Geschrieben: 28 Dez 2021 16:31
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Was darf Satire? Kurt Tucholsky meint
dazu nüchtern, Satire muss übertreiben und ist in ihrem tiefsten
Wesen nach ungerecht. Sie bläst die Wahrheit auf damit sie
deutlicher wird. Mit der Wahrheit an sich ist es in Adam McKays
Vice- der zweite Mann so seine Sache. Die Wahrheit ist reine
Marktforschung, sie hängt von Lobbiesten sowie den Eitelkeiten von
Amtsinhabern ab. So wird schonmal nachgeholfen um die gefühlte
Wahrheit unters Volk zu bringen. Invasion des Iraq, Abschaffung der
Erbschaftssteuer und Klimawandel, alles eine Frage der Perspektive.
Adam McKay wählt das Mittel der Aufarbeitung der Pre- und Post
Jahre des Dick Cheney um der Wahrheit nahe zu kommen. Ob er sich
dabei auf den Pfaden des Tucholsky bewegt bleibt mehr als fraglich,
denn vermutlich sind hier die Grenzen zwischen Satire und Realität
fließender als es je für möglich gehalten wurde. So wird Vice immer
dann am nüchternsten, lässt Cheney mit kühler monotoner Stimme für
sich sprechen, wenn es am bittersten wird. Wann die Empörung der
Nachwelt am lautesten hallt, bleibt der Skandal nur eine Randnotiz,
eine beiläufige Geste, ein Augenblick den Cheney vielleicht nur mit
einem Nicken quittiert.
Der Angler unter den
Fischen
Gern wird in Filmen oder auch Serien
mit dem Narrativ des Anglers eine bestimmte Eigenschaft verbunden,
in Bryan Fullers Hannibal so auch hier in Vice. Der Unterschied von
Angler zu Jäger besteht darin das der Angler nicht jagt, sondern
ködert. Er weiß genau oder versucht herauszufinden was sein
Gegenüber, Fisch oder Abgeordneter was in den meisten Fällen keine
Rolle mehr spielt, will. Dick Cheney versteht es meisterhaft zu
Angeln, im Weißen Haus angekommen findet er den perfekten Ort
dafür. Ein riesiger Teich voller ahnungsloser Fische. Der im Film
durch Sam Rockwell verkörperte Georg W. wird nur allzu leicht Opfer
dieser Technik. Jene Folgen die sich aus diesem Bündnis bestehend
aus Präsident Bush und Vize Cheney ergeben sind heute noch
sichtbar, wenn sogar spürbar. So wird Vice zum Zeitzeugen so gut es
die Rekonstruktion zulässt zu den Vorfällen rund um den 11.
September, die Entstehung des IS und der Politik von Georg W.
Bush.
Mechanismen der
Macht
Warum Adam McKays Vice so
unterhaltsam wie schockierend ist lässt sich gut an einer im
wahrten Sinne des Wortes köstlichen Szene belegen. Als Dick Cheney,
Georg W., ihre Anwälte im Restaurant sitzend die Speisekarte durch
den Kellner kredenzt bekommen, haben wir uns bereits auf eine
Metaebene begeben und bekommen ein Festmahl serviert, das nicht aus
Nahrung besteht, sondern der Versinnbildlichung der Macht, die den
USA innewohnt. Außerhalb dieser immer wiederkehrenden Metaebnen,
die dann doch auf Tucholskys Wegen verlaufen, sehen wir stiller
Beobachter anderer merkwürdigen wie cleveren Movement seitens der
Regierung. Erbschaftssteuer klingt wenig Marketingwirksam? Dann
nennen wir es doch Todessteuer, wer würde diese befürworten.
Globale Erwärmung? Klimawandel ist nicer, denn kann man sogar
leugnen.
Ein schwarzes
Herz
Auf bissige, giftige aber auch
nüchterne Weise zeigt uns McKay auf was damals im Weißen Hause
getrieben wurde, Wie manipuliert, getrickst und verharmlost wurde
um an ein Ziel zu gelangen. Macht. Zu kurz kommt dabei aber niemals
die Person Dick Cheney. Im Grunde zeigt die letzte Einstellung vor
der Schwarzblende das wesentliche worauf im Endeffekt alles was
Cheney, tut, macht oder überlegt begründet ist. Sein Herz. Könnte
man noch zu beginn annehmen das es ein gutes, gütiges wäre welches
am rechten Fleck säße, wird diese Konstruktion das der Film über
die gesamte Länge aufrechterhalten versucht, mit einem einzigen
Nicken dekonstruiert. Was bleibt von Cheney ist ein zu tiefst aus
Berechnung handelnder Machtmensch, der es sich nicht erlaubt auf
seine Gefühle geschweige denn auf Menschen Rücksicht zu nehmen die
seinen Zielen im Weg stehen. Ironisch dabei die Tatsache das jenes
Instrument, welches für seinen Politischen Werdegang keine Rolle zu
spielen scheint, jenes Organ ist, das ihn am meisten Probleme
bereitet. Allein die im Film dargestellten
Herzinfarkte.
Christian Bale wird abermals in
seiner Kariere konfrontier mit der Frage, muss man um Dick Cheney
zu sein auch so aussehen? Als er für sich selbst beschloss das der
Körper und der Geist zusammengehören und sich gegenseitig
beeinflussen nahm er die nötigen Kilos zu. Diese Art des Method
Acting überträgt sich in jeder Sekunde auf den Rezipienten.
Schmerzt so manch Erkenntnis über Dick Cheney so erfüllt das
Schauspiel des Bale die Herzen der Zuschauer gleichermaßen mit
Freude. Die Nominierung für den Goldenen Jungen eine
Selbstverständlichkeit. Sam Rockwell als Georg Bush, Steve Carell
runden den Cast kongenial ab.
Dornen der
Satire
Was am Ende Dick Cheney
wahrheitsgemäß gesagt getan oder nicht getan hat bleibt ein
unscharfes Bild. Adam McKay unternimmt auf manchmal dramatische
sowie komödiantische Seite den Versuch dieser Unschärfe nahe zu
kommen. Was wir heute alle sehr scharf vor Auge haben in die Folgen
der Post Bush Regierung. Dagegen die Ernennung Barack Obamas wie
einem Friedensmarsch gleichkam. Dem strahlenden Hoffnungsträger
einer gebeutelten Nation. „Wenn einer bei uns einen guten
politischen Witz macht, dann sitzt halb Deutschland auf dem Sofa
und nimmt übel. “ So schrieb es Kurt Tucholsky bereits 1919. Satire
stieß und stößt noch immer vielen Menschen übel auf. So wird es
auch in den USA eine hohe Anzahl von Wählern geben, die auf der
anderen Seite der Wahrheit sitzen um diese für sich zu
beanspruchen. Was mit alternativen Fakten alles zu bewerkstelligen
ist zeigte uns unlängst der Mann mit der roten Mütze, Donald Trump.
Satire kann lustig sein aber trübt nicht darüber hinweg, dass die
Wirklichkeit schlimm sein kann. Denn ohne sie gebe es darüber keine
Satire. Oder frei nach Manfred Heinrich: Kein Lachen ohne
Dornen