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Avatar - Aufbruch nach
Pandora
So, da habe ich wohl das erste Mal seit ewigen Zeiten wieder einen
groß angekündigten Blockbuster im Kino gesehen. Was wurde in den
letzten Tagen, Wochen und Monaten nicht alles über diesen Film von
James Cameron geschrieben? Er werde "die Quadratur des
Kreises" vollziehen und "das Medium Kino
revolutionieren".
Wenn ein Film bereits vor dem Kinostart - und sogar vor den ersten
Previews für Presse etc. - bereits so extrem hochgejubelt wird,
dann floppt er bei den Kritiken letztlich meistens gnadenlos; an
der Kinokasse macht jedoch seit jeher nur massentaugliches
Geplänkel auch wirklich prall gefüllte Geldbeutel. Daher musste
sich dieser Film, der Camerons erster Film seit seinem 1997er
Welterfolg Titanic ist (welchen ich für optisch
überragend, aber inhaltlich unglaublich miserabel hielt), natürlich
besonders argwöhnischer Begutachtung unterziehen. Die alles
überragende Frage war dabei:
Kann Cameron der unglaublich hohen Erwartungshaltung an seinen Film
gerecht werden?
Die kurze Antwort lautet: Ja.
Die lange Antwort lautet: Ja, aber...
Beginnen wir zuerst einmal mit der Darstellung des Films als
Solchen. Ich habe den Film gestern in 3D im Kino gesehen und musste
dafür das erste Mal in meinem Leben im Kino eine Brille anziehen.
Nach den ersten ein, zwei Minuten der Werbung in 3D (da sehe ich
bereits eine große neue Werbebranche aufstreben) habe ich mich an
das Gewicht der Brille gewöhnt und konnte die Effekte vernünftig
einordnen.
Bereits in den Auftaktszenen von Avatar - Aufbruch nach
Pandora konnte man sich wirklich fühlen, als sei man selbst an
Bord des Raumschiffes anwesend, welches gerade den Planeten Pandora
ansteuert. Schnell wird klar: dieser Titel ist speziell auf die
mittlerweile wirklich ausgereifte Technik des 3D ausgelegt. Wenn
der Hauptdarsteller Jake Sully (Sam Wellington in einer
wirklich überzeugenden Darstellung eines eigentlich schon fast
gebrochenen Ex-Marines) aus dem Cryogen-Schlaf erwacht - die
Handlung spielt schließlich immerhin in 2154 - wirkt man selbst
etwas verschlafen und orientierungslos. Dazu geben geschickt
eingesetzte Hintergrundgeräusche und sanfte Verwischungen am Rande
des Sehfelds ihr Übriges.
Im Verlaufe der ersten 10, 20 Minuten erfährt der Zuschauer dabei
die Hintergrundgeschichte des Hauptdarstellers, der während eines
Einsatzes querschnittsgelähmt wurde und die fällige Operation zur
Wiederherstellung seines Gefühls in den Beinen nicht bezahlen kann.
Da Sullys Zwillingsbruder, der für das Avatar-Programm auf Pandora
ausgewählt wurde, jedoch kurz vor seiner Ankunft auf Pandora
verstorben ist und Jake nun einmal die identische DNS besitzt, wird
er schließlich vorgeschlagen, den Platz seines Zwillingsbruders zu
übernehmen.
Kaum auf Pandora angekommen, muss Jake feststellen, dass die Welt
unglaublich faszinierend ist - und ihn die wenigsten Kameraden
Ernst nehmen, da er im Rollstuhl sitzt. Sein oberster Vorgesetzter
jedoch, Colonel Miles Quaritch (verstörend düster: Stephen
Lang), stellt Jake Sully ein unwiderstehliches Angebot in Aussicht:
Sollte Jake es schaffen nützliche Informationen über die Na'vi
herauszufinden, welche für einen Krieg nützlich sind, bekommt Jake
die Operation bezahlt, welche ihm die Funktionsfähigkeit seiner
Beine zurückbringen würde. Diese Informationen soll Jake innerhalb
des Avatar-Programms, bei dem er einen Körper eines Na'vi (der
Ureinwohner von Pandora) steuert, erbringen.
Warum die Menschheit überhaupt auf dem fernen Planeten Pandora
einen Krieg anzetteln will, zeigt sich schon kurz darauf: auf
Pandora findet man einen äußerst seltenen Rohstoff, der die
Energieprobleme der Menschheit im Nu beheben könnte - und Pro kg
bis zu 50 Millionen US-Dollar wert ist. Die weiteren 20 Minuten
sind nahezu ausschließlich darauf verwandt worden, die "Reise" des
Protagonisten in seinen "neuen" Körper zu zeigen: seinem Avatar.
Denn nicht nur, dass Jake Sully im Körper eines Na'vi wieder laufen
kann: die Na'vi sind gut und gerne drei Meter groß, haben eine
blaue Haut, Schwänze und sind extrem gelenkig und filigran. In
diesen Szenen zeigt sich bereits die schiere Visualisierungswut von
James Cameron, der die ersten Schritte im neuen Körper visuell
opulent ausschlachtet - und in 3D absolut genial darstellt.
Nachdem sich Jake in den folgenden Tagen an seinen neuen Körper
anpassen konnte, schickt man einen kleinen Stoßtrupp von
Wissenschaftlern aus dem Avatar-Projekt in den Dschungel von
Pandora - inklusive Jake, der natürlich sofort nach seiner Rückkehr
Colonel Quaritch Bericht erstatten will. Doch der Ausflug
in die Urwälder von Pandora verläuft anders als geplant, und Jake
ist nach kurzer Zeit auf sich alleine angewiesen - mitten in einer
fremden Welt, die unglaublich atemberaubend und detailliert
dargestellt wird und trotz ihrer Fremdartigkeit vertraut vorkommt.
In der Nacht muss sich Jake gegen ein wildes Rudel
"Vipernwölfe" verteidigen und kann sie alleine nicht
besiegen. Da kommt ihm die Tochter des Patriarchen des
Omaticaya-Clans, Neytiri, zu Hilfe.
Jake folgt Neytiri gegen ihren Willen zu ihrem Stamm und wird dort
von der Stammesschamanin für würdig befunden, in den Stamm der
Omaticaya aufgenommen zu werden - vorausgesetzt, er besteht die
Prüfungen und Rituale des Stammes, um ein Krieger zu werden.
Während dieser Zeit hält sich Jake länger im Körper seines Avatars
auf, als in seinem Eigenen. Kaum ist Jake wieder in seinem eigenen
Körper angekommen, erstattet er Bericht an Colonel
Quaritch und seine Schergen. Doch im Verlaufe der Operation
kommen Jake Zweifel, ob die Menschheit wirklich das Recht hat, die
Na'vi anzugreifen nur wegen eines Rohstoffs. Da Jake durch Neytiri
viele Dinge über Pandora lernt und feststellen muss, dass die
vormals als "primitiv" und "verrückt" angesehenen Auffassungen
dieses Naturvolkes alles Andere als primitiv sind (sondern
stattdessen sehr edel und gutmütig), muss er sich schließlich
entscheiden, auf wessen Seite er eigentlich steht. Und zu allem
Überfluss verliebt sich Jake auch noch in Neytiri, die jedoch
bereits einem anderen Na'vi, Tsu'tey, versprochen ist...
Kommt die Geschichte teilweise etwas altbacken und einfallslos
daher, so entfaltet sich in Avatar - Aufbruch nach
Pandora die wirkliche Kraft des Filmes in der Psychologie
der Charaktere. Dass die Optik und Akustik über alle Kritiken
erhaben sind, zeigte sich bereits in den Anfangsminuten des Filmes.
Die 3D-Effekte sind schlichtweg brillant und es gab mehr als eine
Szene im Film, in der nahezu das gesamte Publikum vor einem
heranfliegenden Pfeil auswich, eine Art schwebende Qualle zur Seite
schob oder sich vor Explosionen duckte. Man könnte sogar fast so
weit gehen, zu sagen dass Avatar - Aufbruch nach
Pandora der erste Film überhaupt ist, der einen wirklich
in die Rolle des Protagonisten versetzt. Dafür ist
allerdings in einem solchen Spektakel keine Zeit, da die Handlung
trotz 162 Minuten Spielzeit nahezu durchweg ein ordentliches Tempo
vorgibt.
Besondere Hervorhebung verdienen allerdings die von Cameron
mitentwickelte Technologie, The Volume, bei der die Mimik
der Darsteller 1:1 in dreidimensionale Modelle am PC umgesetzt
werden kann. Diese besonders realistischen Mimiken sieht man den
CGI-basierten Darstellern im Film an, denn ein CGI-Charakter wirkte
vorher nie so lebendig wie in diesem Film.
Wenn die Na'vi allerdings im Stile ganz realer weltlicher
Baumliebhaber um eine Pflanze versammelt sitzen und sich mit
monotonem Singsang in Trance bringen, möchte man als Pragmatiker
schreiend aus dem Kinosaal rennen. Dass Avatar - Aufbruch
nach Pandora eine ökologische Botschaft enthält, nämlich
die Ehrfurcht vor der Natur und allen Geschöpfen, ist klar. Und
vielleicht sogar ganz gut. Aber teilweise driftet Cameron in seinem
Film leider in absolut lächerliche esoterische Szenen ab. Dass alle
Geschöpfe auf Pandora miteinander verbunden sind und im Baum
der Seelen alle Seelen aller verstorbenen Kreaturen leben, mag
vielleicht für die Na'vi und deren Kultur eine tolle und
realistische Sache sein. Aber dass hierbei immer wieder ein
Unterton im Stile der "Urmutter Gaia" herüberkommt, macht den Film
leider nicht besser. Abgesehen von diesem Kritikpunkt ist die Story
in sich jedoch logisch, schlüssig und durchaus tief genug für einen
Film, der zumindest ein kleines Maß an Anspruch stellt.
Unter dem Strich ist der Film visuell und auch akustisch eine
absolute Offenbarung, wenngleich einem die Esoterik des Films auch
gewaltig auf die Nerven gehen kann. Glänzendes Popcorn-Kino ist der
Film allemal und wird bei der Verleihung der Oscars 2010 mit
Sicherheit mindestens drei oder vier der begehrten Trophäen
erringen.
Wäre die Esoterik nicht derart übertrieben ausgeschlachtet worden,
hätte ich dem Film glatt die Höchstwertung verpasst. So reicht es
aber nach wie vor locker für eine sehr gute
9/10.