Komme grad aus dem Kino und wow was für ein Erlebnis. Einer der
letzten wirklich Großen seines Fachs hat geladen und alle sind dem
Ruf gefolgt. Wenn ein Christopher Nolan einen neuen Film ankündigt
spitzen alle Schauspieler die etwas auf sich halten genauso die
Ohren, wie wenn der Maestro himself (natürlich Q.T.) sich die Ehre
gibt. Nolan und Tarantino. Meister und Schüler. Verehrer und
Verehrter. Scheidende Generation und aktuelle Generation. Zwei
Ausnahmekünstler die Hollywood eine andere Facette als die des
generischen CGI-Overkills aufdrücken. Geschichtenerzähler die
wahrhaftige Geschichten zu erzählen haben. Meister ihres Fachs die
über Generationen hinweg überdauern werden und zu recht als die
ganz großen Regisseure noch zu ihren Lebzeiten genannt
werden.
Mit nichts weiter als dieser Erwartungshaltung bin ich in diesen
Film gegangen. In eine Analoge 70 mm Vorstellung. Somit die
bestmögliche Version die man in Deutschland sehen kann, da hier zu
Lande leider kein Kino eine IMAX 70 mm Version abspielen kann und
weltweit gerade mal 30 Kopien gezeigt werden (die nächsten in
London, Manchester und Prag). Ich habe mir 2015 schon mal einen
Film in diesem Format angeschaut.
The Hateful 8.
Eben von dem Meister seines Fachs von dem Nolan offen ein Fan ist
(man denke nur an die
Reservoir Dogs Huldigung in
Following) und der es überhaupt möglich machte das
es mittlerweile weltweit so viele Kinos gibt die 70 mm Film
abspielen können. Nolan sagt ganz offen das ohne
The
Hateful 8 er nicht die Möglichkeit bekommen hätte so sehr
in 70 mm drehen zu können wie er es heute kann. Und das er
ebenfalls ein Befürworter dieser teuren Technik ist hat er bereits
2008 mit
TDK bewiesen. Damals noch in IMAX 35 mm
(40 Minuten) hat er sich immer mehr in diese Richtung entwickelt.
Bei
Inception hat er sich zum ersten mal an 70 mm
herangewagt. Bei
TDKR waren es bereits 70 Minuten
im IMAX-Format. Mit
Interstellar ging er noch
weiter und bei
Dunkirk waren es bereits 70 % des
Films die er in IMAX 65 mm gedreht hat. Und auch bei
Tenet kam die IMAX 70 mm Technik zum Einsatz. Aber
hier nun haben wir den ersten Film der mit einer Lauflänge von 180
Minuten und 45 Sekunden KOMPLETT in IMAX 70 mm gedreht wurde und
auch wenn ich nur die zweitbeste Version zu Gesicht bekommen habe
so war das ein cineastischer Festschmaus. Was Hoyte van
Hoytema (seit
Interstellar Nolan's Kameramann und
somit im sogenannten inneren Nolan Circle) hier eingefangen hat ist
der pure Wahnsinn. Und der nächste Punkt das Nolan einer der
letzten verbleibenden Pioniere auf seinem Gebiet ist, ist die
Tatsche das es nicht einen einzigen CGI-Shot und nicht eine einzige
Green-Screen gibt. Alles was man im Film sieht wurde tatsächlich
gebaut oder als praktischer Effekt erstellt. Selbst die Explosion
der Atombombe. Hier sind Künstler und keine einfachen Filmleute am
Werk. Hier sieht man was Leidenschaft bewirkt.
Und mit solch einer Leidenschaft wollen alle Stars und Sternchen
zusammen arbeiten. Ich habe keine Ahnung wie das Casting abläuft
aber ich stelle es mir so vor das ganz Hollywood zum Propheten
pilgert und einfach hofft irgendeine Rolle von Christopher
ergattern zu können. Und scheiße was fährt er da wieder ein
Who-Is-Who auf. Der Film ist bis in die letzten kleinen Nebenrollen
mir großen Namen besetzt und glaubt mir da sind Schauspieler dabei
die nicht im Trailer verraten wurden und wer sich die Spannung
erhalten möchte schaut auch nicht bei Wikipedia rein. Nolan hat sie
alle. Natürlich auch seine "Nolan'schen Buddies" aber eben auch
welche mit denen ich so überhaupt nicht gerechnet habe. Ich verrate
nicht zu viel wenn ich sage das der komplette Cast richtig viel
Spaß macht und jeder hier mit Herzblut dabei ist. Trotzdem möchte
ich Cillian Murphy nochmal besonders hervorheben. Ich liebe diesen
Schauspieler seit
28 Days Later aber mit der
Rolle des Robert J. Oppenheimer zeigt er eindrucksvoll was für ein
großer Schauspieler er mittlerweile geworden ist. Pure Verneigung
vor seiner Leistung. Und Wahnsinn was hier die Make-Up Abteilung
rausgeholt hat. So manchen großen Namen erkennt man entweder gar
nicht oder nur wenn man es weiß. Und auch das Aging ist einfach
perfekt gelungen. Von jung über mittleres Alter bis hin in den
letzten Szenen zu alt. Es sieht einfach alles perfekt aus.
Herrlich. Denn es geht hier nicht um die Egos des Casts sondern um
die Story...
... und an eben jener werden sich die Geister scheiden. Ganz
ehrlich: ich war von Minute zwei an im Film drin und habe 180
Minuten wie in einem Zeitraffer erlebt. Ich war so dermaßen tief in
der Immerson drin das der Film gut und gerne nochmal ne Stunde
länger hätte dauern können. Warum ab Minute zwei? Wir hatten
Tonausfall und die Vorstellung musste unterbrochen werden weil die
Technik erst mal alles neu einstellen musste. Darf meiner Meinung
nach in einem Kino mit nur einem richtigen Saal (1.250 Plätze =
Deutschlands größter Saal) nicht passieren. Aber ich verzeih es mal
weil wie gesagt ich war sofort im Film drin. Nicht eine Zeile,
nicht ein Dialog, nicht eine Szene war zu viel, zu lang oder
überflüssig. Aber der Film richtet sich an ein anspruchsvolles
Publikum. Wer meint auf ein Smartphone während eines Films schauen
zu müssen und das als normal empfindet ist hier falsch. Wer meint
das nach fünf Dialogen endlich mal nen Witz oder eine Actionszene
kommen müsste ist hier falsch. Wer nach drei Namen und sechs
Informationen schon anfängt Dinge wieder zu vergessen der ist hier
falsch. Es ist ein knallhartes Biopic das nolantypisch in mehreren
Ebenen aufgebaut ist. Und wer denkt das der Film als großen Knall
am Ende die Bombe zünden lässt der wird massiv enttäuscht sein.
Nach dieser prominent durch die Trailer in Szene gesetzte Sequenz
geht der Film nochmals
eine komplette Stunde
weiter. Das hier ist Arthaus-Kino nur als 100 Mio. $ Blockbuster
verpackt. Wer sich allerdings auf diesen Film mit all seinen
Facetten einlässt der kriegt hier für seinen Kinoeintritt ein
absolutes Meisterwerk an Film zu sehen für welches sich jeder Euro
lohnt. Egal ob man für die Karte 10 €, 15 € oder 25 € ausgeben
musste. Es lohnt sich.
Nachdem ich bereits auf die visuellen Effekte eingegangen bin muss
man natürlich auch Ludwig Göransson erwähnen. Nach
Tenet zum zweiten Mal bei Nolan für die Musik
verantwortlich untermalt er hier mit seinen Klängen perfekt das
Bild. Und das Wirken zwischen Bild und Ton erlebt dann seinen
Höhepunkt in der Trinity-Test-Sequenz. Dürfen hier erst die Bilder
für sich alleine sprechen so bekommt dann die Druckwelle (also der
Ton) ihren ganz eigenen Auftritt. Wahnsinn. Aber auch hier wieder
der nolantypische Fingerabdruck. War es bei
Dunkirk noch das ticken einer Uhr welches die
Szenerie in einen immer höheren Spannungsbogen hebt, so ist es bei
Oppenheimer das Geräusch von Isotopen, Radiowellen
und Strahlung, welches einen die Hände die Sesselarme fest
umklammern lässt. Nolan treibt es mit der Anspannung in der Szene
auf die Spitze und man hätte in dem riesen Saal sprichwörtlich die
fallende Stecknadel hören können so ruhig war es.
Genial ist auch wieder ein anderes nolantypisches Markenzeichen:
das Spiel mit denen Ebenen bzw. der Verschachtelung der Zeit. Sind
die beiden Ebenen (schwarz/weiß und Farbe) noch sehr offensichtlich
da sie die Sichtweise darstellen, so ist die verschachtelte
Zeitanordnung nicht so hart wie bei
Tenet,
Memento oder auch
Following.
Trotzdem war ich bei der letzten Szene (die mit Einstein) einfach
baff da ich das so habe nicht kommen sehen. Immer wieder merkt man
im Film das die Anordnung nicht komplett linear ist, wobei der Film
schon stark linear aufgebaut ist. Wie gesagt geneigte Nolan-Fans
sind da ganz andere Gehirnakrobatik gewöhnt. Gerade die letzte
Szene lässt einen zumindest nochmal kurz drüber nachdenken wann
jetzt was stattgefunden hat. Aber keine Sorge: es ist kein
absoluter Mindfuck und es gehört nun mal auch in jeden richtigen
Nolanfilm. So wie Tarantino nun mal auch seine Signatures
hat.
Fazit:
Ihr merkt das ich an sich den Film nur in den allerhöchsten Tönen
loben kann. Ist es Nolan's Opus magnum? In meinen Augen nein weil
mir einige andere Filme besser gefielen. Liefert Nolan hier ein
absolutes Meisterwerk ab? Defintiv JA! Das ist Cineastik auf ganz
ganz ganz hohem Niveau und ich bin dankbar dafür das es solche
Regisseure noch gibt, die Studios überzeugen können sowas zu
produzieren und als Ergebnis kein Millionengräber abliefern. Ich
meine das Ding hat 100 Mio. $ gekostet und wischt damit mit so
ziemlich alle aktuellen 300 Mio. $ Produktionen den Boden auf. Ein
James Mangold oder Andy Muschietti (um nur zwei zu nennen) sollten
sich mal stark hinterfragen. Audiovisuell wird hier auf ganz hohem
Niveau abgeliefert und mich würde es stark wundern wenn nicht der
eine oder andere Oscar für diesen Fim am Ende rausspringen wird. Ob
es der Beste Film des Jahres sein wird weiß ich noch nicht da Apple
mit direkt zwei Filmen hier klar ein Wörtchen mitreden wird. Aber
es tut einfach gut so ein absolutes Meisterwerk mal wieder im Kino
zu erleben und ich hasse es jetzt schon wahrscheinlich wieder drei
Jahre warten zu müssen bis es abermals ein Nolan-Film in die Kinos
schafft. Nachdem wir uns von Tarantino so langsam verabschieden
müssen - One Last Ride - bin ich bei Nolan einfach froh das er mit
seinen 53 Jahren noch einige Filme vor sich hat. Es sei denn er
eifert auch da seinem Vorbild nach und macht ebenfalls mit 60
Schluss. Bis dato war davon aber gar nichts zu hören und solange
ihm Hollywood seine kreative Freiheit lässt glaub ich auch das er
weiterhin Spaß an seiner Arbeit haben wird. Und an Ideen dürfte es
diesem kreativen Kopf eh nicht fehlen. Für mich einer der ganz
Großen unserer Zeit der auch in 2023 wieder einen Film abliefert
den jeder Cineast auf der großen Leinwand gesehen haben
muss. Bevorzugt in der 70 mm Variante. Und wer
sonst könnte einem Physik und einen der umstrittensten Physiker des
letzten Jahrhunderts so dermaßen spannend aber auch einprägsam
näher bringen als ein Nolan?
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