Blu-ray Forum → Blu−ray Talk, Kino & Filme, TV−Serien, VoD & Gewinnspiele → Blu−ray & Kino Filmreviews

Dr. Seltsam - oder: Wie ich lernte, die Bombe zu lieben @ Knödelkämpfer

Gestartet: 06 Sep 2009 18:15 - 8 Antworten

#1
Geschrieben: 06 Sep 2009 18:15

geraut

Avatar geraut

user-rank
Blu-ray Starter
aktivitaet.png Aktivität:
 
Dr. Seltsam – oder: Wie ich lernte, die Bombe zu lieben

attachment.php?attachmentid=17261&stc=1&d=1252252655

Bewertung
Story: 10/10
Bild: 6/10
Ton: 5/10
Ausstattung: 8/10
Gesamt: 6/10

Vorwort
Im Oktober 1962 stand die Welt so knapp vor dem Abgrund, wie niemals zuvor und wohl auch nicht mehr danach. Die so genannte „Kubakrise“ dauerte 13 Tage und überschattete das gesamte Weltgeschehen. Als die Amerikaner durch Aufklärungsflüge der U-2 über Kuba feststellten, dass die Sowjets Atomraketen auf der Karibikinsel stationierten, drohte ein Atomkrieg zwischen den Supermächten und somit der nukleare Holocaust. In letzter Minute lenkte der sowjetische Premier Chruschtschow – der die Entschlossenheit John F. Kennedys unterschätzte – ein, und zog seine Raketen aus Kuba ab. Dieses Ereignis und die durch Senator Joseph McCarthy in den USA entfachte Kommunismus – Paranoia (McCarthy Ära) der 50er Jahre, beeinflusste Stanley Kubrick’s geniales Meisterwerk „Dr. Seltsam – oder: Wie ich lernte, die Bombe zu lieben“, aus dem Jahr 1964, in maßgeblicher Art und Weise.


attachment.php?attachmentid=17263&stc=1&d=1252252655


Story
US Luftwaffengeneral Jack D. Ripper (Sterling Hayden) ist in höchstem Maße besorgt über die „Fluoridierung“ des Wassers. Da er durch diese, wie er meint, rote Verschwörung, unmittelbare Auswirkungen auf seine körpereigenen Säfte befürchtet, befiehlt er folgerichtig, seiner Staffel B52 Atombomber, den Angriff auf Russland. Als Ripper’s Adjutant, der englische Austauschoffizier Group Captain Lionel Mandrake (Peter Sellers) entdeckt, dass die Bomberstaffel ihre Fail-Safe Punkte überschritten hat und auf dem Weg in die Sowjetunion ist, versucht er verzweifelt, von seinem Vorgesetzten, den aus drei Buchstaben bestehenden Code zu erfahren, um die Bomber zurückzurufen.
Während dessen tagt im Pentagon der hastig einberufene Krisenstab. US Präsident Merkin Muffley (Peter Sellers) bittet den russischen Gesandten in Washington, Alexei de Sadesky (Peter Bull), dem Geschehen im „War Room“ beizuwohnen, um auf dessen Unterstützung bei einem Telefongespräch mit dem sowjetischen Premierminister hoffen zu können. Dies wiederum ruft sofort den Chef des strategischen Bomberkommandos, General Buck Turgidson (George C. Scott) auf den Plan. Ein atheistischer Kommunist, im Allerheiligsten des Pentagons, übertrifft seine schlimmsten Alpträume. Seiner Meinung nach, sollte der Präsident sofort den Einsatz aller Bomber und Raketen befehlen, um die verdammten Kommunisten mit heruntergezogenen Hosen zu erwischen und ihnen somit ein für allemal den Garaus zu machen. Im weiteren Verlauf der Krisensitzung erfahren die Amerikaner von Sadesky, dass die Russen eine neue Superwaffe besitzen, die einen Angriff absolut unmöglich macht – die so genannte „Weltvernichtungsmaschine“. Von nun an geht es um nichts weniger, als das Überleben der Menschheit. Weiß vielleicht der eingebürgerte, deutsche Wissenschaftler Dr. Seltsam (Peter Sellers) noch Rat in dieser Not?


attachment.php?attachmentid=17265&stc=1&d=1252252960


Als Stanley Kubrick die Filmrechte an der Novelle „Red Alert“ von Peter George erwarb, hatten er und Produzent James B. Harris ursprünglich vor, einen ernsthaften Thriller daraus zu machen. Da sich Harris aber, nachdem die Produktion stand, aus dem Projekt zurückzog – um seine eigene Karriere als Regisseur voranzutreiben – disponierte Kubrick um und fasste den Entschluss, dass man eigentlich nur mit einer Komödie dem Irrsinn eines nuklearen Konfliktes, einigermaßen gerecht werden könnte. Er engagierte den Autor Terry Southern - der bekannt für seine skurrilen Einfälle und gesegnet mit schrägem Humor war - setzte sich mit ihm an einen Tisch und es entstand mit dem Drehbuch zu „Dr. Strangelove“, die Grundlage für eine der besten Satiren aller Zeiten. Auch bei der Besetzung machte Kubrick keinerlei Kompromisse und reaktivierte beispielsweise, für die Rolle des durchgeknallten Brigadegenerals Jack D. Ripper, Sterling Hayden aus dem Ruhestand. Hayden bedankte sich mit einer der besten Vorstellungen seiner Karriere. Er bestand ebenso auf George C. Scott, obwohl diesem der Ruf, jähzornig und schwierig zu sein, vorausging. Auch als er bei seinem absoluten Wunschkandidaten Peter Sellers – mit dem er zuvor schon bei Lolita zusammenarbeitete – nachfragte, ob er sich vorstellen könnte, in seinem nächsten Projekt gleich mehrere Rollen zu übernehmen, sagte dieser sofort zu. Allerdings konnte Kubrick sein Vorhaben, Peter Sellers – der bereits drei Rollen übernommen hatte – auch als B 52 Bomber Kommandanten Major T.J. „King“ Kong zu besetzen, nicht verwirklichen, da dies Sellers verständlicher Weise zuviel wurde. Schließlich übernahm Slim Pickens die Rolle, der mit seinem texanischen Slang Kubrick’s Vorgaben entsprach. Wobei an dem in sich stimmigen und sehr guten Cast, zwei Schauspieler herausragen. Vor der großartigen Leistung George C. Scott’s und dem einzigartigen Peter Sellers – besonders als Dr. Strangelove – müsste man eigentlich knien. Die besondere Begabung der beiden Stars manifestiert sich in der Darstellung ernsthafter Charaktere, die beinahe grausam komisch wirken. Aber auch Kleinigkeiten, wie etwa Plakate mit der Aufschrift „Peace is our Profession – Frieden ist unser Beruf“, welches z.B. auch in Ripper’s Büro hängt, tragen zum unvergleichlichen, schwarzen Humor dieses Streifens bei. Trotz der Komik, die dieses Werk auszeichnet, steht praktisch in jeder Einstellung, die bissige Kritik an der atomaren Hochrüstung, sowie die unverantwortliche Haltung einiger Generale im Vordergrund. Buck Turgidson sollte wohl an General Curtis LeMay erinnern, der Präsident Kennedy während der Kubakrise, zu einem groß angelegten Luftschlag gegen die Karibikinsel drängte. Auch die amerikanische Vorgehensweise, nationalsozialistische Wissenschaftler ohne viel Aufhebens einzubürgern, wird in der Figur von Dr. Strangelove, kritisch beleuchtet. Selbstverständlich legte Kubrick, wie in jedem seiner Werke, besonderen Wert auf die Kameraarbeit. So drehte er die Erstürmung der Luftwaffenbasis, eigenhändig mit einer Handkamera. Auch Großaufnahmen von Ripper wirken durch die verwendeten Kamerawinkel, absolut bedrohlich. Eigentlich sollte Dr. Seltsam mit einer großen Tortenschlacht im War Room enden. Als die Aufnahmen im Kasten waren, sah Stanley Kubrick aber, dass dies nicht funktionierte und die gesamte Produktion ruiniert hätte. Also endet der Film mit der berühmten Szene, wo sich Dr. Seltsam aus seinem Rollstuhl erhebt und ausruft: „Mein Führer, ich kann wieder gehen!“. Damit wird in einer Geste, sowie mit einem Satz noch einmal der groteske Wahnsinn von Weltherrschaftsträumen und totalem Krieg offenbart.


attachment.php?attachmentid=17267&stc=1&d=1252252960


Bild
Das Bild liegt im Originalformat von 1.66:1 vor und verwendet den AVC/MPEG4 Video-Codec. Es hinterlässt aber auch einen bleibenden Eindruck. Leider aber im negativen Sinne, wobei die ersten ca. 15 Minuten grausam sind. Besonders Aufnahmen, wie z.B. der Innenraum des B 52 Bombers, leiden unter heftigstem Graining. Das bessert sich nach der angesprochenen Viertelstunde, tritt aber, in abgemilderter Form, immer wieder auf, speziell in dunklen Passagen. Der Schwarzwert schwankt zwischen mittelmäßig und gut. Der Kontrast ist ein wenig zu gering, wodurch das Bild stellenweise etwas flau wirkt. Die Bildschärfe geht in Ordnung und ist teilweise sogar auf hohem Niveau. Fokus und Ausleuchtung passen bei Stanley Kubrick sowieso. Digitale Artefakte, sowie Unschärfen in Teilen des Bildes, sind nicht zu beobachten. Es gibt aber auch noch richtig gute Nachrichten. Da der Film in Schwarz/Weiß gedreht wurde, ist die Farbdarstellung ein vernachlässigbarer Faktor. Insgesamt wird nur selten hohes Blu-Ray Niveau erreicht, was womöglich aber auch dem Ausgangsmaterial geschuldet sein könnte. Eine Enttäuschung – in Anbetracht des Alters dieses Filmes und abgesehen von den ersten 15 Minuten – ist das Bild aber nicht.


attachment.php?attachmentid=17269&stc=1&d=1252252960


Ton
Der Ton – deutsch und englisch in 5.1 Dolby TrueHD – ist selbstverständlich ein Upmix, der aber überraschend gut funktioniert. Die Räumlichkeit beschränkt sich zwar weitgehend auf die Düsenmotoren der B 52 Bomber, dafür gibt es aber an der Front – Soundkulisse nichts auszusetzen. Neben dem Center werden auch die vorderen Seiten – LS durchgehend angesteuert. Dadurch sind Stimmen sehr gut zu orten und durch den lossless Sound auch klar in den Höhen, sowie weitgehend rauschfrei. Der Hauptvorteil des verlustfreien Klanges ist aber die Balance – Musik/Effekte/Sprache – wobei die Sprachverständlichkeit auch bei Musik oder Effekten erhalten bleibt und nicht, wie so oft, untergeht. Vergleicht man die deutsche mit der englischen Tonspur, ist die Englische - natürlich nur, wenn man der Sprache mächtig ist - vorzuziehen. Die Stimmen wirken kräftiger und klarer, da diese in den Höhen besser strukturiert sind. Man könnte auch sagen, der deutsche Ton klingt ein wenig dumpfer.
Grundsätzlich ist die englische Tonspur erste Wahl, da man die Genialität Peter Sellers’ nun einmal nur in der Originalsprache wirklich erleben kann. Das ist keine Kritik an der Originalsynchronisation – die durchaus gelungen ist – nur ist es eben schlicht unmöglich, diesem grandiosen Schauspieler in all seinen Facetten, mit einer Synchro, gerecht zu werden. Neben den beiden beschriebenen, gibt es auch noch eine Tonspur in italienischer Sprache – ebenfalls in Dolby TrueHD – und den original Mono – Ton in Englisch. Zum Abschluss noch ein Tipp zum Stromsparen. Da der LFE – Kanal, so gut wie gar nicht angesteuert wird, lohnt es auch nicht den Subwoofer einzuschalten.


attachment.php?attachmentid=17271&stc=1&d=1252252960


Ausstattung
Das Menü der BD entspricht dem Klassenstandard. Es ist übersichtlich und hübsch gestaltet, sowie einfach zu bedienen. Die Extras hingegen, sind nicht nur quantitativ, sondern auch qualitativ als überdurchschnittlich zu bewerten. Neben einem „Making Of“, gibt es eine ganze Reihe informativer und interessanter Themen. Man gewährt dem Zuseher einen Einblick in die „Kunst des Stanley Kubrick“ - weiters gibt es ein Portrait von Peter Sellers - eine Doku, die den Zusammenhang von Dr. Seltsam und der nuklearen Bedrohung beleuchtet, wobei Leute wie beispielsweise Bob Woodward oder Spike Lee zu Wort kommen – kurze Interviews mit Peter Sellers und George C. Scott – selbstverständlich den Trailer und ein fast halbstündiges Gespräch mit dem ehemaligen Verteidigungsminister der USA, Robert McNamara, der sowohl über die Kubakrise Auskunft gibt, wie auch allgemein über das Risiko einer atomar bewaffneten Welt spricht. Anstatt des normalerweise üblichen Audiokommentars, gibt es die Möglichkeit, Popup – Fenster einzublenden, die die Strategie der Amerikaner und der Sowjets, im Falle eines nuklearen Konfliktes, beschreiben. Insgesamt tolle Extras, die man sich – wegen des besseren Filmverständnisses – auch wirklich ansehen sollte.


attachment.php?attachmentid=17273&stc=1&d=1252252960


Fazit
Diese Produktion ist beispielhaft dafür, was geschieht, wenn Genialität auf Kreativität, sowie Einzigartigkeit trifft und diese eine Symbiose bilden. Es entsteht kein Spielfilm in herkömmlichem Sinn, sondern ein Meisterwerk der Filmgeschichte, das auch Jahrzehnte überdauert und dabei nichts von seiner Faszination verloren hat. Dr. Seltsam war vor 45 Jahren richtig, und er ist es heute, trauriger Weise, ebenso. Wenn man sich klar macht, wie viele Nationen heutzutage im Besitz von Atomwaffen sind, und welche, zum Teil geisteskranken, Regime danach streben, kann einem Angst und Bange werden. Fest steht aber, dass jeder ernstzunehmende Cineast, an diesem Juwel der Filmkunst, nicht vorbei kommt. Sollte jemand also nicht im Besitz der DVD sein, ist für den Filmfreund ein Kauf der BD, trotz der nicht restlos überzeugenden Bildqualität, ein Gebot der Ernsthaftigkeit. Satiren, die - Intelligenz, grandiose Komik, Oscar reife Darstellerleistungen, brillante Regie und leider auch die Zeiten überdauernde Aktualität – in sich vereinigen, gibt es schließlich nicht zuhauf.


Gesehen und gehört mit

Beamer: Sony VPL – HW10
BD – Player: Panasonic DMP - BD35
AV – Receiver: Pioneer VSX – LX60
Lautsprecher: Teufel System 6 THX Select

#2
Geschrieben: 06 Sep 2009 19:27

Ripper

Avatar Ripper

user-rank
Steeljunkie
Blu-ray Freak
fsk-geprueft
user verified
aktivitaet.png Aktivität:
 
Wieder eine sehr schöne Review von dir! Kompliment! :cool::thumb:
I am not in danger Skylar, I am THE danger!!!
 
 
212632d1439989782-die-hall-of-steel-mark.png
 
 
Club der Steeljunkies


 
Gruß Mark
#3
Geschrieben: 06 Sep 2009 20:21

Gast

Tolles Review, vielen Dank und bitte mehr!
#4
Geschrieben: 06 Sep 2009 20:30

Gast

sehr guter Bericht :cool:
:thumb::thumb::thumb:
#5
Geschrieben: 06 Sep 2009 20:38

Gast

Die Review ist eine Liebeserklärung an einen wirklich außergewöhnlich guten Film .

Professionel und technisch versiert mit einem eindeutigen Resümee !

Mehr davon thx .
#6
Geschrieben: 07 Sep 2009 07:59

HAL 9000

Avatar HAL 9000

user-rank
Blu-ray Freak
fsk-geprueft
user verified
aktivitaet.png Aktivität:
 
Deutschland
An Board der Discovery
kommentar.png
Forenposts: 8.112
Clubposts: 1.701
seit 17.01.2009
display.png
Panasonic TH-42PX80E
player.png
Philips BDP7500
anzahl.png
Blu-ray Filme:
anzahl.png
Steelbooks:
21
anzahl.png
zuletzt kommentiert:
Open Range - Weites Land
anzahl.png
zuletzt bewertet:
# 9
anzahl.png
Bedankte sich 1485 mal.
Erhielt 2842 Danke für 2027 Beiträge
HAL 9000 is behind blue eyes

Sehr gute Review. Du sprichst mir aus dem Herzen. Ein Meisterwerk!
"Here I am, brain the size of a planet, and they ask me to take you to the bridge. Call that job satisfaction, 'cause I don't." (Marvin, The Hitchhiker’s Guide to the Galaxy)






#7
Geschrieben: 07 Sep 2009 10:45

Breiti

Avatar Breiti

user-rank
Blu-ray Profi
fsk-geprueft
user verified
aktivitaet.png Aktivität:
 
Ich schließe mich der allgemeinen Begeisterung an: Klasse Review zu einem Klasse _ Film, Glückwunsch Dietmar!
"America is the only country that went from barberism to capitalism without civilization in between." - Oscar Wilde

#8
Geschrieben: 07 Sep 2009 11:13

Tsungam

Avatar Tsungam

user-rank
Blu-ray Papst
fsk-geprueft
user verified
aktivitaet.png Aktivität:
 
Das Review gefällt mir auch wieder sehr gut - nur den Film finde ich etwas zu seltsam ;)



"Die schärfsten Kritiker der Elche waren früher selber welche."
(F. W. Bernstein)

#9
Geschrieben: 08 Sep 2009 11:23

Furzknoten

Avatar Furzknoten

user-rank
Blu-ray Fan
fsk-geprueft
user verified
aktivitaet.png Aktivität:
 
Mal wieder ein sehr schönes Review :thumb::thumb::thumb: Kannst Dir schon was drauf einbilden, dass ich es gelesen habe, der Film interessiert mich eigentlich nicht die Bohne ;)


Beitrag Kommentieren

Noch 380 Zeichen

Blu-ray Forum → Blu−ray Talk, Kino & Filme, TV−Serien, VoD & Gewinnspiele → Blu−ray & Kino Filmreviews

Es sind 91 Benutzer und 460 Gäste online.