Geschrieben: 22 Juni 2022 16:41
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Michael Speier youtube.com/MichaelSpeier
Film: 9/10
Bild: 9/10
Ton: 8/10
Ausstattung: 6/10
„Das Phantom der Oper“, „Der Glöckner von Notre Dame“,
„Frankenstein“ und „Nosferatu“ gehören sicherlich zu den ältesten
und bekanntesten Hollywoodmonstern, die selbst genrefremden
Filmfreunden ein Begriff sein dürften. Ein Mann fehlt allerdings in
der Aufzählung, und auch wenn es sich bei Gwynplaine, dem „Mann,
der lacht“ nicht im Entferntesten um ein Monster handelt, so hat er
doch einiges zum Genre beigetragen, wenn nicht gar geprägt. Der
Film „Der Mann, der lacht“ geriet beinahe in Vergessenheit, doch
dank Wicked Vision erscheint das von Carl Laemmle produzierte
Melodrama von Paul Leni mit Conrad Veidt und Mary Philbin in den
Hauptrollen nun erstmals hierzulande auf Blu-ray Disc in Form von
fünf unterschiedlichen Mediabooks. Dafür wurden sämtliche deutschen
Texttafeln, im Film zu sehenden Handschriften und ähnliches anhand
alter Zensurkarten in mühevoller Arbeit komplett neu angefertigt.
Was der Film zu bieten hat und wie sich die Blu-ray Disc in
technischer Hinsicht schlägt, klärt das nun folgende Review.
Film:
Gwynplaine, der Sohn des Lords Clancharlie, wurde bereits als Kind
von Dr. Hardquannone grausam entstellt: Ein künstlich geschaffenes
irres Grinsen verurteilt ihn dazu, auf ewig über seinen törichten
Vater zu lachen, der vom König zum Tode verurteilt wurde. Derart
gezeichnet und zum Sterben in der Kälte verdammt, kämpft sich
Gwynplaine durch das Leben, landet zunächst bei einer Gruppe
fahrender Gaukler, und erlangt durch die Gunst der späteren Königin
sogar beinahe sein altes Leben zurück. Zugleich verzehrt er sich
vor Liebe zu der blinden Dea, die er dereinst vor dem Tode gerettet
hat. Doch das Schicksal hält viele Höhen und noch mehr Tiefen für
den „Mann, der lacht“ bereit ...
Der Film basiert auf einer der bekanntesten Geschichten von Victor
Hugo, dessen Werke wie „Les Miserables“ und natürlich „Der Glöckner
von Notre Dame“ nicht nur mehrfach verfilmt wurden, sondern auch
als Grundpfeiler der Weltliteratur angesehen werden. Gerade der
letztgenannte Titel, beziehungsweise dessen erste bekannte
Verfilmung mit Lon Chaney Senior in der Titelrolle, war auch der
Auslöser dafür, dass man sich an eine Verfilmung von „Der lachende
Mann“ heranwagte, denn das Publikum gierte nach entstellten Fratzen
und grausiger Unterhaltung. Dabei ist „Der Mann, der lacht“ im
Grunde überhaupt kein Horrorstoff. Ehrlich gesagt ist die
Geschichte nicht einmal gruselig, wenn man einmal von der Grundidee
absieht. Viel eher handelt es sich hier um ein äußert tragisches
Melodrama über einen herzensguten Menschen, dessen äußeres
Erscheinungsbild ihn aber zu einem „Freak“ macht, den man weder
ernst nimmt noch lieben kann. Dennoch ist „Der Mann, der lacht“
eine Art Blaupause für viele Horrorfilme, die später folgen
sollten. Dies ist primär auf die expressionistische Inszenierung
zurückzuführen, welche die dramatische Liebes- und
Leidensgeschichte des Gwynplaine in düsteren, unheimlichen Bildern
einfängt, die für sich genommen grausig und gruselig wirken, auch
wenn die Handlung dies nicht tut. Gepaart mit der diabolischen
Maske, dem Spiel mit Licht und Schatten, und natürlich der
dramatischen Musikuntermalung, entsteht letztendlich ein
Horrorfilm, der dem Zuschauer ganz ohne Grauen und Grusel einen
Schauer über den Rücken jagt.
Die Handlung des Films ist tatsächlich sehr dramatisch, tragisch
und bittersüß. Victor Hugo selbst war seinerzeit ein scharfer
Kritiker, der mit seiner Meinung auch selten hinter dem Berg hielt.
Auch „Der Mann, der lacht“ ist eine scharfe Kritik – zum einen an
der Monarchie, zum anderen am Menschen selbst. Conrad Veidts
phantastische Maske, die unverkennbar das Aussehen des Jokers in
den Batman-Comics und Filmen beeinflusste, ist atemberaubend gut.
Nicht auszudenken, welche Schmerzen das martialische Drahtgestell
verursacht haben muss, welches die grausamen Züge des entstellten
Gwynplaine erzwingt, ohne dass man irgendetwas davon sieht. Die
Maske stand ganz in der Tradition derer von Chaney und steht diesen
in nichts nach. Darstellerisch ist Veidt ebenfalls über jeden
Zweifel erhaben. Die innere Zerrissenheit, die Verzweiflung und
Hoffnung, all das zeichnet sich schon in seinen Augen und seinen
Gesten ab, und wer jemals einen so großartigen Stummfilm wie diesen
gesehen hat, der weiß, welche Kraft die Körpersprache und Mimik
eines fähigen Mimen auch ohne Worte ausdrücken kann – und Veidt war
einer der besten seiner Zeit. An seiner Seite erleben wir die
bereits aus „Das Phantom der Oper“ bekannten Mary Philbin, die hier
erneut brilliert. Die Rolle der blinden und aufopferungsvollen Dea
ist ihr wie auf den Leib geschnitten.
Lenis Film orientiert sich weitestgehend an der Vorlage und bleibt
dieser sehr treu. Lediglich am Ende schlägt der Film einen anderen
Weg ein, und weicht final erheblich von der Vorlage ab. Ob dies der
damaligen Zeit oder schlichtweg den Wünschen des Studios, des
Regisseurs selbst oder wem auch immer entsprach, soll an dieser
Stelle ungeklärt bleiben. Fakt ist, dass das Filmende definitiv
zufriedenstellt und den Zuschauer mit Hoffnung erfüllt. Dennoch
wirkt der Film lange nach, denn er ist schlichtweg deutlich mehr
als nur eine perfekt erzählte und fotografierte Geschichte. Er ist
ein leidenschaftliches Plädoyer an die Menschlichkeit, die Kraft
der Liebe und letztendlich einfach ein cineastisches Meisterwerk,
dessen Auswirkungen bis heute spürbar sind.
Bild:
Das körnige Schwarz-Weiß Bild liegt im annähernd quadratischen
Ansichtsverhältnis von 1,13:1 vor und basiert auf dem 4k-Scann von
Universal. Die Qualität des mehr als 95 (!!!) Jahre alten Films ist
verblüffend gut. Die Schärfe bewegt sich durchgängig auf einem sehr
soliden Niveau und bildet auch kleinere Details sauber ab. Die
einzelnen Grauschattierungen sind fein abgestuft und der
Schwarzwert ist hervorragend. Durch den perfekt eingestellten
Kontrast erhält der Film sogar eine gewisse Plastizität, die man
bei manch aktuellen Produktionen nicht in dieser Intensivität zu
sehen bekommt. Dazu kommt eine tadellose Restauration, welche die
meisten altersbedingten Fehler, Beschädigungen und ähnliches
komplett verschwinden ließ. Eingedenk des Alters wurde hier eine
absolut fantastische Leistung erbracht, die nicht nur dem Film
gerecht wird, sondern ihresgleichen sucht. Natürlich darf man die
hohe Wertung nicht mit aktuellen Big-Budget-Blockbustern
vergleichen (wobei der Film zu seiner Zeit ebendies war!), sondern
muss gemessen an dem Alter und den Möglichkeiten betrachtet werden.
Dies eingeschlossen wurde die mutmaßlich beste Leistung vollbracht,
die sich Zustandebringen ließ.
Ton:
Beide Filmversionen erhielten sowohl die originale Musik von 1928,
als auch den neu eingespielten, alternativen Score des Berklee
Silent Film Orchestra, welcher anlässlich des 90 jährigen Jubiläums
des Films neu aufgezeichnet wurde. Beide Musikspuren liegen in
unkomprimiertem dts-HD Master Ton vor, wobei die Neuinterpretation
in Stereo, die Originalmusik hingegen in Mono vorliegt. Beide
Soundtracks klingen frisch und sauber, wobei der neu eingespielte
Score natürlich etwas dynamischer und angenehmer klingt, der
Originalton hingegen deutlich authentischer. Auch die Stimmung ist
bei beiden Untermalungen unterschiedlich, aber in beiden Fällen
genial. Dadurch ergibt sich die Möglichkeit, den Film auf zwei ganz
unterschiedliche Arten zu erleben, die mit jeweils
unterschiedlichen Gesichtspunkten einhergehen und den Film in einem
anderen Licht zeigen. Fantastisch sind beide, und es ist reine
Geschmackssache, welche Musik man favorisiert.
Ausstattung:
Der Film erscheint in fünf unterschiedlichen Mediabooks, welche
jeweils 4 Discs mit an Bord haben. Neben dem Film in seiner
Originalfassung liegt der Film hier auch erstmals seit seiner
Vernichtung durch die NS in einer rekonstruierten deutschen
Fassung, also mit deutschen Texteinblendungen, die man anhand von
alten Zensurkarten mühevoll komplett neu hergestellt und in den
Film integriert hat, vor. Jede der beiden Filmversionen bekam eine
eigene Blu-ray Disc spendiert. Die beiden im Set befindlichen DVDs
sind indessen inhaltlich mit ihrem BD-Äquivalent identisch. Als
Bonus enthält das Set noch eine sehr informative und unterhaltsame
Dokumentation über „Die Geburt der Universal Monster aus dem Geiste
des Melodramas“ mit Professor Dr. Marcus Stiglegger, welche eigens
für diese Veröffentlichung produziert wurde.
Fazit:
Ein dramatisches Meisterwerk aus den Geburtsstunden des
Gothic-Horrors liegt erstmals seit dem zweiten Weltkrieg in seiner
ungekürzten und rekonstruierten Fassung vor, und dabei ist nicht
nur die Veröffentlichung erstklassig, sondern auch die technischen
Aspekte. Das Bild wurde bestmöglich restauriert und sah mutmaßlich
nie besser aus, und auch die musikalische Untermalung, von der es
gleich zwei zur Auswahl gibt, klingt hervorragend. Besser kann man
einen Film dieser Art nicht präsentieren. Der Film selbst ist heute
genauso aktuell wie damals und ist nicht nur aus filmhistorischer
und in popkultureller Hinsicht ein Meilenstein, sondern unterhält
und berührt auf seine ganz eigene Art und Weise. Dieser Film sollte
in keiner gutsortierten Filmsammlung eines Cineasten fehlen.