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Die verlorene Ehre der Katharina Blum @ Tsungam

Gestartet: 19 Dez 2009 16:54 - 3 Antworten

#1
Geschrieben: 19 Dez 2009 16:54

Tsungam

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Die verlorene Ehre der Katharina Blum
(aka The Lost Honor of Katharina Blum)

Die-verlorene-Ehre-der-Katharina-Blum.jpg


Anfang der 70er Jahre wollte das damalige Ehepaar Margarethe von Trotta und Volker Schlöndorff sich an die Verfilmung von Heinrich Bölls Roman „Gruppenbild mit Dame“ wagen. Das Projekt scheiterte, da sich keine Geldgeber fanden. Auf der Suche nach einer Alternative wurden sie dann auf Bölls 1974 erschienenes Drama „Die verlorene Ehre der Katharina Blum“ aufmerksam.
Für Trotta und Schlöndorff sollte dies der erste Film nach einem Werk eines noch lebenden Autors werden.

Inhalt
Während einer Party macht die brave Angestellte Katharina Blum die Bekanntschaft von Ludwig Götten. Man kommt sich näher und verbringt die Nacht zusammen. Am nächsten Morgen, Götten hat mittlerweile bereits Blums Wohnung verlassen, steht ein Sondereinsatzkommando der Polizei vor der Tür: Katharina Blum erfährt, dass ihr nächtlicher Gast ein gesuchter Terrorist ist.
Die Presse, allen voran das Boulevard-Blatt „Die ZEITUNG“, bekommt Wind von der Sache. Der Journalist Tötges startet eine ganze Reihe von reißerischen Artikeln, in denen Blum als Gangster-Lieblichen und Terroristen-Komplizin dargestellt wird. Nicht nur Katharina Blum selber, auch ihre Verwandten und Vertrauten, darunter ihre todkranke Mutter, werden von Tötges bedrängt und in der ZEITUNG bloßgestellt.

Die 70er Jahre waren in Deutschland geprägt durch den Terror der „Rote Armee Fraktion“, kurz RAF. Bezug nehmend auf RAF-Mitglied Ulrike Meinhof veröffentliche Heinrich Böll Anfang 1972 im Spiegel ein berühmt gewordenes Essay unter dem Titel „Will Ulrike Gnade oder freies Geleit?“. Hierin äußerte sich Böll kritisch über die Praktiken der Bild-Zeitung in Zusammenhang mit der Berichterstattung über RAF-Aktionen. Die Antwort ließ nicht lange auf sich warten: Mit ihrer Macht schlug die Bild zurück und rückte Böll in den Kreis von RAF-Sympathisanten.
Heinrich Böll, sonst ein ruhiger und friedlicher Mensch, fühlte sich angegriffen und schrieb daraufhin sein Drama „Die verlorene Ehre der Katharina Blum“, in welchem er zwar den Namen der Zeitung nicht nennt, im Nachwort jedoch klar macht, dass Ähnlichkeiten zur Bild schlicht unvermeidlich sind.

Anders als das Buch, welches mit Katharina Blums Erscheinen auf der Polizeiwache und ihrem Geständnis beginnt und dann in einer Rückblende das Geschehene erzählt, ist der Film chronologisch aufgebaut. Dadurch dauert es vergleichsweise lange, bis dem Zuschauer der Kern der Handlung klar wird.
Im Großen und Ganzen handelt es sich bei dem Film um einen typischen Vertreter des intellektuell-anspruchsvollen deutschen Kinos der 70er (und 80er) Jahre. Dementsprechend darf man hier keine Actioneinlagen wie beispielsweise in der RAF-Verfilmung „Der Baader-Meinhof-Komplex“ erwarten. Überwiegend durch Dialoge wird die Handlung vorangebracht. Die Szenen mit „Verfolgungsjagden“ wirken demgegenüber unfreiwillig komisch - das Quietschen der Reifen erinnert an nachträglich vertonte Slapstick-Stummfilme der 20er Jahre.
Nichtsdestotrotz hat der eigentliche Gegenstand der Handlung nichts von seiner Aktualität und Wahrhaftigkeit verloren. Noch immer ist die Zeitung mit den großen Buchstaben ebenso meinungsbildend wie manipulativ, und seit dem 11. September 2001 wird gerade durch manche Politiker eine Terrorpanik geschürt, wo man sich fragt: „Cui bono?“ (Wem nutzt es?)

Bild
Beim Bild stellen sich immer ein paar grundsätzliche Fragen: Bewertet man ein Bild schlecht, weil es nicht in 16:9 oder im Breitbildformat vorliegt? Bewertet man ein Bild schlecht, weil es schwarzweiß ist? Bewertet man ein Bild schlecht, weil es, der Natur der Sache entsprechend, eine sichtbare Körnung aufweist?
Nur, wenn man alle diese Fragen mit „nein“ beantwortet, kann man zu einer fairen Bildwertung auch für altere Filme und Produktionen mit niedrigerem Budget kommen.
Und genau so muss man an „Die verlorene Ehre der Katharina Blum“ herangehen: Bei einem Vergleich mit aktuellen Blockbustern kann dieser Film nur verlieren, aber eine Bewertung sollte stets beurteilen, ob die Blu-ray das Optimum aus der Vorlage herausholt.
Nun aber zur Sache: Das Bild liegt im angeblichen Originalformat 1,66:1 vor und wurde MPEG4/AVC-codiert. Angeblich deshalb, weil zu Beginn bei den Titeleinblendungen ein Name leicht am unteren Bildrand abgeschnitten ist. Ob dieser Fehler schon in der Vorlage bestand, beim Transfer passiert ist oder sich eventuell auch nur auf den Vorspann beschränkt, ist nicht zu klären - im weiteren Verlauf fallen zumindest keine fehlenden Bildinhalte auf.
Die Vorspannsequenz ist dann auch der größte Schwachpunkt des ganzen Films. Durch die Überlagerung der beiden Filme (Titel und Namen sowie die Handlung im Hintergrund) sind etliche Verschmutzungen sichtbar, die bereits in der Originalvorlage vorhanden waren und sich daher nur schlecht herausretuschieren lassen. Ähnliche Defizite sind beispielsweise auch bei den Raumschiff Enterprise-Folgen (Beamersequezen) sichtbar. Im übrigen Filmverlauf sind jedoch nur seltentst Verschmutzungen und ähnliche Probleme zu bemerken - ein oder zweimal blitzt kurz ein Laufstreifen auf, der dann aber schnell wieder verblasst.
Vermutlich aufgrund des verwendeten Filmmaterials ist die meiste Zeit eine mehr oder weniger deutliche Körnung sichtbar. Während das in den vielen hellen Szenen kaum auffällt und dem Ganzen einen filmischen Look verleiht, ist das Graining in einigen dunklen Szenen schon manchmal störend und verschluckt dabei so manches Detail. Die Komprimierung verhält sich beim bewegten Bild unauffällig und bildet die Körnung gut ab. Bei Standbildern fällt dennoch auf, dass in manchen Bereichen kleine Blockartefakte zu sehen sind.
Insbesondere Nahaufnahmen zeigen eine Vielzahl von Bilddetails, aber auch sonstige Einstellungen können durchweg überzeugen. Richtige Ausrutscher im Sinne von schlecht fokussierten Szenen gibt es nicht.
Das größte Defizit sind aber die Farben. So ist die Farbpalette zwar insgesamt sehr ansprechend und gibt die Wirklichkeit der 70er Jahre ordentlich wieder, allerdings ist häufig eine leichte Violettfärbung zu beobachten. Dies fällt speziell bei Hauttönen auf, die dadurch unnatürlich wirken. Diese Einfärbung ist jedoch nicht während des gesamten Films vorhanden oder zumindest nicht auffällig.

Ton
Beim Ton stellen sich ähnliche Fragen wie beim Bild: Muss ein Film für eine gute Bewertung über Mehrkanalton verfügen? Und wenn ja, muss es dabei auch so richtig krachen?
Weder das eine noch das andere ist hier - verständlicherweise - gegeben. Trotzdem wäre es ein Fehler, dem Ton deswegen die ihm zustehenden Punkte zu versagen, denn die deutsche Tonspur (Synchronfassungen sind nicht vorhanden) liegt im verlustfreien Format DTS-HD Master Audio 2.0 vor, wobei der Original-Mono-Ton auf die beiden Frontkanäle verteilt wurde.
Abgesehen von der Tatsache, dass hier wie gesagt kein Mehrkanalton vorhanden ist, gibt es nur wenig zu bemängeln. In manchen Szenen sind die Sprecher leicht am Zischeln, da sich dies aber auf einige Darsteller beschränkt, könnte das ihrer natürlichen Sprechweise entsprechen.
Dialoge sind sehr gut verständliche (wichtig!), ein Rauschen oder Knacksen in der Tonspur ist nicht auszumachen. Die Dynamik wird nur selten gefordert, stellt aber in der Szene, als Katharina Blum ihre Wohnung verwüstet, unter Beweis, dass es auch hier nichts zu Bemängeln gibt.
Es gibt auch aktuelle Vertreter auf Blu-ray, wie z.B. „No Country for Old Men“ oder „Zeiten des Aufruhrs“, die tonal nicht wesentlich mehr zu bieten haben und trotzdem wegen ihrer unzweifelhaft vorhandenen (Audio-)Qualitäten entsprechende Wertungen erhalten.

Extras
Wie alle Digibooks der StudioCanal-Collection bietet auch „Die verlorene Ehre der Katharina Blum“ ein Booklet mit einem Essay zum Film. Darin schreibt Autor Willi Winkler, Journalist bei der Süddeutschen Zeitung und Kenner der RAF, vor allem über eben diese sowie die Annäherung des Autors und der Filmemacher an das Thema. Zeitgeschichtlich interessant, wird aber nur wenig über den Film verraten.
Als Haupt-Extra ist auf der Blu-ray die Dokumentation „Erinnerungen von Volker Schlöndorff, Margarethe von Trotta und Eberhard Junkersdorf“ vorhanden. Ausführlich berichten darin Schlöndorff (Regisseur und Autor), von Trotta (Co-Regisseurin und Autorin) und Junkersdorf (Produzent), wie es zur Entstehung des Films kam und wie sich die Zusammenarbeit mit Heinrich Böll gestaltet hat. Für jeden, der mehr erfahren will, sind diese Interviews ein Muss.
Dann findet sich noch Schlöndorffs Kurzfilm „Die verschobene Antigone“, in welchem ebenfalls Angela Winkler die Hauptrolle spielt und der Teil des 1978 erschienenen, collagenartigen Spielfilms „Deutschland im Herbst“ ist. Dieser semidokumentarische Film beschäftigte sich mit dem Terror der RAF im Jahr 1977 und war namensgebend für den Begriff „Deutscher Herbst“.


Fazit
„Die verlorene Ehre der Katharina Blum“ ist kein leichter Film. Eine gewisse historische Bewandertheit wird dem heutigen Zuschauer abverlangt, obwohl die Aussage in ihrem Kern zeitlos ist. Dabei muss man sich Zeit nehmen, um diesen Kern zu ergründen, denn wie bereits oben geschrieben, braucht es durch die Umstellung der Romanhandlung eine Weile, bis der Film sein Hauptanliegen thematisiert.
Technisch entspricht die Blu-ray weitestgehend dem, was man von einem solchen Film erwarten kann, aber sicher nicht dem, was man von einer aktuellen Hollywood-Produktion erwartet. Bild und Ton sind sauber aufgearbeitet worden, es ist fraglich, ob es jemals eine bessere Version geben wird, da die Nachfrage nach solchen Werken doch eher gering sein dürfte.
Die Extras runden den Hauptfilm sehr gut ab und stellen eine gelungene Ergänzung dar, es wäre aber sicher noch mehr Hintergrundmaterial drin gewesen.
Insgesamt eine ansprechende Veröffentlichung.

Wertung
Film 6/10
Bild 7/10
Ton 8/10
Extras 6/10



"Die schärfsten Kritiker der Elche waren früher selber welche."
(F. W. Bernstein)

#2
Geschrieben: 19 Dez 2009 19:44

geraut

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Faires Review, für einen Film, bei dem wahrscheinlich die Meinungen auseinandergehen.
Da über diese Art von Filmen selten rezensiert wird, ein extra Danke von mir.
#3
Geschrieben: 20 Dez 2009 15:34

Deniso

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Ich kenne zwar den Film nicht, aber die Review liest sich runter wie nichts. Ein dickes Lob meinerseits, hier stimmt einfach alles!! :thumb:
#4
Geschrieben: 20 Dez 2009 15:54

BlaueScheibe24

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hier hat sich Tsungam wirklich sehr viel mühe gemacht. das verdient auch ein lob von mir!

ich hatte mir dieses digibook damals gleich am release-tag gekauft, da ich an sich deutsche filme mag (nicht alle aber etliche), und die story bei mir interesse geweckt hat. außerdem ist es mal eine "andere" verpackung als amaray, steelbook oder collector's book...

als ich die blu-ray eingelegt habe ist mir erst mal das sehr starke rauschen des bildes aufgefallen. der film ist relativ alt, brilliante bildqualität war hier also nicht zu erwarten, wobei ich gestehen muß, das ich nicht über das alter informiert war, als ich die blu-ray bestellt habe. somit war ich erst mal ziemlich enttäuscht, da das bild größtenteils wirklich die qualität einer vhs-kassette hat. wer sich als erste blu-ray einen film wie "unsere erde" angeschaut hat, und legt später eine blu wie die der "katharina blum" in den player ein, wird hier einen wirklich krassen unterschied in der bild- und tonqualität feststellen. natürlich liegt ein weiter zeitraum zwischen den beiden filmen, aber blu-ray's werden in erster linie ja wegen des weitaus besseren bildes gegenüber der dvd gekauft. und hier muß ich einfach sagen ist der preis, der bei mir beim kauf bei 25 euro lag nicht gerechtfertigt. die geschichte ist auch nicht jedermanns sache. ich habe durchaus mehr spannung erwartet, aber der film zieht sich ziemlich lange hin, von spannung keine spur und letztendlich stand nach dem anschauen für mich fest, das der film wieder verkauft wird...

ich würde jedem, der sich für den film interessiert empfehlen sich die blu erst mal auszuleihen, zumal es auch ein film ist, den man sich nicht oft anschauen wird...



"Wenn Du zunimmst, wird gelästert. Wenn Du abnimmst, besteht Verdacht auf Magersucht. Wenn Du Dich schön kleidest, bist Du eingebildet. Ziehst Du Dich einfach an, vernachlässigst Du Dich. Wenn Du weinst, bist Du schwach. Wenn Du aber sagst, was Du denkst, bist Du ein Problemmensch. Egal, was Du machst, man wird Dich immer kritisieren".


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