Agitator - Die wildgewordenen Seelen
Agitator - Die wild gewordenenen Seelen
Araburu tamasii-tati
2001
Japan
Takashi Miike
=> Bisher nur auf DVD erschienen!
„Das Leben sollte wie ein Meteor sein. Es sollte hell aufleuchten und dann verglimmen.“
In Takashi Miikes Agitator, der gemeinhin als „grandioses Yakuza-Meisterwerk“ beworben und beschrieben wird, wird die Geschichte um einen Yakuza-Bandenkrieg erzählt, bei dem Verrat und Korruption, ein Machtkampf zwischen Gangstern und blinde Loyalität im Vordergrund stehen. Agitator zunächst auf Deutsch zu schauen war nicht einfach. Nicht, weil an die DVD zum Film in Deutschland nicht heranzukommen wäre – sondern, weil das Bild der auf dem deutschen Markt erschienenen Version von i-on New Media einfach direkt aus der Hölle stammt. Ich weiß nicht, ob es internationale Erscheinungen gibt, bei denen das Bild besser ausfällt – aber ein Bild, das bestenfalls einem schlechten illegalen Internetdownload oder einer VCD gleicht, breit gezogen auf einen 42``-Bildschirm sieht ehrlich gesagt sehr mies aus. Es ist schon fast eine Frechheit, DVDs mit einem derartig dunklen und unscharfen Bild auf den Markt zu bringen und in die gängigen Shops wie Saturn oder ins Internet zu Amazon zu setzen. Durch diese Bild-„Qualität“ jedenfalls wirken einige düstere Szenen mit einem Grünstich geradezu ermüdend und es geht einiges an schauspielerischer Leistung der Akteure verloren, weil man die Gesichter einfach gar nicht erst zu sehen bekommt. Fest steht, dass wir wohl sehr lange warten dürfen, bis der Film in einer restaurierten Version nach Europa wandert, trotz der Tatsache, dass er in seinem Herstellungsland Japan bereits lange auf Blu-Ray erschienen ist. Aber genug zur DVD, wir wollen uns ja mit dem Film befassen.
„Irgendwann müssen wir alle sterben.“
Agitator malt uns ein Bild vom Alltag und den Konflikten, die ein Leben als Mitglied der Yakuza-Gangs im heutigen Japan mit sich bringt. Wir werden konfrontiert mit einer fiesen Charakterstudie gewissenloser und korrupter Gangster, die sich gegenseitig verraten und verkaufen und bei denen wahre Loyalität und Ehre eher rar gesät sind. Das ist auch der Auslöser für die Handlung: ein Bandenkrieg der Yakuza steht im Mittelpunkt, hervorgerufen durch den Gangster Kaito, der die Bosse zweier befehdeter Gangs umbringen lässt und sie durch seine eigenen Leute ersetzen will, um als Chef beider Gruppierungen diese gemeinsam in das gehobene Syndikat der Tenzaikai einzuschwören. Dummerweise hat er die Rechnung ohne die loyalen Unterbosse Higuchi und Kunichiko einer der beiden Gangs gemacht, die sich kurzerhand aus der Familie lösen und ihre eigenen Lösungen für das Problem „Kaito“ anstreben, um Rache für ihren geliebten ermordeten Boss zu nehmen.
„Das Leben ist unerträglich. Doch wenn man das weiß, sollte man das, was sich einem anbietet, genießen.“
Agitator, der im Original übrigens den altjapanischen Titel araburu tamasii-tati (etwa: die wild gewordenen Seelen) trägt, ist wahrhaftig einer der bittersten Yakuza-Filme auf dem Markt und zeigt uns eine kaltherzige, gesetzlose Welt. Jagten bei der Pate-Trilogie noch Polizei und FBI hinter den Gangmitgliedern her, zeigt Miike uns eine Welt, in der es scheinbar keine Justiz vom Staate her zu geben scheint. Überhaupt erinnert der Score tatsächlich ein wenig an Filme über die italienische Mafia. Der Titel Agitator lässt leider die Frage offen, warum man für den deutschen Markt unbedingt den Namen das Films ändern musste, übernimmt man für Eastern-Filme ja für gewöhnlich die englischen Titel, hier eine einfache Übersetzung des japanischen Titels, The Outlaw Souls. Takashi Miike brilliert auch mit diesem recht frühen Werk. Sein Handwerk, menschliche Abgründe und Gewalt stets mit etwas Poesie zu untermalen geht auch bei diesem Gangsterfilm gut auf. Seine wirre Schnittkunst, vor allem gegen Anfang des Films, wo wir in mehrere kleinere Handlungsstränge eingeführt werden, die erst zerstreuen sollen, bis hin zum Beginn der Haupthandlung, erinnern ein wenig an Filme von David Lynch. Dass Miike ein Fan von Einblendungen und bildhaften Darstellungen ist, herrscht im extrem dialoglastigen Agitator zwar nur selten vor, passt aber dennoch gut ins Bild, wenn zum Beispiel die Vergangenheit Kunichikos mit seiner Freundin bei den Schießübungen im Schauspielhaus beleuchtet wird. Wir lernen viel über Yakuza-Gepflogenheiten wie die großen Rückentattoos und ihre innere Struktur, der Einteilung in Gangs, Bosse und Unterbosse, Familien und Söhne, die alle Teil eines riesigen Syndikats sind, et cetera. Unterboss Higuchi zum Beispiel träumte schon seit seiner Kindheit davon, ein Mitglied der Yakuza zu werden. Und ich glaube, dass es tatsächlich perspektivenlose Jugendliche in Japan gibt, die eben genau so denken.
„Wenn ein Mann mit nichts geboren wird, muss er seinen Platz finden.“
Die schauspielerische Leistung aller Charakter kaufe ich dem Film absolut ab. Nach einiger Recherche habe ich trotzdem feststellen können, dass viele der Schauspieler des Films einen recht unbekannten Status genießen, selbst im japanischen Kino, war die Gestik und Mimik doch grandios in diesem Film. Ebenso bin ich ein großer Fan von der Kamera-Einstellung bei diversen Szenen – alles wirkt so erfrischend anders im Gegensatz zu Hollywood-Schinken. Allein durch die Badehaus-Szene mit der Optik von und dem Dialog zwischen Higuchi und Kunichiko hätte der Film es verdient, einen Kultstatus zu genießen, wären da nicht diese sich so lang hinziehenden Füllszenen. Ich denke, Agitator bleibt stark zuschauerabhängig: Ich rate leider, die Finger wegzulassen von diesem Film, wenn man auf actionreiche Schießereien und coole Sprüche aus ist, da man genau das hier vergleichsweise wenig geliefert bekommt. Die lange Laufzeit von ca. 150 Minuten bietet enorm viele Handlungsstränge, tausende japanische Namen, die man sich merken sollte, um den Film komplett zu verstehen und viele lange Szenen, die fast an altbekannte Tarantino-Movies erinnern. Das kann ermüdend sein, dennoch geht die Geschichte schon unter die Haut. Gewaltdarstellungen gibt es einige, dennoch steht die Gewalt in diesem Miike-Film mal ganz im Gegensatz zu seinen berühmtesten Werken wie Audition oder Ichi the Killer nicht im Vordergrund. Überhaupt war ich überrascht, dass der Film in Deutschland ab 16 Jahren freigegeben ist. Nur weil der Splatter- und Gore-Faktor in diesem Film bei niedrigen Prozenten liegt und sich auf die Hinrichtungen der Bosse beschränkt, überragt doch den Film durch gerade psychische Gewalt. Am Ende vermag der Film noch einmal besonders, seine Zuschauer zu bannen, denn nach scheinbar abgeschlossener Handlung folgt ein erfrischender und überraschender Showdown.
„Schlechtes Gewissen? Das kann ich mir nicht leisten.“
Von vorne bis hinten vermeidet der Film, eine Person in den Vordergrund zu stellen. Wir haben unsere Haupt-Antihelden, die nach Rache für ihren ermordeten Boss Yokomizo dürsten, der gespielt wird von Mickey Curtis, aber in Miikes Film leider auch nur lächerliche 5 Leinwandminuten bei einem so talentierten Schauspieler bekommen hat. Daneben haben wir unsere korrupten Bosse und diverse Einzelgangster, die alle ihr Kreuz zu tragen haben. Die DVD ist übrigens definitiv Cut obwohl sie überall als ungeschnitten angepriesen wird. Bei dem Mord an Mizushima beim Barbier zum Beispiel ist das spritzende Blut nachträglich verwischt dargestellt. Da hätte ich es wirklich schöner gefunden, man hätte die ganze Einstellung weggeschnitten, als so eine nachträgliche Verwischung einzufügen. Die deutsche DVD verbietet geradezu den Genuss dieses Films und ich lege jedem Miike-Fan und interessierten Filmschauer, sich den Film irgendwie in einer besseren Qualität anzuschauen. Selbst in einem Unikino habe ich den Film bereits von einer Filmrolle aus in einer besseren Bildqualität gesehen. Der Ton hingegen ist allerdings ganz passabel, von Surround kann man zwar nicht gerade sprechen, aber die deutsche Spur ist immerhin angenehmer zu hören als die japanische, die eher einer Ausführung in Mono denn 5.1, wie angegeben, gleicht, wenn ich auch wie bei jedem asiatischen Film immer wieder den Originalton wärmstens empfehle. Die deutsche Synchronisation ist akzeptabel und glaubwürdig und nicht so seelen- und substanzlos, wie es bei so manch anderen deutschen Veröffentlichungen asiatischer Filme der Fall ist, dennoch fühle ich mich, als sei mir etwas entgangen. Natürlich gilt: asiatische Filme sind am Besten, wenn man Sprachkenntnisse in diesem Bereich hat.
„In diesem Leben musst du entweder Jäger oder Beute sein.“
Über die Qualität der DVD, die uns i-on New Media hier vorsetzt, habe ich schon einiges gesagt – die Aufmachung der Hülle ist allerdings wirklich sehr schön gemacht. Der Film erscheint in einem schönen Pappschuber und hat als Bonusmaterial sehr viele Trailer im Originalton zu diversen Miike-Filmen und anderen Werken des asiatischen Kinos. Das Menü der DVD ist auch um Längen schöner als das Bild des Films an sich, ebenso ist auch das Artwork auf dem Backcover der DVD natürlich geschönt – sonst ginge ja auch die Verkaufsstrategie von i-on New Media nicht auf, oder?
„Der Vogel, der schreit, wird immer zuerst geschossen.“
Fazit: Insgesamt ist Agitator ein düsterer Underground-Movie der Extraklasse. Für Fans des Genres und der Thematik sei sowieso gesagt, dass sie an diesem Film nicht vorbei kommen. Zur Erscheinungszeit 2001/2002 war auch Regisseur Miike noch relativ unbekannt. Großen Anklang wird dieser Film aber nur bei geduldigen Filmschauern finden, die sich von langatmigeren Szenen und intensiven Dialogen nicht gleich einschläfern lassen, da durch einen sehr verzwickten Haupthandlungsstrang nur langsam Spannung aufkommt und der Film durchaus seine Anlaufzeit benötigt.
Ich gebe 8/10 Punkten.
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