Das französische Studio Quantic Dream betritt mit "Heavy Rain" nach
"Fahrenheit" zum zweiten Mal den vernachlässigten Weg des
interaktiven Filmgenres. Diese Review betrachtet, wie erfolgreich
die Umsetzung eines Spiels dieser Art auf der heute verfügbaren
Hardware gelungen ist und mit welche Mittel zum Spielerlebnis
beitrugen.
Story
Wer bin ich? Wo bin ich? Warum überhaupt und wieso interessiert
mich das?
Beginnen wir also mit dem Klären der Grundsatzfragen: In Heavy Rain
bist du nicht eine, sondern gleich vier Personen. Ethan Mars,
Norman Jayden, Madison Paige und Scott Shelby sind die Namen, die
du in deinem Ausweis wiederfinden wirst.
Wo du bist, wird innerhalb des Spiels nicht aufgeklärt, aber es
handelt sich um eine größere amerikanische Stadt.
Warum du da bist und wieso das interessant ist, sind die eigentlich
wichtigen Fragen, denn der Origami-Killer ist zurück und ihm ist
bereits ein neues Kind zum Opfer gefallen. Es wurde auf einem
verlassenen Stück Land in der Nähe einer Eisenbahnstrecke gefunden.
Die Todesursache ist nicht, wie man vielleicht vermuten würde,
exzessives Papierfalten, sondern übermäßiger Kontakt mit Wasser.
Der Name des Mörders leitet sich aus den Beigaben her, die er für
seine Opfer hinterlässt: Eine Orchidee und eine
Origami-Figur.
Die multiplen Persönlichkeiten, die man bei der Jagd auf den Killer
übernimmt, haben alle ihre eigene Geschichte:
Ethan Mars ist Architekt und Vater des letzten entführten Kindes.
Mit den nötigen Schuldgefühlen ausgerüstet, begibt er sich auf die
Suche, um unabhängig von der Polizei alles zu tun, um seinen Sohn
zu finden.
Norman Jayden, ein FBI-Profiler, stößt frisch zu dem Fall und
untersucht in bester Batman-Manier mit Ray Ban und Spezialhandschuh
den ersten Tatort. Er sammelt Indizien und interpretiert, um dem
Mörder näher zu kommen. Nebenbei führt er eine sehr innige
Beziehung mit dem Inhalat Triptocaine, was uns als Spieler vor die
ein oder andere Herausforderung stellt.
Für die Frauenquote sorgt die Fotojournalistin Madison Paige. Sie
wird eher zufällig in den Fall hineingezogen, als sie versucht ihre
Schlaflosigkeit in einem Motel zu bekämpfen, in dem auch Ethan Mars
abgestiegen ist. Sie arbeitet mit ihrem Talent und optischen
Vorzügen, um ihre eigenen Ermittlungen anzustellen.
Scott Shelby schließt die Riege der spielbaren Charaktere ab. Er
ist ein asthmatischer Privatdetektiv und ehemaliger Polizist, der
von den Familien der früher Opfer des Origami-Killers engagiert
wurde, um eigene Untersuchungen anzustellen.
Diese vier Figuren einzuführen und zu charakterisieren nimmt zu
Beginn des Spiels viel Zeit in Anspruch, was die
Erzählgeschwindigkeit und Spannung erheblich bremst. Die Hauptfigur
ist eindeutig Ethan Mars. Das Tutorial dreht sich nur um seine
Familie und es wird so viel Fallhöhe in kurzer Zeit aufgebaut, dass
man die nahende Tragödie schon von weitem kommen sieht.
Es wird außerdem früh etabliert, dass die Opfer des Origami-Killers
ertranken, sobald genug Regen gefallen war. Es verbleiben demnach
drei Tage, um das vermisste Mitglied der Familie Mars zu finden,
bevor der kritische Wasserstand erreicht ist.
Damit wird der namensgebende Regen nicht nur melancholisches
Stilmittel, sondern zusätzlich eine allgegenwärtige Uhr, die ohne
Rücksicht an die dahin fließende Zeit erinnert.
Die Geschichte verläuft linear, jedoch dürfen wir als Spieler
gelegentlich mit mehr Tat als Rat zur Seite stehen und dabei bleibt
uns überlassen, wie konstruktiv oder destruktiv die Unterstützung
ausfällt. Die Auswirkungen mancher Entscheidungen sind teilweise
nicht sofort erkennbar, doch gegen Ende laufen alle Fäden zusammen
und die Konsequenzen werden deutlich.
Jeder Protagonist geht einen anderen Weg, um auf die Spur des
Mörders zu kommen und es kommt gelegentlich zu
Überschneidungen.
Besonders der Weg von Ethan Mars wird den meisten Spielern
wahrscheinlich in Erinnerung bleiben. Man hat hier allerdings
häufig das Gefühl, dass die Autoren ausgiebig bei den “Saw”-Filmen
abgeschrieben haben. Die Kernfrage, die das Spiel und der Entführer
immer wieder stellen, ist eindeutig: “Wie weit bist du bereit zu
gehen, um jemanden zu retten, den du liebst?”
Auch die anderen drei Figuren erleben Dinge, die ihnen das Leben
kosten können und das wäre in Heavy Rain eine endgültige Sache. Die
Story ist allerdings so konzipiert, dass ein positiver Abschluss
der Geschichte möglich ist, obwohl nicht alle vier das Ende
erreichen.
Für den sehr behäbigen Anfang der Geschichte wird man spätestens ab
der Hälfte des Spiels entschädigt. Ab da nimmt die Story deutlich
an Fahrt auf und Action auf und es wird nur schwer den Controller
für längere Zeit aus der Hand zu legen.
Alles in allem handelt es sich um eine spannende und gut erzählte
Geschichte. Die verschiedenen Entscheidungen führen zu über einem
Dutzend verschiedener Endsequenzen, was einen zweiten oder dritten
Durchgang umso interessanter macht. Wirft man zusätzlich noch einen
kurzen Blick auf die Trophy-Liste, dürften sich wohl einige noch
einen zweiten Tag krank melden, um Platin zu erreichen.
Gameplay
Wie gut kennen Sie Ihren Controller? Zögern Sie auch gelegentlich,
wenn ein Spiel Sie unvorbereitet mit Quick-Time-Events überrascht?
Zweifeln Sie gelegentlich, ob Sie einen Button schnell wiederholt
betätigen oder ihn doch gedrückt halten müssen? Haben Sie schon
einmal ausprobiert, wie viele Tasten Sie am Six-Axis Controller
gleichzeitig festhalten können?
Diese Fragen sollte man sich zu Beginn des Spiels stellen, denn
Heavy Rain beantwortet sie alle. Bei der Steuerung geht es um
Geschwindigkeit und ein gutes Verhältnis zum haptischen Teil der
Playstation 3. Damit man etwas Zeit hat sich an alles zu gewöhnen,
dient der Prolog gleichzeitig als Tutorial für die vielen
verschiedenen Interaktionen.
Es gibt jedoch einige Eigenarten, an die man sich zu Beginn
gewöhnen muss. Möchte man beispielsweise verhindern, dass die
Spielfigur nur irritiert in die Gegend starrt und sich beinahe den
Nacken auskugelt, wenn man den linken Analog-Stick rotieren lässt,
sollte man sich merken, R2 gedrückt zu halten, damit die gewünschte
Dynamik nicht zum Dehnen der Halswirbelsäule, sondern zum Laufen
eingesetzt wird. Dies geht jedoch relativ schnell in das muskuläre
Gedächtnis über, wenn man sich oft genug ungewollt in einem Raum
umgesehen hat.
Darüber hinaus entwickelt sich in kürzester Zeit ein sehr intimes
Verhältnis zum rechten Analog-Stick. Obwohl er bei diesem Spiel
seinen sonst festen Job der Kamerasteuerung nicht bekommen hat,
fand er eine andere wichtige Beschäftigung: Er steuert alle
Charakter-Interaktionen mit der Umwelt (z.B. Türen öffnen,
rasieren, aufstehen und hinsetzen). Dabei ist er so häufig in
Betrieb, dass man ein wenig an der eigenständigen
Überlebensfähigkeit der Protagonisten zweifelt, wenn man selbst als
Analog-Stick-Zivi gerade nicht vor Ort ist. Nachdem man die 20. Tür
mit derselben Bewegung geöffnet hat, fragt gelegentlich eine kleine
Stimme im Hinterkopf, ob sich nicht mittlerweile die Spielfigur für
das eigenständige Türenöffnen qualifiziert hat.
Da der Job die Kamera zu steuern immer noch offen war, wurden für
die Vergabe anscheinend Streichhölzer gezogen. L1 entschied diesen
Wettbewerb für sich und erledigt die Aufgabe mit gewohntem,
digitalen Feingefühl und entsprechender Dynamik. Das ist allerdings
ein geringeres Problem, als es sich zunächst anhört, da das
Durchschalten von festgelegten Kamerawinkeln nicht das Feingefühl
eines Neurochirurgen erfordert.
Bevor sich die anderen Knöpfe und Hebel vernachlässigt vorkommen,
möchte ich klarstellen: Für alle ist genug zu tun. L2 öffnet
beispielsweise den Zugang zu den tiefsten Gedanken des derzeitigen
Charakters und das sind häufig so viele, dass man zum Auswählen auf
die Hilfe der Buttons aus der geometrischen Familie angewiesen
ist.
Ähnlich verhält es sich auch mit den Dialogen. Auch hier übernehmen
Kreis, Rechteck, Kreuz und Dreieck die Auswahl der entsprechenden
Themen oder Antworten. Sowohl beim Mono- als auch beim Dialog ist
die Darstellung der Auswahlmöglichkeiten teilweise etwas hektisch
und unübersichtlich. Das wäre kein Problem, wenn es nicht
Situationen gäbe, die eine zeitnahe Entscheidung erfordern und es
ungewollte Konsequenzen haben kann, wenn man Buttons nicht findet
oder die richtige Reaktion oder Antwort zu lange auf dem Bildschirm
suchen muss.
Im weiteren Spielverlauf werden noch einige andere Kombinationen
aus Button drücken und halten verwendet, deren Komplexitätsgrad
sich jedoch nach der Schwierigkeit der auszuführenden Tätigkeit
richtet.
Man kann den Entwicklern von Heavy Rain eines wirklich nicht
vorwerfen und das ist fehlende Kreativität bei den spieltreibenden
Quick-Time-Events (Entschuldigung, Physical Action/Reaction, kurz
PAR).
Die PARs orientieren sich grob an der zu verrichtenden Aufgabe und
bestehen aus verschiedenen Elementen, die durch unterschiedliche
Umrandungen der entsprechenden Buttons symbolisiert werden.
Heavy Rain unterscheidet: Einfaches Drücken, wiederholtes Drücken,
Drücken und Festhalten inklusive Hinzufügen weiterer Tasten zu
einer Sequenz, sowie langsames und schnelles Bewegen der
Analog-Sticks. Auch die Neigungssensoren des Six-Axis Controllers
werden beschäftigt. Die Vielfalt der “Reactions” ist teilweise sehr
beeindruckend und mehr Variationen kann man wohl aus dem
derzeitigen Controller nicht herausholen.
Für die Spieler, die gerne etwas gezielter an einer
Sehnenscheidenentzündung arbeiten möchten, bietet Heavy Rain
mittlerweile außerdem vollständigen Move-Support. Die deutlich
aerodynamischere Form der Move-Controller unterstützt jedoch
nachhaltig die Möglichkeit von Folgeschäden, besonders bei
Frust-Momenten, die sich allerdings erst verstärkt beim Sammeln der
Trophies einstellen. Ich empfehle deshalb unbedingt das Anschnallen
der Fuchtel-Fernbedienungen am Handgelenk, um bleibende Schäden an
Fernseher, Familie und Freunden zu verhindern.
Grafik
Ja, Heavy Rain ist eines dieser Spiele, das sehr viel Zeit mit
Schminken verbracht hat und sieht demnach hervorragend aus. Die
Wasser- bzw. Regen-Effekte sind sehr überzeugend und die Animation
und Mimik der Figuren beeindrucken. Wie so häufig hat dies jedoch
seinen Preis. Zum einen bedarf es einer Bluray, um die grafische
Qualität auf die Playstation 3 zu bewegen und zum anderen wird dem
Erfinder der fixierten Kamera Tribut gezollt. Besonders in den
spielerisch langsameren Szenen, in denen man meistens damit
beschäftigt ist durch die Gegend zu laufen und die Story
wiederzufinden, stört der restriktive Blickwinkel gelegentlich. Die
Möglichkeit die Kamera zu wechseln, schafft häufig Abhilfe, ist
aber letztlich kein Ersatz für die absolute perspektivische
Freiheit anderer Spiele.
Es gibt, meiner Meinung nach, zwei Gründe für die Wahl der
fixierten Kamerapositionen: Erstens spart es Texturen, wenn man
genau weiß, aus welcher Position der Spieler einen Raum sehen kann.
Schließlich ist mein Zimmer auch aufgeräumt, solange ich mich nicht
umdrehe. Zweitens wäre die Anleitung für die Spieler zu lang
geworden, wenn man ihnen zunächst erklären muss, wie sie einen
dritten Analog-Stick in den Controller einlöten, der die Steuerung
der Kamera übernehmen könnte.
Die Cutszenen und vorgerenderten Action-Sequenzen, die das Spiel
gelegentlich zur Auflockerung und zum offiziellen
Sony-Reaktionstest bereithält, überzeugen ebenfalls durch sehr hohe
grafische Qualität. Das darf man allerdings auch von einem Spiel
erwarten, das sich als interaktiver Film verkaufen möchte.
Sound
Die musikalische Untermalung des gesamten Spiels ist sehr gelungen.
Die meist gedrückte Stimmung wird tonal sehr gut wiedergegeben und
der gesamte Soundtrack lässt keine Wünsche offen. Er wirkt nie
aufdringlich und die restlichen Sound-Effekte tragen ihren Teil
dazu bei eine lebendige und abwechslungsreiche Welt zu
schaffen.
Ähnlich verhält es sich mit der Arbeit der englischen Sprecher. Die
Stimmen passen alle sehr gut zu ihren Figuren, was wohl auch daran
liegt, dass die meisten beim Modellieren ihre Synchronsprecher als
Vorbild hatten. Stimmungen und Gefühle werden sehr glaubwürdig und
eingängig vermittelt und ermöglichen ein einfaches Eintauchen in
die Welt von Heavy Rain.
Fazit
Lohnt es sich dafür Geld auszugeben?
Ja, denn Quantic Dream ist ein durchaus interessantes Spiel
gelungen. Die Story ist spannend und es fällt einem wirklich schwer
aufzuhören, bevor nicht auch das letzte Rätsel gelöst ist. Es gibt
jedoch einige Kleinigkeiten, die mich persönlich gestört haben:
-
Trotz des anpassbaren Schwierigkeitsgrades stellt das Spiel für
ungeübte oder unter haptischer Legasthenie leidende Spieler
vielleicht eine zu große Herausforderung dar. Man muss also damit
rechnen, dass man von diesen den Controller zugeworfen bekommt,
sobald es im Spiel etwas hektischer wird.
-
Die fixierten Kamerapositionen sind kein wirkliches Hindernis im
Spiel, es wäre aber schön gewesen, hier etwas mehr Freiheit zu
bekommen.
-
Die Move-Steuerung funktioniert grundsätzlich gut, hat aber
gelegentlich den ein oder anderen Aussetzer, was gerade in
kritischen Momenten zu einem frustbedingt gesteigerten Druck auf
die Move-Controller führt, wenn man versucht seine Beherrschung
wieder einzusammeln.
Dabei handelt es sich eigentlich eher um Kleinigkeiten, die das
Spielvergnügen nicht trüben. Wenn ich meine Meinung numerisch
ausdrücken sollte, käme Heavy Rain auf die folgenden Werte:
Story: 9/10
Grafik: 8/10
Steuerung: 7/10
Sound: 10/10
Gesamt: 9/10
Diese Review entstand speziell für diesen Wettbewerb und als
mögliche Bewerbung für die Verstärkung des PS3-Teams.
Ich hoffe, ihr hattet genauso viel Spaß bei der Lektüre wie ich
beim Verfassen. Feedback ist natürlich gerne willkommen.
Time flies like an arrow. Fruit flies like a banana.