Fatih Akin war auf dem Weg einer der am international anerkanntesten deutschen Regisseure zu werden. Mit „Aus dem Nichts“ gelang ihm der Gewinn des Golden Globes und damit dem Vorreiter auf die Oscars, bei der Verleihung war sein Film dann aber nicht einmal nominiert. Mit „Der goldene Handschuh“ hegt er keinerlei Oscar-Ambitionen und schockte bei der Berlinale sein Publikum. Sein Film ist kontrovers und ein Serienkiller-Porträt aus der Beobachter-Perspektive.
Story
Hamburg-St. Pauli in den Siebzigerjahren: Auf den ersten Blick ist Fritz „Fiete“ Honka (Jonas Dassler) ein bemitleidenswerter Verlierertyp. Seine Nächte durchzecht der Mann mit dem kaputten Gesicht in der Kiezkaschemme „Zum Goldenen Handschuh“ und stellt einsamen Frauen nach. Keiner der Stammgäste ahnt, dass der scheinbar harmlose Fiete in Wahrheit ein Monster ist. Immer wieder verstümmelt er seine Opfer und verscharrt sie in seiner Bude, dabei macht er keine Kompromisse und handelt dabei skrupellos und scheinbar ohne jegliche Reue.
Ich wusste nicht was mich bei „Der goldene Handschuh“ erwartet, selbst der Trailer gibt über die eigentliche Geschichte keine weiteren Informationen und so hangelt sich der Film auch nicht an seiner Narrative entlang, sondern zeigt uns Einblicke in Fritz Honkas kaputte Welt. So beginnt der Film mit einer toten älteren Frau, sie liegt in Honkas Bett, wird heruntergezerrt, ausgezogen und ihre Körperteile rabiat mit einer Säge abgetrennt. Die erste Szene bestimmt den Ton des Filmes, ein Popcorn-Wohlfühlabend wird das nicht mehr und ich empfehle den Film auch nicht als Teil eines solchen mit Freunden zu schauen, sondern ganz für sich.
So sorgt diese abgrundtief finstere Welt von Fritz Honka für ein stetiges Unwohlsein und meine eigene Stimmung knüpfte daran an. Jonas Dassler liefert dabei eine überragende schauspielerische Leistung und porträtiert diesen gestörten Frauenmörder mit hervorragenden darstellerischen Können und vollem Körpereinsatz. Sowohl in der titelgebenden Kneipe „Der goldene Handschuh“ als auch in seiner heruntergekommenen Wohnung spürt man förmlich den Gestank und den Dunst der Zigaretten. Hier haben sich die Macher 1:1 an den originalen Schauplätzen orientiert.
Hälft man sich dabei mal vor Augen, dass diese Geschichte wahr ist, tut der Film natürlich doppelt weh. Dabei zeigt er die eigentlichen „Splatter-Momente“ nicht, sondern lässt sie den Zuschauer oft nur hören oder deutet sie an. Im eigentlichen Sinne tut das auch mehr weh, denn ab diesem Punkt beginnt unsere Fantasie zu übernehmen. Obwohl ich den Film jetzt als düsteres Serienkillerporträt verkaufe, manchmal muss man sogar lachen, kurz danach bleibt einem dieses wieder im Hals stecken. Wenn in der Kiezkneipe wieder Sprüche geklopft werden und Tampon-Günther sich eben diese in die Nase steckt.
Fatih Akin scheint als gebürtiger Hamburger jemand zu sein der diesen rauen, oft auch einfachen Ton ziemlich gut trifft. Das ist zynisch und ebenso wie eine Szene in der Honka die Leichenteile seines jüngsten Opfers hinter einer Klapptür in seiner Wohnung verstaut und zur Linderung des Gestanks eine Handvoll Duftbäume hinterherschmeißt. Das ist grotesk, absurd und makaber. Der Film tut in vielerlei Hinsicht weh, auch seine Opfer sind Frauen die im Leben nichts mehr zu verlieren haben und sich für Alkohol und eine Bleibe zu demütigen bereit sind.
Ein großes Ärgernis des Filmes ist es, dass er versucht eine Erklärung für Honkas Taten zu finden, als ob man sowas rechtfertigen müsste, muss der Alkohol dafür herhalten. Sollen wir jetzt Mitleid mit Honka haben? Als man kurz das Gefühl hatte er könnte trocken bleiben, einen Neuanfang startet und einen Job als Nachtwächter anfängt. Dadurch das wir ohnehin kaum Hintergrund über Honka erfahren, hätte man diesen Punkt absolut streichen können. Vermisst hätte man ihn ohnehin nicht. „Der goldene Handschuh“ ist eine traurige Milieustudie und gleichzeitig auch ein Horrorfilm. Einer von der Sorte, die ohne Jump-Scares oder Übernatürliches auskommen, sondern den wahren Horror zeigt: Menschen die nichts zu verlieren haben.
Bildqualität
Das Bild ist in Ordnung, durch die Farbgebung von bräunlich, grünen, dunklen Tönen hat es einen sehr geerdeten und verwaschenen Look. Die Schärfe ist gut. Die Kontraste sind nicht sonderlich hoch, was aber zu der grundtrüben Stimmung passt, oft wurde mit wenig Licht gedreht und bewusst nicht auf Hochglanz-Film hingearbeitet. Die Kameraarbeit zeigt uns vor allem weitwinklige Einstellungen, die lange draufhalten und ohne Schnitte auskommen. So wünscht man sich als Zuschauer fast endlich einen Schnitt, der lange auf sich warten lässt. Dadurch erhalten die Situationen eine ganz natürliche Intensität.
Tonqualität
Die deutsche Tonspur liegt in DTS-HD MA 5.1 vor und ist dennoch teilweise schwer zu verstehen, das liegt aber nicht an der Technik, sondern Honkas Sprache und ist ein bewusstes Mittel. Insgesamt spielt sich vieles auf der Dialogebene ab, wobei die hinteren Boxen und auch der Subwoofer nicht so viel zu tun haben und eher dann aktiv werden, wenn das (fast durchgehende) unsägliche Schlager-Gedudel einsetzt. Dennoch wird ein angenehmes räumliches Klanggefühl erzeugt, die Mischung selbst ist aber passend und die raue Atmosphäre überträgt sich gut in euer Wohnzimmer.
Ausstattung
Als Extras sind nur zwei kleine Featurettes (ca. 3 Min) enthalten, das ist wirklich schwach, denn gerade bei diesem Film hätte Hintergrundeinblicke sehr interessiert.
Fazit
„Der goldene Handschuh“ ist kein Film dem man jemandem empfehlen würde, er ist grotesk, keine Kost für Zartbesaitete und lässt euch mit einem unangenehmen Gefühl zurück. Er konzentriert sich auf Fritz Honka selbst, beobachtet ihn anstatt ihn als Figur zu zeichnen. Jonas Dassler überzeugt, mit erst 23 Jahren, als gestörter Frauenmörder und die Gewissheit, dass dieser Mann existiert hat und so lange seinen Trieben nachgehen konnte, ist im Nachhinein die bitterste Erkenntnis.
(Tom Sielemann)
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