Geschrieben: 20 Juni 2022 17:11
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Michael Speier youtube.com/MichaelSpeier
Film: 8/10
Bild: 9/10
Ton: 7/10
Ausstattung: 8/10
In den 1980er-Jahren war die Hochzeit der Slasher-Filme, und auch
„normale“ Serienkiller feierten plötzlich Erfolge auf der großen
Leinwand. Nach Filmerfolgen wie „Maniac“ und Co. gierte das
Publikum nach mehr. 1989 tauchte dann Regisseur John McNaughton auf
und präsentierte mit seinem „Henry: Portrait of a serial killer“
einerseits genau das, was das Publikum wollte, andererseits aber
etwas völlig anderes. Nun bringt das Independentlabel Turbine den
Film in Form von drei Shop-exklusiven Mediabook-Variationen auf den
Markt. Alle drei Versionen enthalt den Film auf zwei Blu-ray Discs,
einmal im Ansichtsverhältnis von 1,33:1 und ein weiters mal im
bildschirmfüllenden Ansichtsverhältnis von 1,78:1. Das Cover mit
dem exklusiven Artwork von Ralf Krause ist auf 500 Exemplare
limitiert. Die beiden Covervarianten von Scott Salow, sowie einem
weiteren im Stil des Vintage Videos sind jeweils auf 750 Stück
limitiert und beinhalten den Film obendrein zusätzlich noch als
4k-UHD Blu-ray Disc. Was der Film selbst zu bieten hat und wie sich
die technische Seite der Blu-ray Disc ausnimmt, erklärt die nun
folgende Rezension.
Film:
Henry (M. Rooker) scheint auf den ersten Blick ein ganz
gewöhnlicher Typ zu sein, der tagsüber als Kammerjäger arbeitet,
und sich mit seinem alten Knastkumpel Otis (T. Towles) eine
heruntergekommene Wohnung in Chicago teilt. Doch all das ist nur
Fassade, denn des Nachts zieht Henry umher und tötet wahllos
Menschen. Als dann Otis' Schwester Becky (T. Arnold) überraschend
bei den beiden einzieht, öffnet sich Henry ihr gegenüber ...
So wie „The Texas Chainsaw Massacre“ basiert auch „Henry“ auf einer
„wahren Geschichte“, doch anstatt die tatsächlichen Ereignisse bis
zur Unkenntlichkeit zu verstümmeln und reißerische, brutale und
schockierende Neuerungen hinzuzufügen, konzentrierte man sich hier
stattdessen an dem, was wirklich geschehen war – zumindest nach
Aussage des verurteilten Mörders Henry Lee Lucas, dessen
Geständnisse nach späteren Erkenntnissen ein wenig übertrieben und
ausgeschmückt waren. Gespielt wird der rücksichtslose Killer vom
damals noch völlig unbekannten Michael Rooker, der die
Hausmeister-Uniform seines Tagesjobs einfach anbehielt und zum Dreh
mitbrachte. Rooker spielt mit einer Ruhe und Diabolik, dass es
einem kalt den Rücken herunterläuft.
Der Film besitzt eine gewisse Poesie und Ehrlichkeit, geizt zwar
nicht mit Gewaltbildern und blutigen Details, ist aber – im
Gegensatz zu oben genannten Titeln – weitaus zurückhaltender in der
Zurschaustellung von Gräueltaten. Viele von Henrys Morden sieht man
nicht selbst, sondern bekommt lediglich das Ergebnis zu sehen.
Möglich, dass man hier der Tatsache Tribut zollen wollte, dass der
echte Henry in Wahrheit nicht ganz so verdorben und brutal war, wie
er sich selbst gern darstellte. Dies geht auch aus den Gesprächen
die er mit seiner Mitbewohnerin führt hervor, in denen der sich
immer wieder verzettelt und wiederspricht. So gesehen ist „Henry“
sehr viel mehr als ein schnöder Slasher, nämlich eine Sozialstudie
über einen Mann, der den Bezug zur Realität verloren hat.
Der Film ist dreckig, ekelhaft und schlichtweg mitreißend, aber er
verlangt dem Zuschauer auch einiges ab. Zudem lebt er primär von
seiner Atmosphäre und den Gesprächen, dem Miteinander der Figuren
und den realistischen Bildern. Wer einen bluttriefenden Schocker
erwartet wird ebenso enttäuscht sein wie all jene, die einen
reißerischen Thriller erwarten. „Henry“ ist langsam, „Henry“ ist
pessimistisch, und der Film hinterlässt beim Zuschauer ein sehr
ungutes Gefühl, dass weit über den Film hinaus wirkt. Dank der
großartigen Darsteller, allen voran natürlich Michael Rooker, ist
der Film aber ein kleines Meisterwerk des Genres, das die
Konventionen sprengte und sich seinen Platz in der Reihe der besten
Serienmörder-Filme absolut verdient hat.
Bild:
Der Film befindet sich einmal in einem Bildschirmfüllenden
Ansichtsverhältnis von 1,78:1 auf einer Bonus-Blu-ray, und im vom
Regisseur favorisierten und richtigen Ansichtsverhältnis von 1,33:1
auf der Haupt-Blu-ray Disc. Beiden liegt der neue, restaurierte
4K-Scann vom Original-16mm-Negativ zugrunde – und das hat sich
wahrlich gelohnt. Das stark körnige Bild erscheint in einer sehr
realistischen, gewollt dreckigen Atmosphäre, die man förmlich
riechen kann. Die Schärfe bewegt sich durchgängig auf einem sehr
hohen Niveau und bildet auch kleinere Details so scharf ab wie man
es von einem Film, der auf 16mm aufgenommen wurde, erwarten darf.
Die Farben sind etwas zurückhaltend aber jederzeit sehr natürlich
und sauber. Der Kontrast ist gut eingestellt und bildet sauberes,
dunkles Schwarz ab. Ebenfalls positiv zu erwähnen wäre noch, dass
es hier keinerlei altersbedingte Mängel, Störungen, Beschädigungen
oder ähnliches mehr gibt, was den Filmgenuss trüben könnte. Der
Film erscheint somit in der bestmöglichen Qualität, die das Medium
bei einem solchen Film hergibt.
Ton:
Die deutsche Tonspur der Blu-ray liegt in dts-HD Master Audio 2.0
in Mono vor und klingt ausgesprochen sauber und angenehm. Die
Dialoge sind jederzeit glasklar verständlich, werden allerdings
stark priorisiert, was man vor allen Dingen bei Außenaufnahmen mit
einer entsprechenden Soundkulisse wahrnimmt, die dann hinter den
Dialogen zurücksteht. Der englische Originalton liegt ebenfalls in
dts-HD Master Audio 2.0, sowie zusätzlich in dts-HD Master Audio
5.1 vor, wobei letztere Abmischung alles in allem sehr frontlastig
ausgefallen ist und keinen wirklichen Mehrwert bietet. Der 2.0
Originalton klingt hingegen sehr dynamisch und authentisch. Die
deutsche Synchronfassung ist sehr gelungen und präsentiert Guido
Hoegel über Michael Rooker und Oliver Stritzel über Tom
Towles.
Ausstattung:
Im Bonusmaterial erwartet uns zum einen ein sehr informativer
Audiokommentar des Regisseurs, in dem dieser von den Dreharbeiten
und der Arbeit mit Michael Rooker erzählt und auch immer wieder
abschweift. Der Regisseur gab sich auch in zwei Interviews mit
einem Abstand von 18 Jahren die Ehre, über die Nachwirkungen und
die Entwicklung des Films zu sprechen. Darüber hinaus erfahren wir
in den Featurettes einiges über den echten Henry Lee Lucas und
welche Schwierigkeiten der Film mit den unterschiedlichen
Zensurbehörden hatte. Auf der Bonus-Blu-ray befindet sich der Film
in der von einigen Zuschauern gewünschten, aber vom Regisseur nicht
autorisierten 16:9 Fassung, und wer die beiden Fassungen
miteinander vergleicht wird recht schnell zu dem Schluss kommen,
warum der Regisseur dieses Ansichtsverhältnis nicht gutheißen
konnte. Trotzdem ist es nett, diese Version als Bonus mit im Set zu
haben. Das Bonusmaterial liegt größtenteils in HD vor und wurde
komplett optional deutsch untertitelt.
Fazit:
Der Film liegt auf der Blu-ray Disc in optimaler Qualität vor, die
in ihrer Kernigkeit und Authentizität dem Film absolut gerecht
wird. In körnigen, gestochen scharfen Bildern zeichnet sich eine
schockierende Geschichte ab, die völlig zu Recht zu den besten
ihrer Art gehört. Akustisch gibt es auch nichts zu bemängeln und
das Bonusmaterial erlaubt sowohl einen tiefen Einblick in die
Produktion als auch auf die Hintergründe des echten Henry. Der Film
ist pessimistisch, schmutzig und dringt dem Zuschauer unter die
Haut, ohne dabei auf allzu übertriebene grafische Gewalt zu setzen.
Henry mordet aus Langeweile, einfach, weil er es kann. Die Liebe
könnte ihm aus der Lethargie heraushelfen, aber kann ein Mann wie
Henry überhaupt lieben? Ein Film, der zwar primär auf ein
Genrepublikum zielt, dieses aber restlos trifft und
begeistert.