Geschrieben: 09 Nov 2020 12:44
Blu-ray Starter
Aktivität:
Ich führe den Erfolg von Game of Thrones (kurz
GoT) nicht auf einzelne Faktoren zurück, auf das
glückliche (teils zufällige, teils wohl sorgfältig geplante)
Zusammenwirken verschiedenster Entwicklungen
zurück, die sich in den Jahren vor Beginn der Serie allmählich
abzuzeichnen begannen.
Nach den großen Kinoerfolgen der Lord of the Rings- und
Harry Potter-Franchises wurden Fantasy-Abenteuer populär,
die einen Hauch mittelalterlicher Mystik und Epik enthalten, ohne
konkret in der tatsächlichen Geschichte angesiedelt zu sein. Sie
verlangen kein historisches Hintergrundwissen, spielen aber mit
populären Versatzstücken des Mittelalters und
(vor)mittelalterlicher Sagen (Artus, Nibelungen, Beowulf usw.) wie
Burgen, Königen, Zauberern, Thronkriegen, Turnieren,
Schwertkämpfen, Drachen und anderen Fabelwesen. In der filmischen
Umsetzung half die immer kostengünstiger werdende und trotzdem
visuell immer überzeugendere Darstellung der Phantasiewelt mit
Unterstützung modernster computergestützter Verfahren. Zur gleichen
Zeit hatten Filme mit antiken Schauplätzen (300,
Alexander, Troy) das große filmische
Schlachtengemälde, das ebenfalls inzwischen durch ausgereifte
CGI-Techniken ohne den früheren Komparsenaufwand möglich wurde,
etabliert. Ergänzt wurde die optische Opulenz von GoT durch die
Faszination realer „Traumlandschaften“ (Island, Irland, Kroatien,
Spanien, Marokko) aus sehr unterschiedlichen Klimazonen, die für
große Abwechslung sorgten.
Parallel dazu entwickelte sich – begünstigt durch Streaming-Dienste
und bequeme Aufzeichnungsverfahren – ein Zuschauerverhalten, das
sogenannte “Binge-Watching”, das ideal war für
Miniserien oder Serienstaffeln mit 6 bis 12 Folgen, die zwischen
der traditionellen Serie und dem Spielfilm angesiedelt waren. Zudem
war es inzwischen auch möglich geworden, im Kabelfernsehen
Geschichten episodenhaft zu erzählen, ohne sich an feste
Zeitvorgaben bei der Episodenlänge und der Aktlänge (zwischen
Werbeunterbrechungen) zu richten: variierende Laufzeiten zwischen
40 und 90 Minuten waren innerhalb derselben Serie möglich. Dieses
Zuschauerverhalten war der epischen Erzählung mit langen und
komplexen, sehr verwobenen Handlungssträngen mit zahlreichen
Protagonisten besonders zuträglich.
Ein weiteres Phänomen der Fernsehlandschaft in den frühen Jahren
des Jahrtausends sind moralisch ambivalenter
Charaktere – wie Walter White in Breaking Bad
oder die Titelfigur in Dexter –, die im Laufe der Serien
eine lange Entwicklung durchlaufen, in deren Verlauf die Zuschauer
ihre Sympathien ständig hinterfragen müssen. In der gleichen Weise
haben ich Figuren wie Tyrion Lannister oder Daenerys Targaryen
ständig weiterentwickelt – nicht immer zum Wohlgefallen der
Zuschauer, aber das war eben Teil der Faszination, die sie
ausübten. Sie durchbrachen das alte Klischee von der
unveränderbaren Dualität von Gut und Böse, indem sie beide Aspekte
in einer Figur vereinten und trotzdem ausreichend Sympathieträger
waren, um große Fangemeinden an sich zu binden.
Und nicht zuletzt vermochte GoT immer wieder zu
überraschen. Indem sich die Serie einerseits nicht zu 100 Prozent
an die literarische Vorlage hielt und ihr andererseits sogar
vorauseilte, wussten die Zuschauer nie, wer wann das Zeitliche
segnen würde – oder sogar von den Toten zurückkehrte. Jede Figur
war grundsätzlich “expendable” – ebenfalls eine (relative) Neuerung
in Sachen ruckartiger, unerwarteter
Wendungen.
Schockieren konnte die Serie selbstverständlich auch durch die
große Freiheit, die HBO der Darstellung von Sex und
Gewalt ließ. In einer Zeit, in der das Fernsehpublikum
immer mehr abstumpft, mussten auch hier die Maßstäbe neu gesetzt
werden. Wenngleich man nicht in Richtung Spartacus ging,
loteten manche Gewaltszenen doch die Grenzen des medienrechtlich
Zulässigen aus.
Schließlich sollte auch die innovative und kreative
Titelgestaltung nicht unerwähnt bleiben. In einer
Zeit, in der viele Serien fast komplett auf Titelsequenzen
verzichtet haben, trieb man hier die Individualisierung auf die
Spitze und passte ihn in jeder Folge exakt dem Inhalt an. Untermalt
von Djawadis eingängigem Thema folgte man gespannt der Mechanik der
3D-Karte und versuchte, sich die bevorstehende Handlung
vorzustellen. Erstaunlicherweise hat sich das GoT-Thema zu
einer der beliebtesten Musikuntermalungen für jede Art von
mittelalterlicher Darstellung entwickelt, obwohl GoT in
einer Phantasiewelt angesiedelt ist.
Wir werden noch viele Jahre nach Ende der Serie mit den
kulturellen Einflüssen von GoT leben.
Viele Kinder, denen man vorschnell Namen aus dem
GoT-Universum gab, werden noch in 50 oder 60 Jahren ihre
Namen buchstabieren müssen. Man wird allerdings auch in der Politik
künftig den einen oder anderen Vergleich aus GoT
heranziehen, so wie Star Wars oder Star Trek
immer wieder referenziert werden. Darüber hinaus haben sich einige
Schauspieler, die zuvor noch weniger bekannt waren, durch die Serie
fest etabliert und werden uns – verdientermaßen – noch lange
begleiten.