Geschrieben: 15 Juni 2022 08:11
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Michael Speier youtube.com/MichaelSpeier
Film: 7/10
Bild: 7/10
Ton: 7/10
Ausstattung: 6/10
Die Scheibenwelt-Romane des vor einiger Zeit verstorbenen
britischen Schriftstellers Sir Terry Pratchett zählen zu den
beliebtesten Werken der britischen Literatur. Als „Douglas Adams
der Fantasy“ bekannt geworden erschuf Pratchett eine Welt, die auf
dem Rücken von vier Elefanten, die auf dem Panzer einer Schildkröte
stehend durch den Weltraum getragen wurde, ein irres und verrücktes
Spiegelbild unserer eigenen Welt darstellt. Bevölkert wurde
Scheibenwelt von Hexen, Trollen, Werwölfen, Zauberern und ganz
„normalen“ Menschen. Die größte Stadt der Scheibenwelt war
Ankh-Morpork, in welcher die Stadtwache unter Hauptmann Sam Mumm
für Recht und Ordnung sorgten. Nun erscheint mit „The Watch“ die
erste Live-Action-Serie, die sich dieser illustren Gruppe von
Gesetzeshütern widmet. Was die Serie zu bieten hat und wie sich die
Blu-ray Disc, die von Polyband im Vertrieb der WVG Medien GmbH in
den Handel gebracht wurde, technisch leistet, klärt die nun
folgende Rezension.
STORY
In Ankh-Morpork, der größten Stadt auf der
Scheibenwelt, stehen Verbrechen auf der Tagesordnung, denn sie sind
weitestgehend erlaubt. Dieser Umstand macht die Arbeit der
Stadtwache umso schwieriger, denn Gilden organisieren unbeschwert
Auftragsmorde, Diebstähle und den Drogenhandel der Stadt. Eine
Gruppe von Außenseitern will dem ein Ende setzen und sich der
organisierten Kriminalität entgegenstellen. Unter der Führung des
unerschütterlichen Captain Sam Vimes (R. Dormer) versuchen sie für
Recht und Ordnung zu sorgen. Eines Tages droht Ankh-Morpork großes
Unheil und die Gruppe wird dann sogar zur letzten Hoffnung für die
Bewohner der Stadt...
“The Watch“ ist nicht der erste Versuch, die Geschichten von Terry
Pratchett auf den Bildschirm zu bringen. Nach zwei in sich
geschlossenen Zeichentrickminiserien folgte 2006 mit „Hogfather“
die Verfilmung des Weihnachtsromans „Schweinsgalopp“ als
TV-Zweiteiler. Zwei Jahre später erwachte mit „The Color of Magic“
der unglückliche Zaubberer (ja, mit 2 „b“!) Rincewind zum Leben und
2010 bekamen wir einen wundervollen Einblick in das Leben von
Ankh-Morpork, als in „Going Postal“ der Roman „Ab die Post“
verfilmt wurde. Und nun bekommen wir also endlich die legendäre
Stadtwache zu sehen, in der sich unter der Herrschaft des
aufrechten aber mürrischen Hauptmann Sam Mumm eine Scharf illustrer
Taugenichtse und Versager mit dem Herz am rechten Fleck
zusammenfindet um dem Verbrechen den Kampf anzusagen. Allerdings
zeigten bereits die ersten Bilder, dass man es mit der Werktreue
offenbar nicht ganz so genau genommen hatte. Die Reaktionen ließen
auch nicht lange auf sich warten. Während Pratchetts Tochter
Rhianna es noch recht entspannt sah und meinte, die Figuren hätten
nicht viel mit dem Werk ihres Vaters gemeinsam, was aber keine
Kritik und keine Zustimmung sein sollte, prognostizierte Pratchetts
enger Freund und Kollege Neil Gaiman, mit dem Pratchett zusammen
den ebenfalls sehr gut verfilmten Roman „Good Omens“ verfasst
hatte, dass die Fans, welche die Vorlage lieben, sich von den
Änderungen im monumentalen Ausmaß vor dem Kopf gestoßen fühlen
würden.
Tatsächlich ist es so, dass auf den ersten Blick gar nichts stimmt.
Es beginnt schon damit, dass die Namen der Figuren im Original
beibehalten wurden, wobei gerade die deutschen Namen bei der
riesigen hiesigen Fangemeinde äußerst beliebt sind und die Änderung
derselben in einer Übersetzung der Romane bereits weniger gut
aufgenommen wurde, weshalb man auch schnell wieder davon absah.
Allerdings ist diese „Änderung“, wobei es streng genommen gar keine
ist, nur ein winziges Ärgernis, verglichen mit all dem anderen, was
man den Figuren angetan hat. Der Mittelalterliche Schauplatz wich
einer Art Neon-Postapokalyse, die optisch deutlich mehr an „Mad
Max“ erinnert, nur eben ohne Autos, als an die mittelalterlich
anmutende Fantasy-Umgebung. Die Stadtwache heißt hier „The Watch“
und ist eher eine Art Gang, da die Polizei gegen die organisierte
und legalisierte Bandenkriminaliltät nichts ausrichten kann und
darf, und statt Rüstungen, Kettenhemden und Helmen tragen sie
Lederjacken und die Polizeimarke um den Hals. Lediglich die
Armbrüste erinnern noch daran, dass die Handlung nicht in einer Art
Neonpunk-Alternativwelt mit unserer Gegenwart spielt. Die
Darstellerwahl wurde ebenfalls scharf kritisiert, da beispielsweise
Lord Vetinari, der Patrizier und quasi Alleinherrscher von
Ankh-Morpork von einer Frau gespielt wurde – was im Endeffekt aber
eigentlich sogar sehr passend ist und hervorragend zum
undurchsichtigen Charakter der Figur passt. Auch die Zwergin Grinsi
(hier Cheerie) wurde mit der genderqueer:en Darsteller:in Jo
Eaton-Keant nahezu perfekt besetzt, da der Charakter eine Zwergin
ist, die sich ebenfalls seit ihrem ersten Auftreten in den Romanen
von dem eingefahrenen Geschlechterbild loslösen möchte und für
Gleichberechtigung kämpft. Der größte Glücksgriff ist indessen
Richard Dormer als Hauptmann Mumm (Captain Vimes), welcher der
Beschreibung Pratchetts nicht nur sehr nahe kommt, sondern sich
auch bewegt und spricht wie das literarische Vorbild. Ein echtes
Ärgernis ist hingegen das Fehlen der beiden Wachen-Urgesteine
Feldwebel Colon und Korporal „Nobby“ Nobbs.
Betrachten wir die Serie mal aus der Sicht eines völlig
Unbeteiligten, der noch nie etwas von den Schweibenweltroman gehört
oder gelesen hat, so bekommen wir eine mit typisch britischem
Anarchohumor durchzogene, knallbunte Fantasy-Science-Fiction-Crime
Szenerie geboten, in der Menschen, Werwölfe, Zwerge und Drachen
vorkommen, die sich augenscheinlich alle Spinne-Feind sind, und
doch irgendwie zusammenleben. Vor allen Dingen ist diese
Multikulturelle Welt einerseits sehr rückständig und verbohrt,
andererseits aber im Begriff sich zu öffnen. Zwerge sind nicht
automatisch klein, Schurken nicht automatisch böse, Zauberer nicht
automatisch mächtig, und Geschlecht, Ethnie oder sexuelle
Orientierung spielt schon mal gar keine Rolle. Kurz gesagt: Eine
phantastische Welt voller Irrsinn, die unserer völlig fremd und
doch irgendwie ähnlich ist. In dieser Hinsicht wird logisch
fortgeführt was Pratchett in seinen Werken bereits begonnen hat.
Generell orientiert man sich inhaltlich sehr an den Werken, auch
wenn es auf den ersten Blick nicht danach aussieht. So setzt sich
die Handlung aus Fragmenten von „Wachen, Wachen“, „Die
Nachtwächter“, „Rollende Steine“ und zahlreichen anderen Romanen
neu zusammen, wobei sämtliche Figuren einerseits ihren Vorbildern
entsprechen, andererseits aber auch nicht. Die durchmixten
Handlungselemente haben nebenbei den positiven Nebeneffekt dass
sich die eingefleischten Fans und Kenner der Bücher immer wieder
mit Szenen konfrontiert sehen die sie kennen, und dennoch nicht
ahnen können wie es weitergeht. In Episode 6 wird die Handlung um
die Möglichkeit von Multiversen bereichert, und genau an diesem
Punkt wird alles irgendwie genial. Die Scheibenwelt, die wir hier
zu sehen bekommen, ist nur eine von zahllosen Varianten dessen was
wir kennen. Einerseits gleich, andererseits völlig anders. Und das
ist der Punkt, an dem selbst Hardcore-Fans entspannt die Füße
hochlegen dürfen und genießen was sie sehen - und das können sie
auch, denn es ist tatsächlich phantastisch und genial, auch wenn es
Anfangs überhaupt nicht den Anschein hatte.
BILDQUALITÄT
Ähnlich wie bei den „Doctor Who“-Veröffentlichungen (gemeint ist
die Neuauflage der Serie ab Staffel 5, nicht die klassische Serie)
liegt das Bild in einer guten, aber eben nicht perfekten
Bildqualität vor, die mitunter zwar fast an der Referenz kratzt,
aber in vielen Szenen mit Müh und Not das obere Mittelfeld
erreicht. Gerade Nahaufnahmen punkten mit einer enormen Detailfülle
und man kann den Dreck in den Gesichtern der Protagonisten förmlich
riechen. Die Farben sind gerade in der Pilotfolge noch sehr grell
und knallig, normalisieren sich aber von Episode zu Episode immer
mehr und bleiben dennoch natürlich und intensiv. Der Kontrast ist
gut eingestellt, das Schwarz ist mitunter etwas zu hell, dafür
rauscht es in dunklen Bereichen mitunter ein wenig.
TONQUALITÄT
Der Ton liegt in deutscher und englischer Sprachfassung in dts-HD
Master 5.1 mit optimalen deutschen und englischen Untertiteln vor.
Die hinteren Kanäle werden zwar hie und da ins Geschehen mit
einbezogen, aber überwiegend bleibt die Abmischung sehr
frontlastig. Dafür kommt der Subwoofer einige Male zum Einsatz und
auch die musikalische Untermalung, die mit einigen
80er-Jahre-Ohrwurmhits angereichert wurde, klingt hervorragend. Die
Dialoge sind ebenfalls jederzeit glasklar verständlich. Die sehr
gelungene deutsche Synchronisation, welche die Namen alle im
Original beibehält (was an dieser Stelle nur erwähnt und nicht
kritisiert wird) entstand bei der Neue Tonfilm München Film- und
Sychronproduktion GmbH unter der Regie von Dominik Auer und Andreas
Pollak, welcher auch das Dialogbuch verfasste. Über Richard Dormer
erklingt Roman Kretschmers Stimme, Lara Rossi wurde von Malika
Bayerwaltes synchronisiert, und mit Benedikt Gutjan über Adam
Hugill, Stefanie Dischinger über Marama Corlett, Kathrin Gaube über
Joni Ayton-Kent, sowie Leonhard Hohm, Shandra Schadt, Janina Dietz
und Irina Wanka sind einige weitere sehr talentierte Sprecher mit
an Bord.
Im Bonusmaterial bekommen wir einen tiefen Einblick in die
Enstehung einzelner Episoden geboten, wobei man sich einerseits auf
die „eigenwillige“ Optik bezieht, andererseits die Figuren und ihre
Darsteller vorstellt und die Änderungen erläutert, und warum diese
vorgenommen wurden. Jedem Pratchett-Fan, der mit der Serie hadert,
ist das Bonusmaterial daher wärmstens zu empfehlen, da hier einiges
geklärt wird, was vielleicht bei dem einen oder anderen für
Unzufriedenheit sorgen könnte. Darüber hinaus gibt es noch einen
Audiokommentar zur Pilotfolge (auch hier wird einiges erklärt und
relativiert)
FAZIT
Kennt man die Scheibenwelt-Bücher nicht und hat keinen Bezug zu den
Werken von Pratchett, oder kann man über die gravierenden
Änderungen der Figuren hinwegsehen, dann ist „The Watch“ eine
richtig gute Serie. Der Pratchettsche Witz wurde erhalten, die
Figuren passen perfekt, die Darsteller sind gut und die typischen
BBC-Effekte sind auch irgendwie kultig. Wer Spaß an Serien wie
„Doctor Who“ hat, wer britischen Humor liebt und wer es gerne etwas
abgedreht mag, der kommt hier voll auf seine Kosten. Und auch
Pratchett-Fans können ihre Freude daran haben, wenn sie diese
Adaption einfach als eine Art „Scheibenwelt 2.0“ betrachten.
Immerhin war die Scheibenwelt von Anfang an immer im Wandel und zum
Todeszeitpunkt des Autors schon fast im Industriezeitalter
angekommen. Warum also nicht weiterdenken und weitermachen?! Gebt
der Serie eine Chance, und ihr werdet sicher auf die eine oder
andere Art zufrieden sein.