In der heutigen Zeit ein Open-World-Spiel zu veröffentlichen ist eine Klasse für sich. Es gibt schon so viele Konzepte, Welten, Ideen und Ziele, die in verschiedener Art und Weise aufgegriffen worden sind. Gerade ein Assassin’s Creed entwickelte die Ubisoft-Formel, die seither oft genutzt und verbessert wurde. Trotzdem schmeckt ein Kuchen, wenn man ihn zu oft gegessen hat einfach nicht mehr gleich gut, wie beim ersten Mal. Auch ähnliche Kuchen wecken sofort die Erinnerung und den Gedanken: “DAS kenn ich doch!”
Ghost of Tsushima zeigt, dass es durchaus möglich ist das Rezept zu verändern und einige Zutaten sogar gänzlich wegfallen zu lassen um eine frische Brise ins Spiel zu bringen.
Story

Die Geschichte ist an die Historischen Ereignisse auf der japanischen Insel Tsushima angelehnt. Im Jahr 1274 waren die Mongolen im Begriff Japan zu überrennen. In Anzahl und Technik waren sie ihnen sogar überlegen, Schwarzpulver und Reiterfähigkeiten sei dank. Zu wenig Zeit blieb den Japanern sich vorzubereiten und somit verlief der erste Kampf am Strande von Komodo verheerend. Dieses Ereignis nimmt Entwickler Sucker Punch als Grundfeste um seinen Open-World-Ableger darauf aufzubauen. Dabei sind Namen verändert, Fakten etwas aufgeweicht und Erfindungen vorverlegt worden. Das Katana wurde erst im 15. Jahrhundert entwickelt und auch die Rüstungen waren zu dem Zeitpunkt noch nicht so weit. Aber das sei dahingestellt, immerhin weiß man WARUM Sucker Punch es so designte. Wir wollen ein geiles Samuraispiel schaffen! Fakten hin oder her! Und WIR wollen das auch!
Die Geschichte dreht sich um Jin Sakai, Anführer des Sakai-Clans, der ehrenwert in der ersten Welle antritt und ebenso schnell vom Schlachtfeld gewischt wird. Und einzig er überlebt. Sein Onkel, der mächtige und wichtige Lord Shimura wird jedoch gefangen gehalten, um mit seiner Hilfe die verbliebenen Kämpfer zur Aufgabe zu zwingen. Wer sich nicht in ihre Reihen stellt, wird von den Mongolen gnaden- und rücksichtslos getötet, gemartert und entehrt. Dieser neuartige Feind verlangt von Jin eine neue Herangehensweise. Eine leisere und in seinen Augen gänzlich zu verabscheuende Art des Meuchelns. Diesen neuen Weg, der über Dächer und unter Bodenplatten hindurch führt, gilt es nun zu beschreiten und mit dem eigenen Gewissen in Einklang zu bringen.
Die Geschichte wird sehr düster und sporadisch mit unschönen Details erzählt. Gerade die Charaktere scheinen sich alle eine Scheibe von Christopher Nolans Batman abgeschnitten zu haben. Alles wirkt bierernst und dabei nicht immer passend. Ja, die Ausgangssituation kann als unbefriedigend eingestuft werden, aber es vergehen ja doch einige Tage und dabei könnten die Gemüter zumindest zeitweise aufhellen. Dieser Punkt fällt aber nicht so schnell auf, da die Charaktere wirklich gut inszeniert und geschrieben sind. Der fiktive Kontrahent, General Khotun Khan, ist ein erfrischender Bösewicht, gut inszeniert mit Sprüchen die man nicht leicht vergisst: “Während Ihr das Schwert studiert habt, habe ich Euch studiert!”. Sowas bleibt hängen. Auch die anderen Charaktere haben einen treffenden Humor, Charisma oder eine Geschichte die einlädt zuzuhören. Nur Jin wirkt etwas eintönig. “Ich muss meine Pflicht erfüllen! Aber och nö, Ninjas sind unehrenhaft. Ich tat was ich tun musste! Aber manno!” Jin wirkt wie ein Jugendlicher in der Selbstfindungsphase, der noch nicht ganz genau weiß, was er will und von jeder Seite Druck verspürt ETWAS zu sein.
Grafik

Auf der Playstation Pro zeigt Sucker Punch die wohl beeindruckendste offene Welt dieser Generation. Das wird nicht nur durch die ständigen Luftwirbel und umher wehenden Blätter deutlich, sondern auch durch die Weite die man einsehen kann. Helligkeitsabstufungen sowie Farbtöne sind breit gefächert und laden dazu ein den Fotomodus immer parat zu haben. Die Charaktermodelle und Animationen sind zu erwartende, schöne Ware, mit etwas hölzernen Bewegungen, wenn sie einem eine Mission anzubieten haben oder mit einem reden. Dies reißt nur etwas aus dem Geschehen raus. Die Umgebung, die Insel Tsushima ist abwechslungsreich und eindrucksvoll gestaltet. Sumpfgebiete reihen sich zwischen tiefen Wäldern, Blumenwiesen und Äckern ein. Hier muss ein wichtiger Part genannt werden, auch wenn er eigentlich Teil des Gameplay is. Der Wind! Wenn man nicht unter einem Stein gelebt hat, weiß man, dass Sucker Punch keine Minikarte verwendet, sondern es der Natur überlässt die Richtung vorzugeben. Der Wind weht in Richtung des gewählten Zieles. Was das genau heißt ist folgendes: Man ist der Natur vollends ausgeliefert und kann ihre Schönheit bis zum letzten Halm auskosten. Eben dieser Halm wird sich im WInd schon in die gesuchte Richtung biegen. Und wer noch genauer hinsehen will, darf auf einem der verteilten Strohmatten, Platz nehmen und ein HAIKU im Bildnis der Natur ersinnen. Vollends meditativ und wunderschön!
Atmosphäre

Einzelne gelbblättrige Bäume weisen auf einen Fuchsbau hin, dessen Bewohner uns zu einem Geheimnis führt. Der goldene Vogel zeigt uns Verborgenes. Der Wind bringt uns mit Rückenwind voran. Diese simplen Mechaniken lassen einen frei die Welt erkunden, ohne auf eine Minikarte angewiesen zu sein. Dabei ist das Durchqueren der Welt nie zu herausfordernd. Man erkennt zum größten Teil, welchen Weg man einschlagen soll. Auf den Wegen begegnen uns patrouillierende Mongolen, die für Abwechslung sorgen. Zumal sie auch Gefangene transportieren, die weitere Nebenquests für uns haben. Sehr frisch und motivierend. Die Schwierigkeitsgrade werden ihrem Namen gerecht. Leicht, mittel und schwer ermöglichen den Einstieg nach des Spielers Wunsch. “Schwer” schlug uns zu Anfang ohne Gnade zu Boden und ließ uns für einen Erfolg schuften. Nach mehreren Missionen hat man das Kampfsystem aber verinnerlicht und feiert Erfolge. Trotzdem kommt es auch nach langem Spielen immer noch zu herausfordernden Momenten, die aber nie unfair wirken.
Hier ein Wort zum Kampfsystem. Durchdacht. Nun zur Ausführung: Jeder Button hat seine Daseinsberechtigung und lässt uns alte Spielweisen überdenken. Die Gadgets, die einem an die Hand gelegt werden sind ebenso hilfreich und für verschiedene Situationen zu gebrauchen. Der leise Spieler wird hier ebenso auf seine Kosten kommen wie der brachiale. Durchdacht eben. Es macht Spaß! Und ein weiterer Kampf, ein weiteres Lager ist sehr willkommen. Einzig zu bemängeln bleibt die Kamera, die nicht immer den besten Überblick bietet und uns zum hektischen Ausweichen zwingt, bis sie ihre perfekte Position wieder eingenommen hat.
Singleplayer

Die Hauptmissionen und die wichtigeren Nebenmissionen haben unterschiedliche Länge und unterschiedliche Ziele. Folgt man also strikt der Kampagne wird es kein Einheitsbrei. Auch außerhalb dieser abzuhakenden Liste ist für Abwechslung gesorgt. So schnell lassen uns Nebenmissionen den Weg zum nächsten Gebiet vergessen: “Es dauert ja nicht lang!” Hier ein Fuchsbau, der uns ein bisschen die Landschaft durchstreifen lässt, hier eine Bambus-Trainingsstelle, da ein Vogel, der uns zu einer heißen Quelle führen mag, und und und. Hat man die Tracht des Reisenden an, lässt sich jede noch so kleine Aufgabe anpeilen und erfüllen. Hilfreich dabei: Die Schnellreise. Und hier heißt es “Nomen est Omen”. Schnell ist hier, gerade mit der Playstation 4 Pro, gar nicht genug zu unterstreichen. Man kann kaum den Controller zur Seite legen, sein Handy schnappen und ein paar Tweets lesen, da steht Jin Sakai schon bewegungslos im Fön. Es ist aber auch lästig, dass man keine Zeit für sein Handy hat neben der Ladezeit…
Der Einzelspieler fesselt uns stundenlang vor den Bildschirm, lässt uns in den Fähigkeitenbaum investieren, die Waffen und Werkzeuge verbessern und unsere Rüstung aufhübschen.
Multiplayer

Seit Ende Oktober können sich die Geister Tsushimas zusammen gegen die Dämonen erheben. Hierbei ist nicht Jin oder gar die Insel Tsushima im Fokus, sondern erinnert eher an ein kooperatives Bestreiten von Gegnerwellen. Uns stehen dafür einer von vier Typen zur Verfügung. Über den späteren Verlauf können wir die anderen drei freischalten. Alle sind in der Lage sich zu verstecken, zu klettern, Kunai und Rauchbombe zu werfen und die Bogensehne zu spannen. Jedoch verfügt jeder über einen Spezialangriff und eine unterstützende Kraft. Der Samurai ist der Kämpfer mit mehr Möglichkeiten Hiebe auszuteilen. Die Jägerin ist im Fernkampf tätig, der Assassine kann schnell und agil Feinde ausschalten und der Ronin ist der Heiler, der seine Mannschaft unterstützt. In einem Vierergespann bekämpft man Wellen von Gegnern, sichert Stellen und hilft sich gegenseitig auf die Beine. Die Charaktere sind anpassbar. Während die Masken aus der Einzelspielerkampagne übernommen werden, muss man sich die anderen Accessoires, im Multiplayer verdienen, die Ausnahme ist hier die Mongolenrüstung. Etwas mehr kreativer Freiraum wäre zu wünschen gewesen. Doch das Spielprinzip funktioniert und hält bei Laune.