Nerve nutzt seine zahlreichen interessanten Beobachtungen
zum Thema Online-Verhalten nicht, indem er am Ende dann doch nur
eine abgehobene Cyber-Thriller Story erzählt. Er möchte gerne der
aktuellen Smartphone-Generation das Brandeisen aufdrücken und über
die Gefahren von Anonymität im Internet hinweisen, feiert dann aber
zu lange die Party mit, sodass die Kritik nur zu einer Randnotiz
verkommt. Besonders beim Finale fällt diese inkonsequente
Herangehensweise auf, da er lieber ein massengerechtes Happy Ending
möchte als den erhobenen Zeigefinger bis zum Ende aufrecht zu
erhalten. So verpufft die Botschaft sofort und der Film entlarvt
sich, nicht mehr als Unterhaltungskino für eine junge Zielgruppe zu
sein.
Apropos junge Zielgruppe: Dementsprechend sind die Figuren auch nur
Schablone bekannter Highschool-Klischees, nur eben der heutigen
vernetzten Welt. Da wäre die divenhafte Bitch, die nun nicht nur
nach lokaler Anerkennung strebt, sondern sich über ihren
"Instafame" sorgt. Dann haben wir das schüchterne aber süße Ding,
aus deren Sicht wir die Geschichte sehen. Natürlich ist es nicht
überraschend, dass sie als einzige Identifikationsfigur eine
positive Charakterentwicklung hat. Dave Franco gibt da ihren Love
Interest. Auch hier setzt man auf einen draufgängerischen
Rockertypen, der natürlich etwas geheimnisvoll ist und auch noch
seine Bauchmuskeln zeigen darf, schließlich muss sich die
Zielgruppe auch in ihn verlieben. Der kumpelhafte, aber uncoole
Computernerd darf selbstverständlich auch nicht fehlen, der hier
aber endlich mal seine Skills einsetzen darf um um dann doch noch
Anerkennung zu bekommen. Abgerundet wird das Ensemble durch die
besorgte Mutter, die natürlich keine Ahnung von den ganzen
technischen Schnickschnack hat um somit das Unverständnis der
älteren Generation symbolisieren soll.
Dabei ist die Idee anfangs noch ganz witzig: Eine App, die Leute
dazu animiert verrückte Dinge zu tun, bis sie irgendwann aus der
Gier nach Ruhm und/oder Geldgeilheit zu immer gefährlichen Taten
getrieben werden, bevor sie überhaupt merken wie es soweit nur
kommen konnte. Damit wird auf die Geltungsdrang von YouTubern,
Twitterern und Instagramern (nennt man die so?) angespielt, was der
Film aufgreift, indem die App-User in Player und Watcher unterteilt
werden. Dabei werden auch
reale Fälle von immer
waghalsigeren Mutproben in die Story eingebaut, um das gegenseitige
Hochschaukeln als eine weitere Gefahr von sozialen Medien zu
verdeutlichen.
Tatsächlich hat
Nerve ein paar echt spannende Momente in
petto, doch der Reiz verliert sich schnell, da es zu schnell absurd
wird. Gezeigt wird eine Welt, in der Kameras allgegenwärtig sind.
Dazu wird viel in Handyoptik dargestellt (wackelige Handykamera,
Chat-Einblendungen etc.) und zusätzlich noch mit zahlreichen flashy
Neonfarben angereichert, hauptsache alles leuchtet. In seinen
schlimmsten Momenten erinnert das an eine Smartphone-Werbung. Das
ist auch das Knackpunkt des Films: Der Film ergötzt sich zu sehr in
seinem Milieu anstatt eine bittere Satire auf Selbiges zu sein. Es
wirkt halt alles so, als wenn er genau die Leute ansprechen will,
die er eigentlich kritisieren sollte. Man könnte das als
Pokémon Go Gone Wild bezeichnen, nur dass die
angesprochenen Themen nie über eine Randnotiz hinauskommen. Im Kern
ist es nämlich nur ein weiterer konstruierter Cyber-Thriller mit
absurdem Handlungsverlauf, Klischee-Charakteren und
zielgruppengerechter Optik.
(5/10)