Blu-ray Starter
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Hallo,
ich will mal ein paar Worte zu "Harte Ziele" verlieren, da er mein
Lieblings-Actionfilm ist. Weder "Stirb Langsam", noch "Predator"
oder "Terminator 2" kommen meiner Meinung nach ansatzweise an
dessen Magie heran. Der Workprint ist noch länger und härter als
die Unrated Fassung der Bluray aber nicht unbedingt besser, dennoch
sollte man ihn mal gesehen haben. Woher nehmen und nicht stehlen,
werden viele denken, deshalb spiel ich an dieser Stelle mal
Weihnachtsmann: einfach "Asylum Of Oblivion" googeln und ihr landet
im Workprintschlaraffenland, gute Englischkenntnisse sollte man
allerdings schon mitbringen.
Neben der Sneak Preview von "Hard Target", dem
"Cliffhanger"-Workprint, der 5 1/2 Std Version von "Apocalypse
Now", die in Cannes in dieser Version die Goldene Palme gewonnen
hat, ist u.a. die ursprüngliche, sehr brutale Version von "Gangs Of
New York" und vieles mehr zu finden.
Ja, es ist teuer (10 $ pro DVD-R), und nein so eine Kopie ist nicht
illegal. Im sogenannten Berne Act ist verankert, dass
inoffizielles, unveröffentlichtes Fimmaterial nicht durch die
üblichen Copyrightrechte geschützt ist, sondern als intellektuelles
Gemeingut anzusehen sind. Ich mach euch nichts vor: die Qualität
von Workprints ist meist grottig, die x-te VHS-Kopie eines aus
einem Filmstudio geschmuggelten Mastertapes, öfter mal fehlen Musik
oder Soundeffekte, laufen Timecodes im Bild mit. Nichts was man
sich ins Regal stellen oder als definitive Version Freunden
vorführen möchte. Dennoch kommt man der ursprünglichen Vision eines
Regisseurs nie näher und entdeckt so manches Geheimnis, dass man
besser nicht entdeckt hätte, da es oft sehr unwahrscheinlich ist,
dass diese Version jemals das Licht einer Bluray entdecken
wird.
Im Fall von "Harte Ziele" stört mich das auch nicht, da der
Workprint obgleich blutiger und länger genauso gedehnt und
selbstverliebt wie "Hard Boiled" rüberkommt. Die Unrated Version
ist John Woos bevorzugte Version, schnell, knochentrocken und auf
den Punkt gebracht - ein klarer Schnitt zu seinem früherem
teilweise recht alptraumhaften Stil.
Wer wie ich John Woos Hongkong-Meisterwerke wie "The Killer",
"Bullet In The Head" oder "Hard Boiled" auswendig kennt, der wird
die erste Hälfte von "Harte Ziele" schnell verfluchen. Die üblichen
Mechanismen der Traumfabrik absorbieren Woos poetisch-spontanen,
visuell einmaligen Stil und machen etwas Profanes, fast schon
Dummes daraus. Zum Glück retten ausführender Produzent Sam Raimi,
dessen selbstablaufender Stil wie bei "Evil Dead" oder "Darkman"
klar zu erkennen ist, Kameramann Russell Carpenter (True Lies) und
Musikguru Graeme Revell (Strange Days, The Crow) die ersten 45
Minuten, die ich einfach mal als jazzigen Vorlauf zu der grössten,
jemals inszenierten Actionoper ansehe, nämlich dem nicht endend
wollenden Showdown im Freien.
Kaum lässt Emil Fouchon seine gnadenlosen Häscher im Wald die Jagd
antreten, zündet Woo ein kompromissloses State of The
Art-Actionfeuerwerk, das einen einfach nur jubilieren lässt, weil
es so unglaublich "larger than life" ist. Wer wie ich Woos fast zu
detailverliebte Hongkongopern rauf und runter gesehen hat, landet
plötzlich unversehens im letzten Akt, der Konfrontation mit dem
Unbekannten.
Und das versteckt in einem Jean-Claude Van Damme Film, mit
strunzdummen C-Drehbuch, eindimensionalen Charakteren und der
üblichen Hollywood-Schablone, die jegliche Individualität eines
Filmzuschauers ignoriert, fast schon negiert. Macht nichts, denn
Woo stellt sich über das Gesetz und das ist der Schlüssel zu der
Magie hinter den Shootouts, Zeitlupen, fliegenden Tauben,
Explosionen und Martial Arts-Einlagen: er streicht die Handlung
einfach und ersetzt sie durch eine
Einer-gegen-alle-Nonstop-Killcountrakete, ästhetische Todesballette
und mythische Zauberei mit eingeschlossen.
Paul Verhoeven hat über "Robocop" gesagt, dass er Christus mit
einer Pistole inszeniert hat, Woo hat ihm zwei gegeben. Überall
sind religiöse Referenzen zu finden, selbst in so simplen Szenen,
in denen Van Damme auf einem Fabeltier sitzend sich selbst in die
Hölle hinablässt, einem abstrakten Schlüssel gleich kopfüber in der
Luft schwebt oder die Schrotflinte auffangend in Zeitlupe die
Sphäre des Jetzt verlässt.
Woo spielt ein letztes Mal Gott und interpretiert alles, so wie
jemand, der in den Slums aufgewachsen, mit asiatischer Kampfkunst
grossgeworden und Tanz studiert hat, aber nicht mehr wie in
Hongkong ohne irgendeinen Plan ans Set kommen, alles spontan
inszenieren und die Produzenten damit in den Wahnsinn treiben darf.
Die sich herauskristallisierende Quintessenz: es bleibt keine Zeit
mehr. Weder für Woo am Set, noch für seinen Protagonisten im Kampf
auf Leben und Tod. Die zweite Hälfte ist wie eine einzige
Abrechnung, die Rechnung wird zum Schluss präsentiert.
Das überragende Sound tut sein übriges. Wer wie ich ein ein
Heimkino hat, weiss bestimmt was gemeint ist: jede Waffe und jede
Explosion klingt unverwechselbar, manche Schüsse werden mit Bass
unterlegt, andere sphärisch dreidimensional projiziert, so dass sie
zu einem zusätzlichen, unsichtbaren Darsteller hochstilisiert
werden. Man merkt der Filmcrew die bedingungslose Verehrung von
Woos früheren Filmen jederzeit an, der am Set vieles nonverbal
lösen musste, da er der englischen Sprache noch nicht mächtig
war.
Nonverbalität ist im übrigen der Schlüssel zu der zweiten Hälfte
des Films; oft fallen kaum bis gar keine Worte. Manch einer wie das
Lexikon des internationalen Films, hat dies verteufelt - ich
zitiere: „Ein lediglich an der Vorführung ausgeklügelter
Tötungsarten und neuester Handfeuerwaffen interessierter
Actionfilm[...]". Da ist das katholische Filminstitut, das dieses
Lexikon vertreibt, mit der radikalen Neuinterpretation geistlicher
Inhalte wohl nicht zurechtgekommen, denn hier wird das Zepter
selbst in die Hand genommen, spielerisch zu ungeahnter Grösse
gefunden.
Ich muss an dieser Stelle einen kleinen Exkurs machen. In Filmen
wie in der bildenden Kunst steht etwas stellvertretend für etwas,
es ist niemals das Ding selbst. Eine Pistole im echten Leben ist
schwer, hart und fürchterlich laut, wenn sie in einem Film
auftaucht, ist sie meist entweder etwas Bedrohliches oder
kathartisch Erlösendes. Glänzend wie ein Schwert im Mittelalter,
richtungsweisend wie die Verlängerung eines Armes, sexy wie das,
was Männer zwischen den Beinen haben. Woo geht noch einen Schritt
weiter und macht daraus sogar so etwas wie Liebesobjekte. Und genau
das ist der schmale Grat zwischen Genie und Wahnsinn, der mich an
ihm schon immer fasziniert hat. Zu fröhlicher Sixties-Musik
schlachten sich in "Bullet In The Head" Jugendbanden mit
Schlagringen und Holzbrettern ab, buddhagleich rafft Chow Yun Fat
in "Hard Boiled" unzählige Gangster dahin.
Jeder, der schon einmal eine obsessive Beziehung geführt hat, die
sich zum Schluss als Irrtum herausgestellt hat, weiss, dass die
Grenzen zwischen Liebe und Hass fliessend sind, dass das, was man
für Liebe gehalten hat, sich oft als das genaue Gegenteil
herausgestellt hat. Und genau von diesem Irrtum geht Woo aus. Voll
inbrünstiger Liebe wird geschlagen, geschossen und gestorben, kein
Bösewicht ist vor den tiefenentspannten, ikonenhaften Antihelden
sicher.
Ein Fest für jede Zensur, denn Gut und Böse ist nun mal festgelegt
und sollte strikt eingehalten werden. Dualität der Seele, Kunst,
die der Bewusstwerdung dient? Nein, natürlich nicht. "Harte Ziele"
ist von der FSK als "strafrechtlich unbedenklich" freigegeben
worden. Der Staat hält einen Grossteil des Volkes immer noch für
wilde Tiere. Das fing bei Goyas Gemälden an, bei denen die nackten
Brüste verdeckt wurden, da Männer ansonsten hemmmungslos über
Frauen hergefallen wären und hört bei Meisterwerken wie "Braindead"
und "Story of Ricky" auf, die verboten und dessen Verkauf strafbar
ist. Dass wir im 21. Jahrhundert leben, und ein Grossteil unserer
Handlungen nur noch virtuell sind, fällt dem Gesetzgeber ebenso
wenig auf, wie die psychologisch wertvolle Katharsis. Der
wichtigste Aspekt wird übergangen, nämlich Bewusstwerdung.
Filme sind wie Träume, haben keine wirkliche Logik. Mal fliegt man
durch die Lüfte, dann ist man plötzlich völlig woanders und in der
Ferne schreit ein Kind. Nach so einem Traum hat sich etwas in einem
geändert, man "weiss" etwas. Filme sind Träumen verwandt, wenn man
sie auch im Laden kaufen, vor- und zurückspulen oder immer wieder
sehen kann. Auch nach dem Sehen eines Films "weiss" man etwas, auch
wenn man manchmal in hundert Jahren sich nicht sicher ist, worum es
sich handelt. Künstler wie Woo handeln dabei manchmal so
unverantwortlich wie ein kleines Kind, das ein Bild malt, müssen
dies sogar tun, wenn sie dem unbestimmten Etwas, dass sie den Film
drehen liess, wirklich nachgehen wollen.
An dieser Stelle muss ich mit meinem Review von "Hard Target", wie
er im Original heisst, abrupt zum Schluss kommen. "Ich könnte dir
alles erklären. Aber würdest du es auch verstehen?", heisst es in
Castanedas "Die Lehren des Don Juan". Ähnlich ironisch sind die
mythisch überhöhten Jahrhundertszenen in der Karnevalsfabrik am
Ende von "Harte Ziele" angelegt. Jeder der Woo kennt, weiss, dass
sein Stil kompromisslos und ultrabrutal ist, trotzdem kann man
nicht anders, als seine Filme zu lieben. Und sowas ist meiner
Meinung echte, aufrichtige, wenn auch meist dem männlichen
Geschlecht vorbehaltene Liebe. Irgendein Ami hat mal gesagt: "John
Woo's movies are overdone", womit er auf das wiederholte Ansehen
von Woos Filmen anspielt. Auch das stimmt, ist eine Ansicht, der
ich mittlerweile voll und ganz zustimme. Was tut sich also neues am
Shootout-Horizont? Mir fällt dazu nur die Szene aus "Die Bourne
Verschwörung" ein, in der Bourne seinen Gegner entwaffnet und die
Pistole im Bruchteil einer Sekunde zerlegt und wegwirft. Die
einfachen Dinge im Leben...