Wenn Regisseur Alexander Payne („About Schmidt“) zusammen mit dem Schauspieler Paul Giamatti („Private Life“) nach der herrlichen Komödie „Sideways“ (2004) wieder einen Film dreht – und ihm die Rolle des ungeliebten Lehrers quasi auf den Leib schreiben ließ, steigen die Erwartungen. Und nachdem „The Holdovers“ 2023 und 2024 auf mehreren Festivals diverse Preise gewann, allen voran fünffache Oscar-Nominierungen erhielt und letztlich die goldene Statue für die beste Nebendarstellerin vergeben wurde, gibt es auch Erwartungen an die vorliegende Blu-ray-Auswertung.
Story
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Es ist Winter im Jahre 1970. An der privaten High School, der Barton Academy in Neuengland bereiten sich die Schülerinnen und Schüler auf ihre Fahrt nach Hause vor, um mit ihren Eltern die Weihnachtstage zu verbringen. Besonders froh sind diejenigen unter ihnen, die von dem Geschichtslehrer Paul Hunham (Paul Giamatti) unterrichtet werden. Bis zum letzten Tag noch verteilt „Glubschauge“, wie er aufgrund eines seiner nicht fokussierten Augen gerne genannt wird, sowohl schlechte Noten, als auch schlechte Stimmung. Nachdem die letzte Arbeit besonders schlecht ausfiel, lässt er sich zwar zu einer Wiederholung der Arbeit hinreißen, dann aber nur mittels neuem über die Feiertage zu erlernendem Material.
Wie so oft, verbleiben auch in diesem Jahr wenige Schüler an der Academy und benötigen eine Aufsicht. Unter anderem ist diesmal der durchaus intelligente, aber auch aufsässige Angus Tully (Dominic Sessa) dabei, dessen Mutter lieber mit ihrem neuen Ehemann die Flitterwochen nachholt und keine Zeit für ihren Sohn findet. Angus‘ Schicksal wird doppelt getroffen, nachdem klar wird, dass genau dieser ungeliebte Paul Hunham die diesjährige Aufsichtsperson sein wird. Und auch Hunham selbst ist nicht sonderlich angetan vom Aufsichtsdienst, hätte aber vermutlich stattdessen aber auch keine wirklichen Pläne über Weihnachten gehabt.
Und so beginnen nüchterne und kalte Tage mit einer Handvoll Schüler, Paul Hunham und der weiter für das Essen angestellten Köchin Mary Lamb (Da’Vine Joy Randolph).
Während es anfangs zwischen den Übriggebliebenen jede Menge Rangeleien, Missgunst und Ärger gibt, spitzt sich die Situation zu, als durch das spätere Angebot eines Vaters, die Schüler allesamt zum Skifahren mitzunehmen, alle bis auf Angus verschwinden, da seine Eltern für eine Genehmigung nicht erreichbar sind. So müssen er, Paul Hunham und Mary alleine zurückbleiben und das Beste aus den einsamen Weihnachtstagen machen.
So langsam erfahren die drei voneinander, welche schicksalhafte Vergangenheit auf ihnen lastet und sie bis zum aktuellen Tag verfolgt…
Mit „The Holdovers“ hat Alexander Payne keine klassische Komödie geschaffen, sondern eher eine ruhig erzählte und nachdenkliche Tragikomödie, die sich für den Aufbau ihrer drei Hauptcharaktere viel Zeit nimmt. Selbst nach einer Stunde hat der Zuschauer noch keine endgültige Sicht darauf, was Paul Hunham zu dem strengen und zynischen Ekel hat werden lassen. Auch das Schicksal von Angus Tully öffnet sich nur langsam - und über beiden wacht schon fast die Köchin Mary Lamb, von der schon sehr früh der Tod ihres Sohnes offenbart wird. Aber der Film will gar nicht zwingend aus den Verbliebenen in der Barton Academy eine echte Handlung erzählen, sondern ihre einzelnen Geschichten aufzeigen, miteinander verbinden und den sie allen einenden Schmerz letztlich etwas reduzieren.
Und so blickt der Zuschauer hinter deren Fassade, kann sich sowohl mit dem Schüler identifizieren, der von seinen Eltern zurückgelassen wird, einer Mutter und deren Umgang mit dem Verlust des eigenen Kinds, sowie eines Lehrers, der in seinem ganzen Leben nicht wirklich ausbrechen konnte, man möchte sagen: aus seinem ganzen Leben nie ausbrach. Das alles wird wunderschön mit lustigen, traurigen, melancholischen, aufwühlenden und bedrückenden Momenten dargestellt – und wenn Mary von ihrer Schwester zu einem bestimmten Zeitpunkt einfach nur lange umarmt wird, braucht es keine Dialoge mehr. Die Szene steht für sich – und schnürt dem Zuschauer die Kehle zu. So manchmal in den Szenen am Esstisch möchte man von jedem einzelnen die Worte ablesen: „wenn du wüsstest, wie es mir ergeht“.
Aber auch die Ausflüge von Angus und Paul sind gespickt von verstörenden Augenblicken, die – sobald auch nur im Ansatz so etwas wie Hoffnung auf eine positivere Wendung aufkeimen lassen, diese in einer folgenden Sequenz schon wieder endgültig vernichtet werden. Und dann entsteht und bleibt letztlich der Halt von gerade denjenigen, von denen man es am wenigsten erwartet hätte.
„The Holdovers“ ist ein großartiger kleiner Film, der letztlich den Halt und die Kraft vermittelt, die Verlorene in schwierigen einsamen Momenten so dringend benötigen.
Bildqualität
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The Holdovers macht eine Bildbewertung teilweise schwierig, denn: passend zu dem im Jahr 1970 angesiedelten Film wurden als Stilmittel insbesondere Intro und Outro absichtlich mit Schmutzflecken versehen. Während des Hauptfilms allerdings wird dies deutlich zurückgenommen und die Qualitäten einer aktuellen Produktion treten zum Vorschein. Eine hohe Schärfe stellt die zahlreichen Muster und Streifen der Sakkos und weiteren Kostüme detailliert dar, Nahaufnahmen – zum Beispiel Paul Hunhams gräuliche Haarpracht oder hervorstechendes Augenmerkmal – wirken teilweise plastisch, der gute Kontrast zeigt auch in dunklen Bereichen noch feinere Details; beim Durchforsten eines Buchflohmarkts von Paul Hunham und Angus wird jedes einzelne Buch auch aus der Ferne noch klar voneinander trennbar dargestellt.
Wie auch in den wenigen Extras kurz angerissen, bleibt bei alldem die Farbgebung natürlich, aber absichtlich zurückhaltend. Dennoch leidet der Zuschauer mit beim deutlich herausragenden Sonnenbrand eines Schülers nach dessen Rückkehr vom Skifahren.
Die gewählten Verfremdungen berücksichtigt, bleibt ein sauberer, authentischer Transfer.
Tonqualität
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Das ungewöhnliche verwendete Tonformat DTS 3.0 (im Englischen DTS-HD Master Audio) überrascht damit, dass sich das Geschehen akustisch auf die vorderen Hauptlautsprecher und den Centerbereich legt – Surroundkanäle werden nicht genutzt. Das enttäuscht insbesondere bei Szenen in Hallen wie beispielsweise dem Gottesdienst in der Kirche oder dem gemeinschaftlichen Essen im Saal der Academy.
Die vorderen Kanäle wiederum überzeugen aber in allen Sprachfassungen mit klaren und verständlichen Dialogen, die bis in den Hochtonbereich funktionieren – keinerlei Zischlaute oder dergleichen auszumachen. Der Score gefällt mit seinem Volumen, als auch Wärme mit Bassunterstützung. Die für die Winterzeit, aber auch 70er Jahre ausgewählten Musikstücke wirken wunderbar warm und druckvoll, allen voran „The Wind“ von Cat Stevens. Ähnlich wie beim Bild sind eingestreute Kratz- und Störgeräusche zu Beginn und Ende des Films beabsichtigt und kein Mangel des Blu-ray-Transfers.
Ausstattung
- Unveröffentlichte Szenen (05:58 Min.)
- Alternatives Ende „Mary macht weiter“ (02:25 Min.)
- Der Cast von The Holdovers (10:41 Min.)
- Die Arbeit mit Alexander (08:36 Min.)
Fazit
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Regisseur Alexander Payne erzählt mit The Holdovers eine Tragikomödie im Stil der 70er Jahre mit feiner Darstellung dreier ungleicher Charaktere, die im weiteren Verlauf zueinanderfinden und gesetzte Vorurteile abbauen. Die Blu-ray überzeugt dabei sowohl bild- und tontechnisch – die wenigen Extras bleiben jedoch nur eine bescheidene Sättigungsbeilage zu diesem vielfach ausgezeichneten Film.
(Dominik Böhler)
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