Die Filmproduktionsgesellschaft A24 brachte in der jüngeren Vergangenheit zahlreiche Genreperlen auf den Markt, die allesamt mit einer gewissen Intelligenz ausgestattet waren, und damit vor allen Dingen Cineasten und Arthouse-Freunde bedienten. Nun steht mit „X“ das neue Projekt in den Startlöchern und mit Ti West saß zudem ein Filmemacher auf dem Regiestuhl, der für seinen ruhigen und hintergründigen Inszenierungsstil bekannt ist. Die Erstauflage erfolgte in zwei unterschiedlichen Mediabooks, und nun legt Capelight Pictures den Film im Vertrieb der Al!ve AG als preisgünstigere Keep Case Version nach. Was der Film zu bieten hat und wie die technische Umsetzung aussieht, klärt die nun folgende Rezension.
Story
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Um ihrem trostlosen Leben zu entfliehen, schließt sich die Stripperin Maxine (Mia Goth) einer Gruppe von Pornofilmern an, die auf der Farm des kauzigen Howard (Stephen Ure) ihr neues Projekt realisieren wollen. Was sie nicht ahnen ist, dass die Anwesenheit der jungen Pornofilmer in Pearl (ebenfalls Mia Goth), der Frau des Besitzers, unterdrückte Sehnsüchte wecken, was in einem blutigen Massaker endet ...
Regisseur Ti West präsentiert mit „X“ seine Interpretation eines Slashers, welcher zugleich der „goldenen Ära“ des Genres huldigt. Es geht um eine Gruppe Pornofilmer, die ungewollt in eine Slasher-Szenerie hineingeraten. Dieses Grundgerüst ist schon von der Idee her großartig, denn in gewisser Weise ähneln sich Pornos und Slasher immerhin. Beide Genres wurden und werden mit verhältnismäßig geringem Budget realisiert, sind für ein erwachsenes Publikum gedacht und generieren im besten Fall enorme Summen. Zudem waren Pornofilme zu der Zeit der Handlung des Films noch teilweise angesehen Großproduktionen. Video gab es noch nicht in dem Umfang und die Filme wurden in den Kinos gezeigt, wodurch manches Pornosternchen landesweite Bekanntheit erlangte. So ist auch der Traum der Hauptfigur, ein bekanntes und berühmtes Sexsymbol zu werden und ein Leben zu leben, dass sie „verdient“, durchaus nachvollziehbar. Das sie dafür ihre Ideale, ihre Gesundheit und alles andere über Bord wirft, wird während des Filmverlaufs nach und nach klar, beginnend mit der ersten Einstellung ihrer Figur und endend mit dem einigermaßen überraschenden Finale. Auf der Metaebene hat der Film daher deutlich mehr zu bieten, als es auf den ersten Blick scheint.
Dass der Film nicht nur in den 1970ern spielt, sondern darüber hinaus auch noch in Texas, ist natürlich kein Zufall, denn man wollte ganz offensichtlich der Mutter aller Slasherfilme, dem „Texas Chainsaw Masssacre“ ein Denkmal setzen.
Das größte Manko des Films ist die Werbekampagne, die dem Zuschauer eine Art „Texas Chainsaw Massacre mit mehr Sex“ versprochen hat, und damit ein Klientel ansprechen wollte, das auf Sex und Gewalt aus ist, und nicht unbedingt nachdenken und schlussfolgern möchte. Es soll hier auf keinen Fall gesagt werden, dass Horrorfilmfans simpel gestrickt wären, aber wer einen Slasher im alten Stil sehen möchte, der will eben nicht „Hereditary“, „Midsommar“ oder „Der Leuchtturm“ sehen. Aber genau für diese Art von Filmen ist die Produktionsgesellschaft A24 nun mal berühmt, und auch Regisseur Ti West präsentierte mit seinen Filmen „The Inkeepers“ und „You’re Next“ dass von ihm mehr zu erwarten ist als ein simples Schlachtfest. Dieses (gewollt?) falsche Marketing lockte also die falschen Zuschauer an, während die eigentliche Zielgruppe mitunter abgeschreckt werden dürfte. Der Film erhielt zwar von der Kritik überwiegend (verdient!) positive Wertungen, stieß aber bei den Zuschauern auf gemischte Reaktionen, was ganz klar daran liegen dürfte, dass der Film unter den falschen Erwartungen angesehen wurde.
„X“ ist zugleich deutlich mehr, als die Werbung und der Trailer verspricht, aber gleichzeitig auch deutlich weniger. Obwohl es zum Ende hin recht blutig und brutal zur Sache geht, werden die Erwartungen, die man an einen Slasher im 1970er-Stil stellt, nur bedingt erfüllt. Dafür überzeugt der Film auf einer Ebene, die eher im Arthousekino zu verorten wäre. So erhalten sämtliche Figuren eine für das Genre unüblich genaue Charakterisierung und machen eine Entwicklung durch, was natürlich Zeit in Anspruch nimmt, die nicht mit „nackten Tatsachen“ oder blutigen Gewaltexzessen gefüllt werden kann. Relativierend sollte man aber auch beachten, dass selbst Filme wie „The Texas Chainsaw Massacre“ zunächst eine Atmosphäre der Bedrohung aufbauen, die erst am Ende hin in brutaler Gewalt mündet. „X“ geht indessen noch einen Schritt weiter, und baut nicht nur eine unheilvolle Atmosphäre auf, sondern spricht auch den Intellekt seiner Zuschauer an. Allein die subtextuelle Verbindung zwischen Pearl und Maxine, die beide von Mia Goth gespielt werden, bietet so viel Interpretationsmaterial, dass man seinen Kopf dazu schon einigermaßen anstrengen muss. Auch die Bildsprache sowie das Spiel mit Farben und Musik, zeigen das handwerkliche Geschick des Regisseurs, der auch das Drehbuch verfasste und den Film demzufolge so inszenieren konnte, wie es im vorschwebte. „X“ ist also eine Mischung aus intelligentem Horrorfilm und brutalem Slasher, der auf beiden Ebenen sowohl überzeugt wie enttäuscht, es sei denn, man ist in der Lage umzuswitchen, sich überraschen zu lassen und auf das Geschehen einzugehen. Wenn das der Fall ist, dann bekommt man einen Film zu sehen, der sich nicht hinter den großen A24 Filmen zu verstecken braucht und lange im Gedächtnis bleibt. Die bereits angekündigte Fortsetzung „Pearl“ mag dann möglicherweise eher auf den Geschmack der Slasher-Fans zugeschnitten sein, aber das wird erst die Zukunft zeigen.
Bildqualität
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Das Bild liegt im Ansichtsverhältnis von 1,90:1 vor und kann vollends überzeugen, enttäuscht aber in genau diesem Punkt auch ein wenig, zumindest auf der inszenatorischen Ebene. Einem Film, der wie ein Slasher der 1970er aussehen soll, hätte eine gewisse Räude gutgetan: ein leichter Sepia-Stich, ein bisschen Filmkorn, vielleicht sogar ein paar Filmfehler, wie man sie aus den Grindhouse-Filmen kennt. Stattdessen sieht man dem Film an, dass es sich um eine aktuelle Produktion handelt, der auch einiges an Budget zur Verfügung stand. Die Schärfe ist in den allermeisten Einstellungen hervorragend und bildet auch kleinste Details sauber ab. Die Farben sind genrebedingt sehr warm und in erdigen Tönen gehalten, aber nicht in dem Umfang, den man vielleicht erwarten würde. Alles in allem ist die Farbgebung sehr natürlich, das Bild sehr glatt und sauber, und auch der Kontrast kann überzeugen. Objektiv betrachtet bekommen wir hier eine makellose Präsentation, bei der lediglich der Schwarzwert nicht vollends überzeugt.
Tonqualität
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Während der englische Originalton in Dolby Atmos (mit dts-HD Master Audio 7.1 Kern) vorliegt, muss sich der deutsche Zuschauer mit einer sehr guten dts-HD Master 5.1 Tonspur zufriedengeben. Diese Tonspur reizt die Möglichkeiten weit aus und punktet mit einer sehr guten Dialogverständlichkeit, satten Bässe (sofern möglich) und einer tollen Surroundkulisse, die sowohl sinnvolle Umgebungsgeräusche wie Wind und Grillenzirpen (wir befinden uns schließlich auf dem Land), aber auch direktionale, szenenbezogene Effekte zu bieten hat. Leider sind die Dialoge im Vergleich ein wenig zu leise abgemischt, was sich aber leicht regulieren lässt. Der Soundtrack von Tyler Bates und Chelsea Wolfe setzt sowohl auf atmosphärische Klänge wie auf bekannte Evergreens der dargestellten Zeit. Bemerkenswert ist hierbei, dass die ausgewählten Musikstücke nicht willkürlich in den Film integriert wurden, sondern mitunter Vorboten von dem sind, was bald geschieht. Demnach ist der Film auch in punkto Musikauswahl mehr als nur ein Slasher zum „schnell ansehen“.
Ausstattung
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- The Farmer's Daughters (4:54 Minuten)
- Making-of (11:37 Minuten)
- Becoming Pearl (1:31 Minuten)
- Kinotrailer (2:26 Minuten)
- Filmtipps
Das Bonusmaterial besteht aus einem Trailer zum Film, einer Trailershow, und drei Features. Zum einen bekommen wir den im Film „gedrehten“ „Porno“ „The Farmer’s Daughter’s“ zu sehen, wobei es sich natürlich nur um einen Zusammenschnitt der bereits im Film zu sehenden Aufnahmen handelt. Der „Film“ liegt sowohl in deutscher Synchronfassung als auch im englischen Original vor. Weiter geht es mit einem kurzen Zeitraffer-Video, in dem wir sehen, wie aus Mia Goth die alte Pearl wird. Der interessanteste Bonusfeature ist das kurze „Making Of“, welches zwar ein wenig zu oberflächlich geraten ist und auch ordentlich die Werbetrommel rührt, aber zumindest einen kleinen Blick hinter die Kulissen erlaubt.
Fazit
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Technisch ist das Produkt sehr hochwertig, kann aber nicht zur Gänze punkten. Der deutsche Ton liegt „nur“ in dts-HD Master vor, kann aber im Großen und Ganzen überzeugen. Dennoch wäre es schön gewesen, auch den deutschen Ton in Dolby Atmos vorliegen zu haben, wie es beim Originalton der Fall ist. Das Bild der Blu-ray Disc lotet die Grenzen des Machbaren aus und bleibt nur im Schwarzwert etwas zurück. Das Bonusmaterial ist leider etwas zu oberflächlich und übersichtlich ausgefallen.
Der Film selbst ist ein kleines Meisterwerk, leidet aber extrem unter der falschen Vermarktung, denn wer einen Slasher im Stil von „The Texas Chainsaw Massacre“ erwartet, wird enttäuscht. Der Film bietet stattdessen genau das, was man von einem Film von A24 erwarten darf: Intelligenten Horror mit viel Subtext und Interpretationsmöglichkeiten, aber gleichzeitig brutale, schonungslose Gewalt – in diesem Punkt sogar etwas mehr als in den anderen Filmen der Produktionsgesellschaft. Ein Arthouse-Slasher, könnte man sagen. Wer mehr erwartet als eine blutige Schlachtplatte und in der Lage ist den Kopf bei einem Film auch einzuschalten, der wird voll und ganz auf seine Kosten kommen.
(Michael Speier)
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