sich nur den obigen Screenshot angucken, um zu sehen, was Kubrick im Jahr 1968 (!) vorweggenommen hat; der Leser dieser Zeilen und Betrachter dieser Bilder oder auch ich, der sie hinterlegt - wir führen eine Unterhaltung mit einem Computer. Man kann es wie die Affen angehen, man kann zur Arbeit gehen oder man beschäftigt sich lieber gleich damit, was unser Bewusstsein ausmacht und wie es funktioniert. Was passiert eigentlich im grossen und ganzen am Computer und im Internet? Rein physikalisch gesehen natürlich nichts, aber das kann man von Dave Bowman und Frank Poole an Bord der Discovery genauso behaupten. Wenn man all die TVs, Smartphones und PC-Bildschirme ausschaltet sind, sind sie schwarzen Monolithen nun nicht grade unähnlich. Was führt in die Zukunft und was hält einen in der Vergangenheit? In diesem Fall sind die Fragen wahrscheinlich wertvoller, als dass einem wie in den heutigen SF-Filmen die Antworten entgegengeschmissen werden.

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Während in der Renaissance Maler wie Da Vinci eine neue Epoche der Wahrnehmung eingeläutet haben, kann man ähnliches von Stanley Kubrick behaupten. Seine besondere Fähigkeit ist, Schach mit dem Bewusstsein des Zuschauers zu spielen. Setzt er den Springer auf C2 löst das etwas Bestimmtes, Unverwechselbares in uns aus und kurz vorm Matt wie in "2001" bei der Demontage des Computers eröffnet sich eine völlig neue Partie: nämlich Schach mit den Göttern.

Bereits in jungen Jahren als Fotograf für Life unterwegs, ist er ähnlich wie ein Maler jemand, der ausschliesslich an visuellen Wahrheiten interessiert ist. Anstatt aber in den Bildern zu schwelgen, bewahrt er eine kühle, nüchterne, ja schon fast klinische Distanz zum Zuschauer, der selber entscheiden kann, ob er sich auf den Film voll und ganz einlässt oder auch nicht. Intellektuell sicher Lichtjahre voraus, prägen seine Filme ansonsten eine gewisse Ironie und Sarkasmus - ob nun der HAL 9000 Bordcomputer mit seiner schleimigen Stimme, der am Schluss Hänschen Klein singt oder der Mensch im Angesicht der Technik, der mit ewigem Wunschdenken und maximaler Bequemlichkeit beschäftigt ist, stets schimmert so etwas wie ein unsichtbarer Wink durch, dass es nicht so weitergehen kann.

Kubrick wertet jedoch nicht oder stellt sich auf eine Seite, er bildet einfach nur so genau wie möglich ab. Pablo Picasso meinte einmal, dass Kunst eine Lüge ist, die uns die Wahrheit begreifen lässt. So gesehen ist Stanley Kubrick wahrscheinlich einer der ehrlichsten, begabtesten und charmantesten Lügner, die das Kino je erleben durfte.

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Alle von Kubricks Filme basieren auf literarischen Vorlagen, im Falle von 2001 auf Arthur C. Clarkes Kurzgeschichte "The Sentinel". In diesem kamen noch Aliens vor, die das Bewusstsein steuern - die entsprechenden Kostüme standen schon bereit, bis Kubrick irgendwann auf den Trichter kam, dass das ganze viel unheilvoller und authentischer wirken würde, wenn sie erst gar nicht zu sehen sind. Gleiches galt für Alex Norths Filmmusik, die Kubrick kurzerhand über Bord warf und durch klassische Stücke aus seiner Musiksammlung ersetzte. Während des dreijährigen Drehs, der für Kubrick ein Selbstfindungsprozess sondergleichen war, zeichnete sich immer mehr das wahre Gesicht von "2001" ab: nämlich mehr eine offene Frage, als eine einfache Antwort zu sein. Innerhalb dieser Zeit hatte MGM glücklicherweise einen Deal mit den Shepperton Studios laufen, bei dem gleich mehrere, fussballfeldgrosse Hangare angemietet wurden, in denen die Raumschiffe von "2001" gebaut und gefilmt wurden. Das ganze natürlich im Masstab 1:1, da es Ende der 60er noch keine Computereffekte gab.    

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Wenn man den Film nun ein zweites oder drittes Mal guckt, stellt man sich irgendwann zwangsläufig die Frage: was bedeutet das alles bloss? Viel ist zu lesen, wenigem ist zu trauen. Der einfachste Weg einem Film auf den Grund zu gehen ist daher, selber Screenshots zu erstellen. Technisch gesehen ist es nicht mehr als die Druck-Taste zu drücken und bei Microsoft Paint auf Einfügen zu gehen. Tatsächlich steckt aber noch unendlich viel mehr dahinter. Ein Filmbild besteht aus einer Unzahl von Komponenten, angefangen von der Beleuchtung, über die Wahl und Scharfstellung der Linsen, der Wahl des Filmmaterials und der Kamera, den Schauspielern, deren Positionierung im Bild, dem Produktionsdesign (z.B. das Innere des Raumschiffs, deren Texturen und Farben), dem Einsatz von Licht und Schatten, usw. Welche Bilder wählt man aus, wenn man im Film ohne Ton vor- und zurückspult? Was bedeuten Sie einem? Wer heutzutage übrigens bei Blurays einen Screenshot erstellt, kann davon locker ein DIN-A1 Poster drucken lassen und sich an die Wand hängen, die Qualität reicht allemal. Wenn man nun z.B. nach einer anstrengenden Session 25 Screenshots von "2001" erstellt hat und 7 davon zu seinen All Time Favourites in einen Ordner packt, wird wahrscheinlich viel eher begriffen haben, was einen an dem Film nun so fasziniert, anstatt Dutzende von Filmkritiken gelesen zu haben.

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Kontrastierend dazu hier meine völlig persönliche Interpretation des Films, einzig und allein ausgehend von den Bildern. Maler entwickeln Gemälde einzig und allein ausgehend von deren Wirkung, auch nach der Wirkung wird das Bild benannt, nicht nach dem, was zu sehen ist. Was für eine Wirkung hat also "2001" auf mich? Zunächst eine äusserst deprimierende: Affen dabei zuzusehen, wie sie vor sich hinvegetieren, sich bekriegen und auf die Jagd gehen, ist zurückhaltend ausgedrückt zumindest ernüchternd. Dann der Monolith: was hat er in der Affenlandschaft zu suchen? Was für unheilvolle Schwingungen gehen von ihm aus? Schliesslich der Wurf des Knochen und die Überblende auf das Raumschiff; es ist als hätte jemand ein Licht angeknipst. Die zweite Odyssee beginnt: eine Reise durch den physikalischen Zeit und Raum, in dem wir einem gut gelaunten, elegant gekleidetem Menschen dabei begleiten, seinen Allerweltstätigkeiten begleitet von Allerweltsmusik nachzugehen. Die augenscheinliche Opulenz, das ansprechende Ambiente, die grandiosen Spezialeffekte halten mich bei Laune, besonders die beissende Ironie des Ganzen, wenngleich das Ganze doch irgendwo auch gleichzeitig anstrengend und nichtssagend ist. Schliesslich der grosse Moment: begleitet von Aram Khachaturyans "Gayane Ballet Suite" joggt ein Astronaut durch die zentrifugale Struktur eines riesigen Raumschiffs - unvermittelt fühle ich mich in die Jetzt-Zeit katapultiert. Alles, was nun folgt, spricht mich viel mehr an, seien es die Unterhaltungen mit dem Computer, die Zurückgenommenheit bei Keir Dulleas Schauspiel, die moderne, vielleicht minimalistische Art und Weise, wie Menschen kommunizieren. Schliesslich die völlig unerwartete Dramatik eines allmächtigen Computers, der Stück um Stück versucht, mehr über die Menschen herauszufinden, um den Erfolg der Mission nicht zu gefährden. Schliesslich die maximale Überraschung: alle Module werden gleichzeitig gezogen, so dass, was der alltägliche Lebensinhalt des Astronauten war, mit einem Mal weg ist. Sein ursprüngliches Bewusstsein löst sich vom fixierten und dehnt sich unendlich in den eigentlichen Zeit und Raum, gleich eimem halluzinatorischen Drogentrip. Schliesslich landet er in einer Art weissem Hyperraum, in dem viele verschiedene Bewusstseine, wiedergegeben durch verschiedene Lebensalter kollidieren oder auch zusammenfinden. Am Schluss zeigt der Greis im Bett auf einen Monolithen, in den hineingezoomt wird und den Blick auf einen riesigen, im Weltraum schwebenden Embryo freigibt, untermalt von der gleichen, epochalen Musik, die den Wurf des Knochens gen Himmel begleitet hatte. Ein weiterer Quantensprung, diesmal nicht der Handlung, sondern der Erkenntnis.

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Hinter den Kulissen:

Stanley Kubrick, dem nach seinem Tarantino nicht unähnlichen "The Killing" "Spartacus" aufgezwungen wurde, hatte Hollywood ein für allemal satt. Er entschied sich, seinen nächsten Film in England zu drehen, zwar mit den Geldern aus Hollywood aber ohne deren rigorose Überwachung. Nachdem er mit "Spartacus" bewiesen hatte, dass er auch ein grosses Budget stemmen und abliefern konnte, machte er sich MGMs Deal zunutze und hauste fortan in den den drei darauffolgenden Jahren in den Shepperton Studios in den UK. Immer wenn ein grosser Studioboss den Sprung über den grossen Teich wagte, um nach dem Rechten zu sehen, wies er einen Mitarbeiter an, wichtig aussehende Diagramme an der Wand eines Konferenzraums anzubringen. In der Zwischenzeit wurden Affenbrotbäume aus Afrika eingeflogen, William Sylvester, der an der Nadel hing, mit Rauswurf gedroht, sollte er es nicht schaffen, seine Zeilen zu behalten, viel Schach gespielt und endlose Konversationen mit dem Autor der dem Film zugrundelegenden Kurzgeschichte Arthur C. Clarke geführt, der auf Verlagsdruck sein auf dem Impressionen des Filmdrehs basierendes Buch noch vor Erscheinen des Films herausbrachte und damit Kubrick in den Rücken fiel.

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Der Druck auf Kubrick wurde mit laufender Drehzeit immer grösser, nachdem das Budget und die Drehzeit exorbitant anwuchsen. Unbeeindruckt davon, stellte er sich tagtäglich die Frage: "Ist das, was ich tue, richtig?" oder auch "Wohin führt das alles?", während die Produktionsdesigner, Tricktechniker und Art Directors abgesehen von der typisch englischen Tea Time praktisch rund um die Uhr an den Raumschiffen und den Spezialeffekten bastelten. In Keir Dullea, bzw. Dave Bowman, fand er einen kongenialen Schauspieler, der für ihn Kopf und Kragen riskierte, als er sich in dreissig Metern Höhe durch Druckluft ins Raumschiffinnere blasen liess. Er war es auch, dem die Idee kam, dass Bowman als Greis fast beiläufig ein Glas vom Tisch stösst. Manchmal reicht auch nur die Anwesenheit eines Genies, um Wunder zu bewirken.

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36 Monate und 12 Millionen Dollar später, war der Film fertiggestellt. Wobei 12 Mio $ anno 1968 heutzutage in etwa 94 Mio $ entsprechen, was nun wirklich kein geringes Budget für einen experimentellen Kunstfilm mit philosophischem Tiefgang ist. Kubrick hatte sich nicht geirrt: die MGM-Bosse hassten Flüge über den Atlantik und tauchten dementsprechend selten am Filmset auf. Die nun folgende Testaufführung vor eben gerade diesen Bossen geriet zu einem grossen Fiasko, manche dieser Anzugträger - von den Regisseuren auch einfach nur "suits" genannte - hassten den Film regelrecht, weil sie ihn nicht verstanden. Dennoch waren die so noch nie dagewesenen Spezialeffekte höchstwahrscheinlich das, was sie bewog, den Film dennoch in den Kinos, mit den sie einen Deal hatten, herauszubringen. Kubrick nutzte bis dahin die Zeit um die ursprünglich 160 Minuten lange Version zu trimmen und um 19 Minuten zu verkürzen und Trost bei seiner Frau zu suchen.

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Schliesslich kam der Film in die Kinos und führte zu einer komplett gespaltenen Reaktion seitens der Kinobesucher und der Kritiker. Die Zuschauer liebten den Film, ob nun der langsame, gedehnte, psychedlische Stil der Hippiegeneration grade recht kam, sei mal dahingestellt, aber es waren vor allem Kinder und Jugendliche, die den Film liebten, da es kurz gesagt einfach etwas Neues zu entdecken gab. Die meisten Kritiker zerrissen den Film, da sie ihn nicht verstanden und er in keine Schublade passte, noch waren sie bereit, ihre nun mal federführenden Sehgewohnheiten für diesen nicht ganz unbedeutenden Film anzupassen oder zu ändern. Allen Widerständen zum Trotz hatte Kubrick zwar erreicht, was er wollte, und "2001" spielte auch das Fünffache seiner Kosten wieder ein, aber er hatte ein für allemal genug von Hollywood und entschied sich nach England zu ziehen, wo ihm die Mentalität und die tiefergehende europäische Kultur um ein Vielfaches mehr ansprach. Sein nächster dort gedrehter Film "A Clockwork Orange" wurde prompt in England für die nächsten zwanzig Jahre verboten.

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Wir schreiben das Jahr 2021. Mit 50 Jahren Verspätung ist "2001" nun vom British Film Institute, das einen Querschnitt aller weltweiten Kritiker darstellt, unter die zehn bedeutendsten Filme aller Zeiten aufgenommen wurden. Einen Oscar gab es seinerzeit für Kubrick weder für die Produktion, die Regie oder das Drehbuch, dafür aber für die Spezialeffekte, die er zum Grossteil selber erfand. So dass er gar nicht erst bei der Oscarverleihung auftauchte, noch sie kommentierte. Kubrick mied überhaupt die modernen Massenmedien, so dass das einzige Making Of, in dem er zu sehen ist, das von "Shining" ist und dass einzige überlieferte Interview, abgesehen von Radiointerviews, das des Rolling Stone zu "Full Metal Jacket" ist. Bei eben jenem Interview bemerkte er zum Fragensteller, dass ihn sein Stift und sein Notizblock nervös machten, und ob er es nicht auch ohne könne. Ein Bild sagt mehr als tausend Worte, Filme enthalten 24 Bilder pro Sekunde. Man kann es auch mit Castaneda halten, dass man durch Fragen stellen selten wirklich etwas Neues erfährt. Ausser natürlich man stellt sich die Fragen selber.  

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Dieses Review ist Bestandteil meiner Webseite "Inside Film", die schon seit geraumer Zeit under construction ist.
 

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