Hab's dann auch endlich geschafft. Richtig starkes Teil, hat mich
in seiner Machart öfters an
The Wire erinnert, was ja so
ziemlich das höchste Lob ist, was man Serien attestieren kann. Die
ersten Folgen waren besonders durch Authentizität & Realismus
gezeichnet. Sie schafften es aus bekannten Szenen spannende Momente
zu kreieren, wie z.B. die Befragung von Naz bei der
Zelleneinweisung (sinngemäß: "Are you afraid that your life could
be in danger in here?" "Should I?") oder wenn bei Gericht
zwischendurch mal Smalltalk geredet wird ("Stone, how did you get
this case, recommendation or right time right place?") was die
Figuren und ihr Verhalten deutlich glaubwürdiger macht. Man will
wirklich nicht mit Naz tauschen und gerade durch die Schilderung
vom typischen Polizeiprozedere wirkt die Gefahr umso authentischer
und greifbarer.
Im weiteren Verlauf bekommt dann das Justizsystem ordentlich einen
ab: Vorurteile, unzureichende Ermittlungsarbeit und finanzielle
Faktoren werfen kein gutes Licht auf Strafverfolgung. Wie Stone
bereits zu Beginn sagte ist es nicht entscheidend ob er schuldig
oder unschuldig ist, sondern nur was die Jury glaubt. Dieses
Ohnmachtgefühl der Jury ausgeliefert zu sein, wird gut
rübergebracht. Das wird auch mit wahren Kriminalfällen verknüpft,
wie z.B. dem Fall von O.J. Simpson ("If a glove doesn't fit, you
have to acquit").
Mir gefiel auch der trockene Humor, welcher aber nie den ernsten
Ton verwässert: Wenn Chandra ein Drink nach dem anderen in einer
Bar ordert und das mit der Trennung von ihrem Freund rechtfertigt,
dann rechnet man als Zuschauer bereits mit einer langweiligen
Backstory aus ihrem Privatleben. Stone unterbindet das Thema aber
sofort mit einem "Who cares? This is important" und lenkt das
Augenmerk sofort wieder auf den Fall.
Dialoge, Darsteller und Inszenierung bewegen sind HBO-typisch
wieder auf dem Toplevel. Die Serie sieht absolut wertig aus, wirkt
aber nie gekünstelt oder unnatürlich. Ein leiser Soundtrack
verstärkt die Situationen ohne sich in den Vordergrund zu spielen,
atmet an den richtigen Stellen Bedrohung und Furcht aus. Vieles
wird nur im Kopf des Zuschauers getriggert, ohne das es auf dem
Screen tatsächlich sich abspielt ("What are these for?"
"Traction!").
Was mir nicht gefiel war die Charakterentwicklung von Naz. Ich
konnte zwar nachvollziehen, dass sie unbedingt noch diesen
soziologischen-Einschlag mit einbringen wollten (man selber ist oft
nur das Produkt seiner Umwelt, wer sich nicht anpasst bleibt auf
der Strecke), aber trotzdem ist seine Entwicklung ein wenig
überhastet. Sicherlich handelt es sich hier um eine Mini-Serie und
die Zeit vergeht dann natürlich schneller, aber das Thema wurde mir
zu plakativ und forciert rübergebracht.
Was die Serie aber richtig gut hinbekam ist,
SPOILER! Inhalt
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dass wir als Zuschauer von Beginn an denken,
dass Naz unschuldig ist, bis wir mehr Hintergründe über ihn
erfahren und langsam unsere Meinung anzweifeln. Ich zumindest habe
irgendwann gedacht, dass er es vielleicht doch war, vielleicht
sogar unbewusst und unter Drogeneinfluss. Die Tatsache dass er doch
kein Chorknabe ist lies mich zumindest an seiner Unschuld zweifeln
und genau das ist der Punkt der Serie: Die 12 Geschworenen müssen
halt ein Urteil nur auf Grundlage von dem fällen, was sie im
Gerichtssaal sehen und hören. Nur wir Zuschauer kennen (oder
glauben zu kennen) das ganze Bild, aber sobald ein neuer
Hintergrund ans Tageslicht kommt, ertappen wir uns dabei wie wir
unsere ursprüngliche Wahrnehmung wieder in Frage stellen. Das
Interessante am Ende ist nämlich, dass Naz nicht aufgrund von
Beweisen freigesprochen wird, sondern weil es nachvollziehbar und
glaubwürdig ist, dass es jemand anders war. Ob es dieser
Verdächtige tatsächlich war wissen wir nicht und werden wir nicht
erfahren. Genauso wie im echten Leben ist die Schuld nicht immer
mit absoluter Sicherheit feststellbar. Deshalb lässt die
Staatsanwältin auch die Anklage gegen ihn fallen, weil sie sich
nicht mehr sicher ist.
Unterm Strich eine wirklich unterhaltsame Serien. Die interessanten
Figuren, die smarten Dialoge und die Vielzahl an moralischen Themen
lassen zur keiner Zeit Langeweile aufkommen. Hoffentlich belassen
sie es bei einer Staffel und versuchen da keine Anthology-Serie
draus zu machen, das hat schon bei
True Detective nicht
geklappt.