Clint Eastwood stemmt sich mit einer fast beispiellosen Erfolgsgeschichte als Regisseur gegen den Ruhestand. Mit Mystic River, Million Dollar Baby oder auch Gran Torino bewies die Ikone des amerikanischen Films, das Alter nicht vor Klasse schützt. Seine story- und dialogorientierten Filme geben den Schauspielern Raum und Freiheiten, die sie meist für besondere Leistungen nutzen. Oder, um es kurz zu sagen: Wer einen Oscar als bester Haupt- oder Nebendarsteller haben will, sollte in einem Eastwood Film mitspielen.
Das beweist der ergraut – zerknitterte Altmeister auch mit Changeling; kein Wunder das Angelina Jolie, in den letzten Jahren eher als Kriesengebiets – Weltmutti bekannt, mal wieder als Schauspielerin ernst genommen wurde und sich gleich mal über eine Oscar-Nominierung freuen durfte. Die packende Geschichte basiert auf wahren Begebenheiten, ist penibel recherchiert und mit viel Zeitkolorit von Clint Eastwood inszeniert worden.
Story
Die Handlung spielt im Los Angeles der 20er Jahre. Die alleinerziehende Mutter Christine (A.Jolie) schafft es trotz ihres Jobs sich um ihren Sohn zu kümmern; sie sind eine kleine aber glückliche Familie.
Doch eines Tages verschwindet ihr Sohn, die Polizei ist hilflos und kann die verzweifelte junge Frau nur trösten. 5 Monate später wird ein streunender Junge aufgefunden und die Polizei präsentiert ihn Christine als ihren wiedergefunden Sohn – ein PR Coup den die von Korruptionsfällen geplagte Polizei gut gebrauchen kann und weidlich ausnutzt.
Doch Christine erkennt schon bei der Übergabe des Kindes, das der Junge nicht ihr Sohn ist, nicht sein kann. Doch niemand ist willens ihr zu glauben, stattdessen wird sie als notorische Unruhestifterin mit psychischen Problemen verleumdet. Sie setzt alles daran das die Ermittlungen wieder aufgenommen werden, schließlich wendet sie sich sogar an die Öffentlichkeit. Die um die Glaubwürdigkeit kämpfende Polizei kann dies nicht hinnehmen und weist Christine, die nie den Glauben verloren hat das ihr Sohn noch lebt, in eine Nervenheilanstalt ein um sie ruhig zu stellen…
Die Geschichte basiert auf wahren Ereignissen, die absurde Folge von Ereignissen hätte man sich kaum ausdenken können. Das Drehbuch entstammt der Feder von Autor und Produzent J. Michael Straczynski, der deutschen Fans evtl. durch die bahnbrechende Science Fiction Serie Babylon 5 ein Begriff ist. Praktisch jede Einzelheit und nahezu alle Dialoge basieren auf Gerichtsprotokollen und Polizeiakten die vom Autor akribisch recherchiert worden sind. Dazu gesellt sich ein erstklassiger, bis in die Nebenrollen sorgfältig zusammengestellter Cast dem Regielegende Eastwood Raum und Freiheit zur Entfaltung gibt. A.Jolie überzeugt mit ausdrucksvollen, intensivem Spiel, während J.Malkovich fast nicht zu erkennen ist, so zurückgenommen spielt dieser wandlungsfähige Darsteller. Aber auch Michael Kelly (The Sopranos), Amy Ryan (The Wire) und Jeffrey Donovan (Burn Notice) sind ideal besetzt; ein Schauspielfest.
Den Instrumentalscore komponierte Multitalent und Hobby Jazzer Clint gleich selbst. Die Cinematografie erinnert ans frühe Hollywood, dunkle Farben und sepiatöne bestimmen die Bildsprache. Diese verzichtet auf Effekthascherei und bemüht sich, eine natürlich-realistische Stimmung zu erzeugen - was die Diskrepanz und Unwirklichkeit der tragischen Ereignisse die Christine Collins widerfahren noch betont. Ein ungemein spannender Film, der langsam erzählt wird und Sogwirkung entwickelt. Die fesselnde Geschichte kommt ohne „Tränendrüsendrückerei“ aus und schlägt das Publikum in ihren Bann. Erneut gelingt Eastwood der Beweis das großes Kino auch ohne Explosionen, Effektgewitter und Bassattacken auskommt.
Bildqualität
Das Ansichtsverhältnis des Films beträgt 1:2,35, der Film ist in 1080p/24 auf der Blu-ray abgelegt und verwendet den VC-1 Codec.
Die Farbgebung orientiert sich am „alten Hollywood“ und lässt die 20er Jahre des letzten Jahrhunderts wiedererstehen. Es werde Sekundärfarben betont, Braun- und Sepiatöne bestimmen die reduzierte Farbpalette. Der Kontrast steigt sanft an und erzeugt ein eher weiches Bild, das dennoch keine Einbußen bei der Schärfe verzeichnet. Der meist hervorragende Schwarzwert ist nuanciert, beherrscht aber auch tiefstes Schwarz. Gesichtsfarben und Hauttöne sind ebenfalls natürlich, die gute Schärfe bei Nah- und Fernaufnahmen betont dieses noch. Auch der plastische Eindruck des Bildes ist überzeugend und hält mit teuren Produktionen mit.
Graining ist nicht festzustellen, allerdings ist die Kantenschärfe hin- und wieder übertrieben, so das es immer mal wieder zu Doppelkonturen (Halo Effekt) kommt. Ab und an treten Bewegungsunschärfen auf, die den erstklassigen Eindruck zwar etwas trüben, aber nicht wirklich beeinträchtigen.
Tonqualität
Wie üblich wird nur die englischsprachige Kundschaft mit lossless Sound verwöhnt; alle anderen werden zur Profitmaximierung abgezockt – wie immer führt dies zum Punktabzug. Der Deutsche Audiotrack liegt in DVD Qualität vor, nämlich als DTS 5.1 Track.
Der Fremde Sohn ist als Drama von Natur aus kein Kandidat für den Kampf um die Dauerauslastung der Effektlautsprecher. Dennoch gibt es Szenen in denen diese gut zur Geltung kommen, nicht nur in den wenigen Actionszenen, sondern auch bei Hintergrund- und Umgebungsgeräuschen. Diese sind präsent und fein differenziert, allerdings wenig kraftvoll. Es ist ein leiser Score, der sich weitgehend in Zurückhaltung übt und sowohl Zeitkolorit vermittelt, als auch die Geschichte mit melancholischen Tönen vorantreibt. Wie schon in Mystic River und Million Dollar Baby ist dies zwar unspektakulär, sorgt aber für die emotionale Einbindung des Zuschauers.
Die Dialoge sind immer verständlich, wobei die Stimmen durch die Synchronisation ein wenig stärker betont werden als im Original Audio Score, dem auch eine etwas bessere Räumlichkeit zu eigen ist. Die Synchro selbst ist gut gelungen und die Sprecher passend besetzt.
Ausstattung
Kurze Langeweile in HD – so lautet das Kurzurteil. Die Zusatzaustattung beschränkt sich auf zwei Features und den Menüpunkt My Scenes (~Bookmarkfunktion). Der Beitrag über A.Jolie und ihre Verwandlung zu Christie Collins ist genauso schnell abgehakt, wie die ellenlange Eloge auf Clint Eastwood im anderen Feature, das aber immerhin einige interessante Fakten zu den Dreharbeiten und dem Justizskandals um C.Collins beisteuert.
Fazit
Die 20er Jahre entstehen glaubhaft dank zurückhaltender Cinematografie, reduzierter Fabpalette und toller Bildqualität. Auch die Audio Qualitäten des Dramas überzeugen mit sensibler Begleitung des Geschehens, wenngleich deutscher lossless Sound erneut fehlt. Die Extras sind zwar in HD, aber überflüssig. Das Geld dafür hätte man lieber für eine Aufwertung der deutschen Tonspur sparen sollen.
Dieses mitreißende Drama entwickelt Spannung und Sogwirkung für diejenigen, die sich darauf einlassen. Schön auch Angelina mal wieder als Schauspielerin und nicht als Celebrity-Ikone zu bewundern, tolle Vorstellung von ihr.
Ein besonderer Film, der mit toller Bild- und Tonqualität glänzt und erneut beweist, das für gehobene Unterhaltung immer noch Platz ist – und Alter nicht vor guten Filmen schützt. (fb)
(weitere Reviews anzeigen)
Kaufempfehlung
Testgeräte
Player: Sony BDP-S350
TV: Sharp Aquos 46“ LCD, 100Hz, 24p
Verstärker: Marantz SR 5003
Kopfhörer Grado: RS -1