St. Vincent (2014)
Story 9
Bild 9
Ton 9
Boni 7
Gesamt 8
Mit Bill Murray ist es ein Auf und Ab: Auf jeden Kritiker-Liebling
wie Lost in Translation folgt irgendwann eine Granate wie Hyde Park
am Hudson. 2014 konnte der Schauspieler allerdings in gleich zwei
starken Filmen mitwirken: Als Nebendarsteller in Wes Andersons
mehrfach Oscar prämiertem Grand Budapest Hotel und in der
Hauptrolle in Theodore Melfis Regie-Debüt St. Vincent. Unter dem
Motto „Alles andere als heilig“ veröffentlicht Polyband in
Deutschland nun eine Blu-ray-Ausgabe.
Story
Der Rentner Vincent (B. Murray) ist alles andere als ein
Traum-Nachbar: Entweder besoffen im Garten, im Stripclub oder beim
Zocken an der Pferderennbahn, möchte man ihm nicht gerade seine
Kinder anvertrauen. Und doch bleibt der hinzugezogenen,
alleinerziehenden Mutter Maggie (M. McCarthy) nicht anderes übrig,
als ihren Sohn Oliver (J. Lieberher) in Vincents Obhut zu geben.
Zwischen dem alten Griesgram und dem Jungspund entwickelt sich eine
ungewöhnliche Freundschaft, in deren Rahmen Vincent Seiten von sich
preisgibt, die hinter seiner harten Fassade niemand vermutet
hätte.
Theodore Melfis Regie-Debüt, bei dem er auch das Drehbuch
geschrieben und produziert hat, erweist sich als emotional
aufgeladene Mischung aus Drama und Komödie: Bill Murray, der
mittlerweile in beiden Genres gleichermaßen zuhause ist, findet
hier als sarkastischer Rentner eine perfekte Spielwiese. So tobt
sich der Star nach Lust und Laune aus. Dabei wurde der Rest des
Casts schlau gewählt: Die sonst eher anstrengend bis nervtötende
Melissa McCarthy schlägt ungewohnt zurückgenommene Töne an und
bildet damit einen überraschend gelungenen Kontrast zu Murray.
Naomi Watts ist in ihrer Rolle als osteuropäische Prostituierte
kaum wiederzuerkennen. Neben Murray ist aber vielleicht der
Newcomer Jaeden Lieberher das größte Highlight, denn der Elfjährige
zeigt bereits als Kind ein Potential, das ältere Jungdarsteller
sich heute noch erträumen. Dabei ist es auch vor allem dieses
perfekt miteinander spielende Ensemble, das St. Vincent zu einem
erstklassigen Film macht. Die eigentliche Handlung ist relativ
vorhersehbar und wurde nicht zu unrecht von manchen Kritikern als
witzige Variante von Gran Torino bezeichnet. Allerdings
unterscheidet sich dann doch besonders der dritte Akt enorm von
Eastwoods schwerer Kost und greift vielleicht etwas zu tief in
Hollywoods Happy-End-Klischeekiste.
Trotzdem ist St. Vincent speziell für Fans von Bill Murray ein
Must-See. Der Film bringt sowohl zum Lachen als auch zum Weinen und
hinterlässt einen am Ende mit einem positiven Gefühl. Dies kann man
über immer weniger aktuelle Filme sagen, so dass sich das mehrfache
Ansehen hier sicherlich anbietet.
Bildqualität
In Deutschland vertreibt Polyband St. Vincent, während in den USA
Anchor Bay und im Vereinigten Königreich etwa Entertainment in
Video für die HD-Auswertung verantwortlich ist. Polyband bietet
dabei die gleiche Qualität wie die US-Veröffentlichung: So zieht
sich ein leichtes Filmkorn durch den gesamten Film, der auf
analogem 35-mm-Material gedreht wurde. Die organische Optik passt
zur subtilen Mischung aus Drama und Komödie. Zumal Detailgrad,
Durchzeichnung und Schärfe sofort erkennen lassen, dass es sich
hier um eine moderne Produktion aus dem Jahr 2014 handelt. Perfekt
erspäht man die Pockennarben in Murrays Gesicht oder die kleinen
Falten um die Augen der alternden Schönheit Naomi Watts. Bei der
Farbgebung hat man sich für eine ausgewogene Palette entschieden,
die eher zurückgenommen und dabei sehr natürlich wirkt. Die
Kontrast- und Schwarzwerte sind ebenfalls stimmig, auch wenn in
einzelnen Szenen manchmal minimaler Detailverlust in dunklen
Bildbereichen erkennbar wird. Das ist aber Kritik auf hohem Niveau,
denn insgesamt ist die visuelle HD-Präsentation des Films St.
Vincent absolut gelungen.
Tonqualität
Sowohl deutscher als auch englischer Ton liegen verlustfrei als
DTS-HD Master Audio 5.1 auf der Blu-ray vor. Vergleicht man die
beiden Abmischungen, stellen sich wie erwartet vor allem bei den
Dialogen Unterschiede ein: So sind die deutschen Synchronsprecher
spürbar präsenter, als die Original-Stimmen der Schauspieler. Dies
ist nicht unbedingt von Nachteil, da die Dialogverständlichkeit
davon profitiert, ohne dass in diesem speziellen Fall
Umgebungsgeräusche oder Musik leiden würden. Letztere spielt für
die Atmosphäre bei St. Vincent oft eine tragende Rolle und
integriert sowohl einen klassischen Soundtrack des Komponisten
Theodore Shapiro (Der Teufel trägt Prada) als auch lizenzierte
Songs von Künstlern wie Jefferson Airplane, Bob Dylan und The
National. Angesichts der Tatsache, dass es sich beim Film um eine
dialoglastige Mischung aus Drama und Komödie handelt, ist der Mix
erstaunlich verspielt und druckvoll. Das zeigt sich beispielsweise
bei Vincents Besuchen der Pferderennbahn, wo nicht nur zahlreiche
Umgebungsgeräusche den Hörer einrahmen, sondern auch der
Basseinsatz Stimmung macht. Bleibt zusammenzufassen, dass hier
sowohl im Deutschen wie auch im Englischen zwei hervorragende
Tonspuren vorliegen.
Ausstattung
St. Vincent bietet in Deutschland tatsächlich mehr Extras als
beispielsweise die US-Fassung. So fasst ein B-Roll alternative
Takes einiger Szenen mit rund 17 Minuten Spielzeit zusammen. Zudem
gibt es noch geschnittene bzw. erweiterte Aufnahmen mit etwa 11
Minuten. Etwa 20 Minuten umfasst ein werbewirksamer Beitrag, der
sich ausschließlich um Hauptdarsteller Bill Murray und seine
größten Erfolge dreht. Mal kürzere, mal längere Interview-Schnipsel
mit insgesamt 26 Minuten Spielzeit lassen abermals Murray, Watts,
McCarthy, Melfi und andere Mitwirkende vor und hinter den Kulissen
zu Wort kommen. Fast eine halbe Stunde nimmt dann ein Beitrag zur
Weltpremiere von St. Vincent ein, welcher die Mitwirkenden um Melfi
und Murray bei einem Interview-Panel zeigt. Es folgen zur Abrundung
noch einige Trailer und TV-Spots zum Film. Da fast das gesamte
Bonusmaterial in HD vorliegt, kann man nur von einem mehr als
soliden Paket sprechen, das ausländische Fassungen klar in den
Schatten stellt.
Fazit
St. Vincent ist eine moderne, analoge Filmproduktion mit viel
visuellem Flair und einem angenehm ausgewogenen HD-Bild. Man setzt
auf einen möglichst natürlichen Eindruck und nimmt den Zuschauer
damit subtil gefangen. Die Tonspur ist für diese Art von Film sehr
kraftvoll, aber auch um differenzierte Umgebungsgeräusche in der
Nachbarschaft oder bei Vincents Zockereien keinesfalls verlegen.
Insgesamt hat Polyband zusätzlich 105 Minuten Bonusmaterial auf die
Blu-ray gepackt und übertrumpft damit klar ausländische
Blu-ray-Fassungen.
Bill Murray kann wie kaum ein anderer Schauspieler am schmalen Grad
zwischen Drama und Komödie perfekt balancieren. Das hat er in den
letzten Jahren in Perlen wie Lost in Translation, Broken Flowers
oder Moonrise Kingdom bewiesen. In St. Vincent punktet Murray
erneut als schräger aber liebenswerter Kauz und garniert die an
sich wenig überraschende Handlung des Films mit feinen
Zwischentönen. Fans des Schauspielers sollten die hier gezeigte
Leistung, die zu den besten seiner langen Karriere zählt, also
keinesfalls verpassen. Da hier selbst die sonstige Nervensäge
Melissa McCarthy eine erstaunlich nuancierte Darbietung bietet und
St. Vincent es versteht das Herz zu berühren, ohne in zu argen
Kitsch abzudriften, kann man die schön aufgemachte Blu-ray-Fassung
wärmstens empfehlen. (anw)