Es bleibt ein Phänomen, das mich an Medien begeistert. Ein Buch, ein Film, Theaterstück, Lied oder ein Videospiel, das keine Graubereiche zu haben scheint, wenn es um seinen Platz in der Spielergemeinschaft geht. Ein großer, ein überaus gigantischer Teil der Medien zielt darauf ab so vielen Kunden wie nur möglich zu gefallen. Änderungen an dem originalen Skript werden vorgenommen, um die Fan-Gemeinde nicht abzuschrecken. Charaktere verlieren ihre ungemütlichen Kanten und Ecken und werden weichgespült. Die Allgemeinheit muss sie, muss die Story, muss die Klänge der Musik, die Witze des Kabarettisten lieben. Dann ist ein Erfolg leichter zu verbuchen. Doch gibt es auch Werke, in denen die Künstler ihrem “Ich” so viel Platz einräumen können, dass sie unverdünnt manchem zu stark sind. Hier ist ein Whiskey-Vergleich angebracht. Ein echter Whiskey schmeckt nicht lieblich und sanft. Es ist ein Biss in die torfige Erde des Landes. Und so sollte es sein. Aber viele Käufer schreckt man damit vielleicht ab. Ende 2019 veröffentlichte Hideo Kojima mit seinem Team “Death Stranding” und wir haben das Werk ausgiebig unter die Lupe genommen.
Story
Die Welt von “Death Stranding” ist nicht einfach zu beschreiben. Die Menschheit entdeckt neue Möglichkeiten des technologischen Fortschritts. Diese ermöglicht neue Arten des Transports und der Sendung von Information und Energie. Unmengen an Daten austauschen, ganze Waren ohne Energieverlust schicken und dazu noch die neueste 3D-Druck-Technologie. Und dann kamen die Explosionen die nicht menschlichen Ursprungs sein konnten. Zerstörten alle Städte und beinah alles Leben.
Die verbliebenen Menschen ziehen sich in Bunker zurück und sind nun mehr als jemals zuvor auf die Hilfe von außen angewiesen. Aber dieses draußen ist bei weitem gefährlicher geworden. Der Regen hat was von der übernatürlichen Wirkung der Explosionen abbekommen und lässt alles was er trifft rapide altern. Ein Mensch würde in Sekunden zu einem sterbenden Bündel zusammenfallen. Außerdem sind an mancher Stelle unsichtbare Wesen, die einem nach dem Leben trachten. Wird man von ihnen erwischt, ist es oft nicht weit bis zu einer weiteren Explosion. Wer wäre also so verrückt sich da draußen aufzuhalten? Naja: Die, die es müssen. Die Postboten. Die sind die Helden der Nation. Wichtige Medikamente, die nicht gedruckt werden können, Menschen und anderes einzigartiges Gut muss an seinen Bestimmungsort gelangen. Selbst in den Bunkern verstorbene Menschen müssen zu den Verbrennungsanlagen geschafft werden, da auch sie binnen 48 Stunden zu einer kleinen Atombombe werden.
So ein Lieferant ist Sam Porter Bridges. Er ist ein Einzelgänger und macht einen guten Job da draußen. Damit hätte er leben können. Mehr brauchte er nicht. Doch dann bekommt er einen Sonderauftrag und ihm wird die Aufgabe zuteil alle verbliebenen Städte, Stützpunkte und Bunker, die es in Amerika noch gibt, zu vernetzen. Er soll Amerika wieder zusammenfügen. Die Story offenbart sich in vielen Schichten. Viele Charaktere werden eingeführt, die man so noch nicht gesehen hat. Es werden Motivationen klar, die nachvollziehbar sind, Hintergrundgeschichten geflochten, die spätere Gesten umso stärker wirken lassen. Wenn Sam zum Ende hin jemanden umarmt, ist es nicht egal, wen er umarmt, was diese Person mit dieser Umarmung anfängt, was es dieser Person bedeutet, was es für Sam bedeutet und für uns. Und es ist dann ganz natürlich, dass man von Glück gepackt wird und eine Träne vergießt. Diese Momente zu schaffen, ist eine Spezialität von Hideo Kojima. Simple Gesten mit Hilfe der Hintergrundgeschichte hochzuhalten und zu unterstreichen. Dabei setzt die Musik in den richtigen Momenten ein, die Kamerawinkel stellen sich ein und man ist gepackt… WENN MAN DEN TORF MAG!
Hier trennt sich nämlich schnell die Spreu vom Weizen. Kojimas Erzählweise ist nicht für jedermann. Er übertreibt bei Zeiten, macht ein paar Tropfen Absurdität hinein und klopft sich selbst merklich auf die Schulter. Dass unser Held, Sam Porter Bridges, ein Lieferant (Porter) ist und für die Firma Bridges arbeitet, ist dabei nur ein kleiner Vorgeschmack. Diese Szenen können so manchen Spieler sauer aufstoßen. Man kann sich nicht ganz ernst genommen fühlen. Erklärungen zum Ende des Spieles hin sind nicht immer auf Anhieb schlüssig, was zur Verwirrung beisteuern kann. Das ist der Torfgeschmack, den man ertragen muss um den Whiskey zu genießen. Wer das nicht will, muss das nicht! Und ich würde niemanden dafür verurteilen.
Grafik
Als Hideo Kojima unter Sonys Fittiche genommen wurde, bekam er zugriff auf die Spiele-Engine von “Horizon: Zero Dawn” aus dem Hause “Guerrilla Games”. Diese wird wunderschön ausgereizt und zeigt naturgetreue Landschaften, klare Gesichter und vielschichtige Umgebungen. Da das Hauptaugenmerk des Spiels auf der Durchquerung des Gebietes liegt, werden einem die vielen Unebenheiten deutlich auffallen. Die Charaktermodelle wirken lebensecht und sehen den Schauspielern erstaunlich ähnlich. In vielen Zwischensequenzen sehen wir unseren Helden mit der exakt gleichen Ausrüstung und Eigenheit, mit der wir ihn zuvor ausgestattet hatten. Die Mimik bekommt durch das hervorragende Motion-Capturing eine deutliche Schwere. Die Akteure schaffen es ihre Emotionen in die Poligongestalten überfließen zu lassen und setzten uns mehr als nur einmal einen Kloß in den Hals. Spielerisch auffällig sind die Ausrüstungsgegenstände, die Stück für Stück auf unserem Charakter verstaut und dargestellt werden. Zwei Stiefel, Granaten, Seil, Waffe und die zwei Pizzen ruhen gut erkennbar und sauber geschlichtet auf Sams Gepäckträger. Wenig Platz für Verbesserung!
Sound
Während seiner Reisen besuchte Hideo Kojima, auf Anraten seines Fahrers einen Musikladen. Dort spielte die melancholische Gitarre der Band “Low Roar”. Er wusste gleich, dass dies die Stimmung ideal einfangen würde. Und recht hatte er. Nicht nur die Zwischensequenzen sind mit guter musikalischer Untermalung gespickt. Auch unsere Wanderung wird in seltenen Momenten von passenden Tönen begleitet und macht daraus eine kostbare Erfahrung. Auch wenn er beim Erzählen manchmal den Taktstock zerbricht, die Musik führt er unvergleichlich gut! Die Soundeffekte passen und geben ein wunderbares, passendes Feedback. Monster, Waffen, Menschen, Daumen-Hoch-Klicken, es ist stimmig.
Atmosphäre
Was für eine Welt! Was für eine Erfahrung. Was für ein Werk, dass durch die äußeren Umstände noch an Bedeutung gewonnen hat! Wirklich. Erstmal vorweg: Das ist meine eigene, rein subjektive Wahrnehmung. Darum lasse ich hier kurz das WIR fallen. Ich bin Peter Ankowitsch, nur irgendeiner, der das Glück hat, seine Erfahrung zu Papier, wenn auch nur digitales, zu bringen und anderen Menschen meine Meinung übermitteln zu können. Auch ich bin von den Ereignissen rund um 2020 getroffen worden, wie ein lahmer Esel von einem ICE. Ich bin nicht Kojimas größter Fan oder Verfechter seiner Werke, Ansichten oder Überzeugungen. Ich habe nur selten Spiele von ihm gespielt. Und trotzdem sitze ich hier, in meinem Büro und versuche meine Euphorie zu zähmen.
Menschen leben zurückgezogen, in ihre vier Wände gezwungen, nur noch die Möglichkeit digital zu kommunizieren. Die Außenwelt ist ein unberechenbarer Ort geworden, den man nur noch ungerne durchquert. Dann klingelt der Bote. Ein Beruf, der wohl nicht überall die Beachtung findet, die die Wichtigkeit seiner Tätigkeit verdient. Ja, ich rede vom Spiel! Aber in der heutigen Zeit, kann dies sehr gut auf unsere Situation übertragen werden. Die Welt des zerstörten Amerikas und die innewohnenden Phänomene wirken so frisch, neu und interessant! Alles wirft Fragen auf und man will doch nur seine Arbeit tun und dem alten Mann auf dem Hügel seinen Wein bringen. Alles wirkt trostlos und verloren, hoffnungslos und zerstört. Und ALLE anderen um uns herum haben eine Überzeugung! Wollen handeln und verändern. Wir müssen dafür springen. Und werden zum Helden. Wir können gar nichts dagegen tun!
Sigmund Freud sagte mal: “Gegen Angriffe kann man sich wehren, gegen Lob ist man machtlos!” Und dies trifft hier den Nagel auf den Kopf. Wenn der alte Mann uns nach mehreren Aufträgen in einer Mail sein Vertrauen schenkt und seinen Standpunkt überdenkt, dann dankt er uns dafür, so überschwänglich, dass man ein warmes Herz bekommt. Ich kann jedem Spieler, nur empfehlen alle paar Spielstunden eine MAIL-Pause zu machen. In den Bunker gehen, duschen, Musik anwerfen und dann die Mails lesen. Oft ging mir das Herz auf, ließ mich im Lob der vielen Fans treiben, hörte sehr innige Monologe von Gesichtern die man lange nicht mehr gesehen hat und beim nächsten Mal am liebsten umarmen will. Und das berührt, wenn man es zulässt. Den letzten Ausflug hier will ich noch auf die Details des Spiels legen. Man logge sich an seinem zuvor angegebenen Geburstag ein und lasse sich überraschen. Und auch hier bin ich Hideo dankbar für die Emotionen die er in mir auslösen konnte.
Singleplayer
Das eigentliche Gameplay stieß einige Spieler bereits vor den Kopf. UPS-Simulator. Gepäckträger-SIM. Das ist es jedoch im Spiele-Kern. Man besucht eine Zentrale, besieht sich die Aufträge, wählt die Fracht und abhängig vom Bestimmungsorte sucht man für die Route alle Materialien zusammen. “Gibt es Gegner auf dem Weg? Welche? Reichen Granaten, oder passt mein Gewehr. Der erste Teil ist mit dem Motorrad gut zu bewerkstelligen, vor dem Gebäude ist eines geparkt, also brauche ich kein neues. Ich nehme aber noch zwei Seile und zwei Leitern mit, es sieht hügelig aus. Hey, der nächste Auftrag liegt auf dem Weg! Und die Last wird dadurch nicht zu schwer!”
Und dann zieht man los. In die Wildnis, achtet auf die Waren und den Weg, darf nicht stolpern, fallen oder zu tief ins Wasser gehen. Wir sind hier nicht in Skyrim! Wir sind ein Bote und verantwortlich für die Fracht! Angekommen wird unsere Arbeit in Augenschein genommen und wir bekommen LIKES! Kein Schei**! Likes! Diese sind nicht als Währung zu verstehen, sondern eher als Fortschritt mit der belieferten Person und als eigener. Und hier fängt das Gameplay an durch den Bildschirm zu sickern. Jeder der von Sam beliefert wird, hat ihm nur Positives entgegenzubringen. Sam ist der Beste! WIR sind die Besten! Und das fühlt sich gut an, so sehr sich unser Hauptcharakter auch dagegen sträubt. Erledigen wir Aufgaben für die Hauptstory wird diese auch weitergehen. Ich empfehle, bevor man den Controller zur Seite legt und das Spiel deinstalliert, dass man die Tutorial-Gegend hinter sich lässt und mit dem Schiff fährt. Denn ab dann öffnet sich das Spiel in jeder Hinsicht und die ersten spieltechnisch relevanten Änderungen halten Einzug.
Multiplayer
Ein Hauptaspekt des Spiels sowie der Story ist: Nur zusammen schaffen wir das! Dies hätte Kojima nicht besser klar stellen können. Man sieht niemals andere Spieler auf der Ebene, aber ihre Hinterlassenschaften. Hier ein Motorrad, hier ein Seil, eine Brücke, die PERFEKT einen Fluss überquert, eine Aufladestation, ein Spind oder einfach nur ein Unterstand vor dem Regen. Über jeder Konstruktion schwebt der Name des Spielers, der hier schon einmal gewesen ist. Danke, hier ein Like! Eigene Kreationen, um das Terrain zu bestreiten, werden ebenso anderen zur Verfügung gestellt. Deren Likes bekommt man ebenso immer wieder. Es ist schön jemandem helfen zu können. Mit anderen Spielern kann man sogar vermehrt “zusammenarbeiten” und ihre Kreationen öfter in der eigenen Spielwelt sehen. Die Hauptader der Welt, eine Straße liegt in Trümmern und man kann sich mit viel Geduld, Arbeit und Teamwork so vieles erleichtern, wenn sie vollendet ist. Dieser Aspekt der Unterstützung wird im Spiel der Hauptdreh- und angelpunkt. “Wir brauchen einander” wird zur Nachricht die von der Story, über das Gameplay in uns übergeht.
Steuerung
Hier kommt die kleine Krux! Die Zutat, die wichtig, aber nicht für alle genießbar ist. Die Steuerung ist ohne Einarbeitung nicht ganz zu überblicken. Es hilft, dass alles Stück für Stück und in kleinen Schritten erklärt wird, notfalls auch in Textform, kann auf Dauer aber schwer verdaubar sein. R2 ist, sollte man wanken, ein sich nach rechts Lehnen um nicht umzufallen. Man kann damit aber auch eine auf dem Boden liegende Kiste unter den Arm klemmen. Selbes mit L2. Kästchen macht einen Angriff, sowie Aktionen; Dreieck wirft auf dem Boden Liegendes oben auf unseren Transportstapel, halten wir die Taste gedrückt, schmeißen wir alles auf den Boden. Ich gehe nicht weiter auf die Steuerung ein, da es zu weit gehen würde. Uns hat sie keine Probleme gemacht, wir hatten aber auch Interesse an der Meisterung, trotz der vielen Möglichkeiten. Ebenso ist die Steuerung durch die Menüs zu bemängeln. Sie wirkt hakelig und verbesserungswürdig. Wie ein firmeneigenes Betriebssystem, das man in anderen Instanzen besser gesehen hat, mit Hürden die längst überholt worden sind. Aber… wie in diesen Firmeneigenen Systemen, kann man die Logik dahinter durchblicken und beginnt mit den weniger guten Entscheidungen zu leben, bis man sie irgendwann gar nicht mehr wahrnimmt.
Fazit
Trotz unserer Möglichkeiten verbunden zu sein, scheint es, dass wir uns mental immer weiter voneinander entfernen. Wie man in einem digitalen Medium an dieser Schraube in unserem Hirn dreht, ist eine Erfahrung, die, wenn man sich darauf einlassen kann, sich nicht entgehen lassen darf! Und ja, die Story ist manchmal etwas übers Ziel hinaus! Aber das kann man dem Mann nachsehen! Keep on keeping on!
(Peter Ankowitsch) (weitere Reviews anzeigen)