The Big Four - Live from Sofia Blu-ray
Review
[Anm. d. Verf.: Dieses Review ist
ebenfalls in unserem Blu-Life Magazin 4/2010 enthalten. Auf Grund
der begrenzten Platzverhältnisse im Magazin, musste es vom
Verfasser allerdings erheblich gekürzt werden. Für die Datenbank
und das Forum steht nun die ungekürzte Version zur
Verfügung.]Wissen Sie noch, was Sie am 22. Juni 2010 gemacht haben? Nun, wie
wir alle waren Sie wahrscheinlich im WM-Fieber, haben miterlebt,
wie sich die französische Nationalelf mit ihrer Niederlage gegen
Südafrika an diesem Tag sang- und klanglos von der
Fußball-Weltmeisterschaft verabschiedet hat. Oder Sie freuten sich
auf Ihren wohlverdienten Sommerurlaub, weitab der allgemeinen
WM-Hysterie.
Egal, welche Angelegenheiten Sie auch immer regeln mussten, an
diesem auf den ersten Blick so gewöhnlichen Junitag, mit Sicherheit
war nur den Wenigsten von uns bewusst, dass an diesem Abend ein
historisches Ereignis stattfinden sollte: In der bulgarischen
Hauptstadt Sofia teilten sich die „Big Four“ zum ersten Mal in
ihrer langen Karriere ein und die selbe Bühne. Das hätten Sie nicht
gedacht, was?
Warum das so wichtig ist? Ganz einfach: die „Großen Vier“ Bands des
amerikanischen Heavy Metals Anthrax, Megadeth, Slayer und Metallica
sind für nichts weniger als die Entstehung einer eigenständigen
Musikrichtung verantwortlich, des Thrash Metal. Und noch nie zuvor
in ihrer nunmehr fast 30jährigen Geschichte standen diese Helden
ganzer Generationen von Musikern und Fans gemeinsam auf einer
Bühne.
Anlass genug, um dieses Ereignis an diesem Tag live in ausgewählte
Lichtspielhäuser auf der ganzen Welt zu übertragen und nicht
zuletzt, um die nun vorliegende Blu-ray zu veröffentlichen.
Story:
Die 1981 in New York von Gitarrist Scott Ian gegründeten Anthrax
eröffnen diesen denkwürdigen Tag. Die Sonne scheint (noch), die
Fans sind gut drauf und die Band feuert einen Evergreen nach dem
anderen in die euphorische Menge. Der mittlerweile 50jährige Sänger
Joey Belladonna sprintet agil wie eh und je über die Bühne und
zeigt sich stimmlich immer noch auf der Höhe. „Caught in a Mosh“,
„Madhouse“, „Be all, end all“ und die kultige Mitbrüllnummer
„Antisocial“ bilden die Höhepunkte des Sets, welches seinen
Schwerpunkt eindeutig auf die „klassischen“ Thrashnummern
legt.
Dabei waren es Anthrax, die sich als erste der vier schon Ende der
1980er Jahre auch anderen musikalischen Stilrichtungen öffneten,
von Alternative bis hin zu Hip Hop und Rap. Höhepunkt dieser
Entwicklung war sicherlich die Zusammenarbeit mit der Hip Hop Band
Public Enemy im Jahr 1992, aus der sogar eine gemeinsame Tournee
hervorging. Zur damaligen Zeit ein revolutionäres Ereignis! Beendet
wird der Auftritt mit der Judge-Dredd-Hommage „I am the Law“.
Spätestens jetzt ist auch die Bühne „befriedetes Gebiet“ und
Anthrax lassen sich zu Recht vom Publikum feiern.
Dass auch Dave Mustaine mit seiner Band Megadeth an diesem Konzert
teilnimmt, ist mit Abstand die größte Überraschung, verbindet ihn
mit Metallica doch eine ganz besondere Beziehung. Bis 1983 war er
noch fester Bestandteil der Band aus der kalifornischen Bay Area,
bevor er kurz vor Veröffentlichung des Debütalbums „Kill `em all“
auf Grund seiner immer stärker werdenden Alkohol- und
Drogenprobleme aus der Band geworfen wurde. Auch im Hinblick auf
den späteren, immensen Erfolg seiner Exband, konnte der
exzentrische Rotschopf diese Niederlage über Jahrzehnte nicht
verwinden und ließ daraufhin keine Gelegenheit aus, über seine
ehemaligen Kollegen herzuziehen. Bis heute! Lange Gespräche und
eine intensive Aufarbeitung der damaligen Geschehnisse waren nötig,
um diese alten Animositäten aus der Welt zu räumen. Jetzt steht
wieder ausschließlich die Musik im Mittelpunkt, und dass Mustaine
und seine Band zu den ganz großen ihres Fachs gehören, beweist
nicht nur ihr Auftritt an diesem Tag. Der leider allerdings unter
widrigen Wetterbedingungen, denn mittlerweile gießt es über Sofia
wie aus Kübeln. Band und Fans lassen sich davon allerdings kaum
beeindrucken (einige junge Damen im Publikum nutzen die
Gelegenheit, um sich ihrer nassen Oberteile zu entledigen) und
feiern sich gemeinsam durch ein Klassikerset, das kaum Wünsche
offen lässt. „Wake up dead“, „In my darkest hour“, das geniale
„Hangar 18“ und die (für eine Thrash-Band) wunderschöne Ballade “A
tout le monde” zeigen, warum Megadeth zu den technisch
versiertesten Bands des Heavy Metal zählen. Nach dem angemessenen
Schlusspunkt „Peace sells“ verabschiedet das euphorische Publikum,
nass aber glücklich, die Band und bereitet sich auf die nächste
Legende vor.
Und die nächste Legende heißt Slayer. Jeder, der diese Band einmal
live erleben durfte weiß, dass jetzt der Spaß ein Ende hat, oder,
je nach Blickwinkel, nun erst richtig beginnt. Denn Slayer live
sind Krieg! Eine monströse Dampfwalze, die alles in ihrem Weg
überrollt und keine Gefangenen macht. Und auch heute prügeln die
bestens aufgelegten, wenn auch zu 50% eklatant übergewichtigen,
Totschläger ihre großkalibrigen Songs tight, schnell und heavy in
die Menge. Für zart besaitete Gemüter ist das natürlich nichts und
als Begleitmusik zum Blümchen pflücken taugt dieser musikalische
Wahnsinn ebenfalls nur bedingt.
Slayer entfesseln für 60 Minuten die Hölle auf Erden. Nicht mehr,
nicht weniger. Wie in ihrer gesamten Karriere, in der sie sich
kompromisslos jeder Anbiederung an den Mainstream verweigerten,
zeigen sie auch heute, warum sie zur Speerspitze des harten Heavy
Metal zählen. Klassiker wie „War Ensemble“ „Seasons in the abyss“,
„Chemical Warfare“ und vor allem natürlich das legendäre „Angel of
Death“ sprechen für sich. Beim abschließenden „Raining Blood“
erwartet man fast, dass sich die dunklen Wolken über Bulgarien
blutrot färben und sich über die Erde ergießen. Doch die endgültige
Apokalypse bleibt zum Glück aus. Trotzdem zeigen die Herren Araya,
King, Hanneman und Lombardo auch mit Ende 40 ihren jüngeren
Kollegen, was eine Thrash Metal Harke ist. Brillant und der
Höhepunkt dieses Festivals.
Aber halt! Der eigentlich Höhepunkt steht ja noch bevor: Metallica.
Ja, auch die großen Metallica gehören zu den Big Four des Thrash
Metal! Wobei man das im Laufe ihrer wechselhaften Karriere oft und
gerne einmal vergessen konnte. Gerade in den 1990er Jahren
entfernte sich die Band doch zunehmend von den ganz harten Klängen
und suchte ihr künstlerisches Heil in kommerziell zwar enorm
erfolgreichen Gefilden.
Fans der ersten Stunde schüttelten, ob des seichten Gedudels der
vier Kalifornier, jedoch das ein oder andere Mal verständnislos den
Kopf. Aber spätestens mit ihrem starken letzten Album „Death
Magnetic“ aus dem Jahr 2008 nimmt auch diese Geschichte eine
Wendung hin zum Guten. Harter Metal ist wieder angesagt, welcher
sich auch in der Setlist ihrer Konzerte widerspiegelt. So finden
sich kaum noch Songs der unsäglichen „Load/Reload“-Phase oder des
eher therapeutischen Albums „St. Anger“ im Liveprogramm. Die ersten
vier Meilensteine der Band sind wieder aktueller denn je. So zeigen
sich Metallica sowohl musikalisch, als auch charakterlich auf
dieser Tour gefestigter denn je und treten wieder ordentlich aufs
Gaspedal.
Neben den üblichen Standards wie „Creeping Death“, „One“, dem
Übersong „Master of Puppets“ und natürlich dem unvermeidlichen
„Nothing else matters“, treten an diesem Abend insbesondere das
selten gespielte „Welcome Home (Sanitarium)“, die tolle Halbballade
„Fade to black“ oder das rabiate „Hit the Lights“ in den
Vordergrund. Aber auch die drei Songs vom aktuellen Album fügen
sich nahtlos in das Best-Of Programm ein.
Als unbestrittener Platzhirsch und Headliner an diesem Abend (über
100 Millionen verkaufte Tonträger sind Grund genug), bekommen
Metallica als einzige Band volle zwei Stunden Spielzeit
zugestanden, die sie mit ungebremster Spielfreude und einer wie
immer beeindruckenden Bühnenshow rechtfertigen. Emotionaler
Höhepunkt des Abends ist dann natürlich die Diamond Head
Coverversion „Am I evil?“, zu der sich nahezu alle Musiker der „Big
Four“ auf der Bühne versammeln. Unter anderem ist dies seit dem 9.
April 1983 das erste Mal, dass Metallica und Dave Mustaine wieder
gemeinsam auf einer Bühne stehen. Gänsehaut pur!
Bildqualität:
-
MPEG-4 AVC, Ansichtsverhältnis 1,78:1, Auflösung
1080/60i
-
gute Grundschärfe
-
Details bis in den Hintergrund (z. B. Gesichter im Publikum)
differenziert wahrnehmbar
-
leichte Bewegungsunschärfen bei horizontalen
Kameraschwenks
-
gelegentliche Fokussierungsprobleme
-
ausgewogene Kontraste
-
natürliche Farben
-
Bildrauschen in der Bühnentotalen
-
kaum Plastizität
Der Bildtransfer liefert insgesamt ein solides Ergebnis. Die
Qualität von Metallicas Soloveröffentlichung „Francais pour une
nuit“ bleibt allerdings unerreicht.
Tonqualität:
-
Englisch DTS-HD Master Audio 5.1, PCM Stereo 2.0
-
druckvoll, „heavy“
-
Instrumente gut aufgelöst
-
ausgewogene Abmischung
-
Gesang immer klar verständlich
-
Bassdrums klingen etwas flach
Das Live-Feeling bleibt zu jeder Zeit authentisch. Das Publikum
liefert über die hinteren Kanäle die nötige Atmosphäre, ohne sich
zu sehr in den Vordergrund zu drängen. Der Sound knallt bei
entsprechender Lautstärke organisch und der Musikrichtung
angemessen druckvoll aus den Lautsprechern.
Ausstattung:
Das Zusatzmaterial besteht aus einer 45minütigen Dokumentation, die
einen interessanten Einblick in das bunte Treiben hinter der Bühne
liefert und die Vorbereitungen der einzelnen Bands auf ihren
Auftritt zeigt. Dabei fällt besonders positiv die entspannte
Atmosphäre zwischen den Bands und im Umgang mit den Fans ins Auge.
Der Legendenstatus einzelner Musiker wird dabei mehr als deutlich,
wenn erwachsene Männer beim Treffen mit ihren Idolen schlicht die
Fassung verlieren. Bewegend. Die Dokumentation liegt ebenfalls in
HD vor. Nicht unerwähnt soll hier auch das 12-seitige Booklet
bleiben, welches der Blu-ray beiliegt, was heutzutage keineswegs
selbstverständlich ist. Es enthält einige Livefotos und
Credits.
Fazit:
Das Bild erreicht zwar keinen Spitzenwert, liefert aber zu jeder
Zeit ein absolut HD-würdiges Ergebnis. Der Ton zeigt sich nahezu
von seiner besten Seite. So muss Heavy Metal klingen! Die
Dokumentation gewährt zwar einen informativen Einblick in den
Backstagebereich, zu diesem denkwürdigen Ereignis hätte es
allerdings ein wenig mehr Zusatzmaterial sein können.
Die vier größten und einflussreichsten Thrash Metal Bands der Welt
auf einer Bühne. Da bekommen nicht nur Fans der harten Musik
feuchte Augen. Diese Blu-ray ist gleichzeitig ein Manifest gegen
den musikalischen Zeitgeist, der leider in zunehmendem Maße von
gecasteten Retortenbands und mindertalentierten Popsternchen
bestimmt wird, die selbst auf ihren Livekonzerten Playback singen.
Dagegen ist der Heavy Metal lebendiger als jemals zuvor. Das zeigt
sich auch hier wieder vor allem am jungen Publikum, von dem der
größte Teil noch nicht geboren war, als sich die „Großen Vier“
Anfang der 1980er Jahre aufmachten, um mit ihrem „Krach“ die Welt
zu erobern. Und der Feldzug ist noch lange nicht vorbei.
Kurzbewertungen:
Story: 10/10
Bild: 8/10
Ton: 9/10
Extras: 6/10
Gesamt*: 8/10
* In der Gesamt-Bewertung wird die
Story nicht berücksichtigt.Kaufempfehlung: 9/10
Die Kaufempfehlung der The Big Four -
Live from Sofia Blu-ray wird anhand der technischen Bewertung und
unter Berücksichtigung der Story berechnet.Testgeräte:
TV: Pioneer PDP-LX5090 (50“)
BDP: Pioneer BDP-LX71
AVR: Pioneer SC-LX81
Lautsprecher: B&W (Main), Teufel (Surround)