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Inherent Vice - Natürliche Mängel

Gestartet: 26 Juni 2015 19:32 - 0 Antworten

#1
Geschrieben: 26 Juni 2015 19:32

VincentVinyl

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Inherent Vice - Natürliche Mängel

Story 8
Bild 9
Ton 8
Boni 3
Gesamt 7


Wenn der Vertrieb auf dem Backcover eines Films bereits selbst schreibt, man solle sich am besten den Film selbst ansehen, da er im Grunde nicht beschrieben werden könne, ist dies entweder ein Alarmsignal oder macht Hoffnungen auf eine ganz individuelle Perle. So jedenfalls ist es bei Inherent Vice, der Verfilmung des gleichnamigen Romans von Thomas Pynchon (Vineland) geschehen. Regisseur Paul Thomas Anderson (Magnolia) nimmt sich des schwer zugänglichen Stoffes an, der nun in Deutschland in HD die Heimkinos beehrt.

Story
Privatschnüffler Larry „Doc“ Sportello (J. Phoenix) ist in der US-Stadt Gordita Beach am Anfang der 1970er-Jahre psychedlischen Substanzen alles andere als abgeneigt. Vielleicht sind die Joints der Grund, dass er keinen klaren Kopf bewahren kann, als seine Exfreundin Shasta (K. Waterston) ihm von einem dramatischen Komplott berichtet: Milliardär Mickey Wolfmann (E. Roberts) soll entführt und anschließend in eine psychiatrische Klinik eingewiesen werden. Doc weiß nicht recht, was er von den Verschwörungstheorien seiner Ex halten soll. Doch als Wolfmann und Shasta beide spurlos verschwinden, muss der Detektiv seine Nase tatsächlich zum Schnüffeln einsetzen, statt mit ihr zu paffen.

Wer sich durch den hochkarätigen Cast zu Inherent Vice hingezogen fühlt, sollte gleich mit einem Dämpfer leben: Viele in den Trailern präsente Darsteller wie Martin Short erhalten im Film eher ausgedehnte Cameo-Auftritte. Das Gros der Spielzeit konzentriert sich auf die Ermittlungen des Hippie-Detektivs Doc, der von Joaquin Phoenix gewohnt engagiert verkörpert wird. Hier drängen sich, speziell durch die Vermischung von Krimi-Elementen mit viel eigenwilligem Humor, durchaus Parallelen zu Big Lebowski auf. Zumal auch Inherent Vice es dem Zuschauer in seinen ausgedehnten 149 Minuten ein ums andere Mal nicht unbedingt leicht macht, bei der Stange zu bleiben. Viele Szenen scheinen sich nur um die Marotten der Charaktere zu drehen, ohne die Handlung erkennbar voranzutreiben. Fragezeichen in den Gesichtern des Publikums sind also vorprogrammiert und gewollt. Kein Wunder also, dass der Vertrieb Warner Bros. wie eingangs erwähnt offenbar selbst Probleme hatte, den Film auf der Cover-Rückseite adäquat zu beschreiben. Viele Ereignisse im Film wirken surreal, die Charaktere überzeichnet und die Handlung phasenweise ziellos. Was zu Ärger beim Zuschauer führen könnte, unterhält in diesem Fall aber trotzdem, da alles bewusste Aspekte der Gesamtinszenierung sind. Man sieht die Welt quasi genauso konfus wie der Protagonist Doc, mit dem man gemeinsam an der sich abspielenden Geschichte verzweifelt. Dadurch ist Inherent Vice auch nur an der Oberfläche ein Krimi bzw. eine Komödie. Eigentlich entzieht sich der Film der eindeutigen Zuordnung zu einem Genre.

Man sollte viel Offenheit mitbringen, um an Paul Thomas Andersons neuestem Film Spaß zu haben – wer hier eine lineare Handlung, geerdet in der Realität erwartet, wird sein blaues Wunder erleben. Fans von Streifen wie The Big Lebowski, Fear and Loathing in Las Vegas oder auch den Werken der Coen-Brüder sollten aber unbedingt reinschauen.

Bildqualität
Regisseur Paul Thomas Anderson hat Inherent Vice passend zum 1970er-Szenario auf Film gedreht, so dass eine dünne Schicht Korn das Bild überzieht. Dabei gelingt es Anderson und seinem Kameramann Robert Elswit die visuelle Stimmung der Zeit einzufangen, indem man auf eine eher erdige Farbgebung mit leichtem Rotstich setzt. Schärfe und Detailgrad sind zwar hoch, spielen aber nicht auf dem Referenzlevel, was ebenfalls an Filme aus den 1970er-Jahren erinnert. Über das Gros der Spielzeit stimmen auch Kontrast- und Schwarzwerte. Einige Nachtaufnahmen lassen die Schatten jedoch etwas zu sehr hervortreten, so dass im feinen Bereich minimal Details verloren gehen. Bei gut ausgeleuchteten Aufnahmen, man setzt dabei viel auf natürliches Licht, erkennt man aber die kleinsten Bartstoppeln in Joaquin Phoenix Gesicht oder feinste Körner im Aschenbecher. Da auch Warners Kompression einwandfrei arbeitet, dürften alle Fans des Films hier somit visuell voll auf ihre Kosten kommen.

Tonqualität
Für Warner scheint Inherent Vice nicht so sehr zu den verkaufsträchtigen Blockbustern zu zählen, denn hier beschränkt man sich auf eine deutsche Tonspur in Dolby Digital 5.1, statt wie zum Beispiel bei dem zeitgleich erscheinenden Jupiter Ascending eine verlustfreie Abmischung anzubieten. Sei es drum, denn die Romanverfilmung setzt ohnehin nicht auf akustischen Bombast. Stattdessen stehen die Dialoge bzw. teils wirren Monologe von Hauptcharakter Doc im Zentrum. Dass man dabei teilweise das Gebrabbel nicht komplett versteht, ist Absicht und verhält sich im Originalton ganz genauso. Vielmehr soll hiermit die konfuse Art der Figur unterstrichen werden. Die Umgebungsgeräusche treten dabei eher seltener in den Vordergrund, etwa während einer ausufernden Party. Dann darf auch der Subwoofer stärker ran, der sich sonst vor allem darauf konzentriert den passenden Soundtrack mit Bands wie Can, Neil Young und Chuck Jackson nach vorne zu treiben. Die Original-Stücke aus der Zeit ergänzt orchestrale Musik des renommierten Gitarristen Jonny Greenwood (Radiohead). Wer von der deutschen Spur zum Originalton wechselt, bekommt insgesamt eine differenziertere Abmischung geboten, welche die Musik zudem noch eine Nuance spritziger präsentiert.

Ausstattung
Auch wenn die Extras immerhin vier unterschiedliche und reichlich kryptisch betitelte Beiträge umfassen, handelt es sich bei dreien lediglich um kurze Promos für den Film - „Los Paranoias“, „Shasta Fay“ und „The Golden Fang“ begnügen sich daher mit jeweils ein bis zwei Minuten Spielzeit. Bleibt nur noch „Everything is a Dream. Hier handelt es sich um eine erweiterte bzw. geschnittene Szene mit sechs Minuten Spielzeit. Immerhin liegen die kurzen Clips allesamt in HD vor. Schade, dass es aber keinerlei echtes Hintergrundmaterial zu Inherent Vice zu sehen gibt. Gerade zu der Verfilmung eines so schwierigen Romans wäre Material zur Herangehensweise von Cast und Crew doch sehr willkommen gewesen.

Fazit
Regisseur Paul Thomas Anderson und Kameramann Robert Elswit setzen auf analoges Filmmaterial und einen erdigen Look, um die Atmosphäre der 1970er-Jahre in HD einzufangen. Ein gelungenes Experiment, das auf der Blu-ray mit allen stilistischen Entscheidungen einen exzellenten Eindruck macht. Trotz verlustbehafteter Codierung ist auch die deutsche Tonspur klasse, obgleich der englischsprachige Original-Mix schon aufgrund der besseren Musikwiedergabe, welche für den Film in vielen Szenen eine große Rolle spielt, vorzuziehen ist. Beim Bonusmaterial beschränkt man sich leider auf das Nötigste und bietet dem geneigten Zuschauer lediglich einige, kurze Promos sowie eine längere, geschnittene Sequenz an. Vermutlich heißt es für fleißige Importeure hier auf eine Criterion Edition aus den USA warten.

Inherent Vice ist als Film, genau wie Pynchons Buchvorlage, nicht gerade das, was man massenkompatibel nennt. Wer also nur von den Darstellern wie Joaquin Phoenix, Reese Witherspoon oder Josh Brolin gelockt wurde, könnte angesichts des eigenwilligen Ergebnisses überrascht sein. Zumal der Film mit 149 Minuten auch in der Spielzeit kein Leichtgewicht ist. Nach dem Ende sitzt man vor dem Abspann und ist im Grunde genauso ratlos wie bei den ersten Szenen. Diese Orientierungslosigkeit ist gewollt und hebt Inherent Vice von linearen Hollywood-Filmen für die Masse ab. Wer sich darauf einlassen kann, findet hier eine gelungene Buchverfilmung, die vielleicht am besten nach dem Konsum gewisser Substanzen funktionieren mag. (anw)


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